Erst in der vergangenen Woche wurden in Dortmund über 20 neue Stolpersteine verlegt. Zwei für die Geschwister Rosenthal in dem Stadtteil Dorstfeld. Sie wurden 1942 nach Theresienstadt deportiert und im Zuge der Shoah ermordet. Die Martin-Luther-King-Gesamtschule hat die „Partnerschaft“ für die Stolpersteine der Geschwister Rosenthal übernommen und damit auch die Pflege und den „Auftrag des Erinnerns“. Dass dies bereits eine Woche nach dem Verlegen nötig sein würde, hatten die Schüler*innen nicht geahnt. Vermutlich in der Nacht auf den 1. Juli wurde der Stolperstein von Josef Rosenthal mit einer unbekannten Flüssigkeit beschmiert und beschädigt.
Quartiersdemokraten: „Die Beschädigungen zeigen auch, wie wichtig es ist, die Erinnerung aufrechtzuerhalten.“
„Der Vorfall ist leider wenig überraschend“, erklärt Micha Neumann von der Beratungsstelle ADIRA. Zuletzt waren in Lütgendortmund Stolpersteine mit rechten Aufklebern überdeckt worden. „Die Neonazis fallen immer wieder durch Angriffe auf Gedenkorte auf“, so Neumann. Solche Vorfälle seien Ausdruck des Antisemitismus der rechten Szene, der sich häufig gegen die Erinnerung an nationalsozialistische Verbrechen richte. „Für die Nachfahren von Shoah-Überlebenden sind solche Beschädigungen natürlich nur schwer zu ertragen.“
Für die Quartiersdemokraten, die sich in Dorstfeld gegen Neonazis engagieren, war klar, dass man diese Attacke auf den Stolperstein nicht unwidersprochen lassen könne. In wenigen Stunden wurde für den nächsten Tag eine kleine Gedenkaktion mit einigen Schüler*innen der Martin-Luther-King-Gesamtschule auf die Beine gestellt. Auch die Polizei und die Stadt Dortmund hätten sofort reagiert und den Stolperstein gereinigt, berichtet Vivianne Dörne von den Quartiersdemokraten.
Zusammen mit den Schüler*innen hat sie am Tag nach der Attacke über die Bedeutung der Stolpersteine und auch der Attacke darauf gesprochen. Die Beschädigung des Steins für Josef Rosenthal ist die kein Einzelfall: Immer wieder werden in Deutschland Stolpersteine beschädigt. „Die Beschädigungen zeigen auch, wie wichtig es ist, die Erinnerung aufrechtzuerhalten“, so Dörne.
WDR-Reporter wurde nach der Stolperstein-Aktion von einem Neonazi attackiert
Gemeinsam gingen die Quartiersdemokraten mit den Schüler*innen zum Stolperstein im Dorstfelder Hellweg und hielten inne um zu gedenken. Anschließend hielt die Gruppe Plakate mit der Aufschrift „Antisemitismus? Nicht mit mir!“ hoch. Dörne lobt das Engagement der Schüler*innen, die sich so spontan und im Anschluss an ihre Zeugnisvergabe bereiterklärt hatten, an der Aktion teilzunehmen.
Es sei wichtig, dass den Neonazis gezeigt werde, dass sich viele – auch junge Menschen – gegen ihren Hass und ihre Ideologie engagieren. „Es braucht aber auch Mut sich gerade in Dorstfeld dagegen zu engagieren“, führt Dörne aus. Deshalb sei es auch wichtig, dass die Zusammenarbeit zwischen den Engagierten vor Ort, der Stadt und der Polizei weiterhin so gut funktioniere.
Wie nötig dieser Mut ist, zeigte sich auch darin, dass während der Aktion drei Neonazis auftauchten und die Situation beobachteten. Kurze Zeit später kam es zu einem Zwischenfall: Einer der Rechten attackiert einen Journalisten des WDR, der die Aktion mit der Kamera begleitete. Der Neonazi schlug dem Journalisten vor den Augen der Polizei das Mikrofon aus der Hand und griff in die Kamera. Die Soko Rechts hat die Ermittlungen aufgenommen.
Weitere Informationen:
Eine Übersicht über die Stolpersteinstandorte in Dortmund finden Sie hier.
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Jude ist kein Schimpfwort – Lesung und Gespräch mit der Journalistin und Autorin Alexia Weiss (PM Auslandsgesellschaft.de)
Jude ist kein Schimpfwort – Lesung und Gespräch mit der Journalistin und Autorin Alexia Weiss
Online-Veranstaltung am Donnerstag, 15. Juli 2021, um 18 Uhr
Mehr als 75 Jahre nach dem Holocaust erstarkt der Antisemitismus in Europa wieder. Auch in Österreich melden jüdische Gemeinden vermehrt Belästigungen und Anfeindungen. Der Staat reagiert mit Sicherheitsmaß-nahmen und Gedenkveranstaltungen, scheitert jedoch an den Bedürfnissen der Menschen – ein normales Leben zu leben, ohne besonders geschützt werden zu müssen oder attackiert zu werden.
Jüdisch-Sein in Österreich bedeutet ein Leben voller Ambivalenzen. Zum einen sind Juden und Jüdinnen mit übertriebener Sensibilität konfrontiert, zum anderen schlägt ihnen nach wie vor offener Hass entgegen. Alexia Weiss geht diesem Zwiespalt auf den Grund, erforscht die Spuren jüdischen Lebens in Wien und erzählt in spannenden und aufklärenden Gesprächen, wie die Menschen ihren Alltag erleben.
Anmeldung erforderlich: plum@auslandsgesellschaft.de
Immer wieder werden Stolpersteine in Dorstfeld mit Farbe beschmiert (PM)
Immer wieder werden Stolpersteine in Dorstfeld mit Farbe beschmiert
Zwei Monate nach der Stolpersteinverlegung im Dortmunder Stadtteil Dorstfeld werden diese immer wieder beschädigt und mit Farbe beschmiert. Im Juni 2021 wurden insgesamt über 20 Stolpersteine in ganz Dortmund an verschiedenen Standorten verlegt. Sie erinnern an die systematische Verfolgung und Vernichtung von Jüdinnen und Juden durch das NS-Regime. Zuletzt wurden in Dorstfeld Stolpersteine in Erinnerung an die jüdische Familie Rosenthal verlegt, die durch die Gräueltaten der Nationalsozialisten deportiert und ermordet wurden.
„Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, sagt Gunter Demnig, der Kölner Künstler, der das Kunstprojekt ins Leben rief. In Dortmund konnten mit seiner Hilfe bereits über 300 Menschen vor dem Vergessen bewahrt werden. Doch auch jetzt können die Opfer der Shoah keine Ruhe finden. Immer wieder werden die Stolpersteine in Erinnerung an die Familie Rosenthal und an die Familie Rosenbaum im Bereich des Dorstfelder Hellwegs und der Arminiusstraße mit Farbe beschmiert. Alle Vorfälle wurden zwar gemeldet, doch die Täter*innen bleiben unbekannt. Bereits viermal wurden die Stolpersteine mit Farbe beschmiert. Jeder Vorfall wurde von der Polizei aufgenommen und die Reinigung durch die Stadt Dortmund veranlasst.
Nach der ersten antisemitischen Sachbeschädigung kamen Schülerinnen und Schüler der Martin-Luther-King-Gesamtschule gemeinsam mit dem Projekt Quartiersdemokraten erneut zusammen, um über den Vorfall zu sprechen und ein starkes Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen. Die Martin-Luther-King-Gesamtschule hatte die Patenschaft für die zuletzt verlegten Stolpersteine übernommen. Die Aktion wurde medial begleitet und von den in Dorstfeld ansässigen Neonazis beobachtet. Im Nachgang wurde ein Journalist des WDR angegriffen und Schülerinnen und Schüler abfotografiert.
Viele der rechtsextremen Personen wohnen nicht unweit des Tatorts entfernt und fallen immer wieder durch den Versuch einer Bedrohungskulisse auf. Nach diesem Vorfall kam es weitere Male zu Sachbeschädigungen der Stolpersteine. „Es ist unerträglich, dass Personen immer wieder Stolpersteine beschmieren, die an die Opfer des Holocaust erinnern. Es handelt sich um Menschen, die gequält, gefoltert und ermordet wurden. Auch 76 Jahre nach dem Nationalsozialismus haben wir ein Problem mit Antisemitismus“, so Birgit Miemitz, Vorsitzende des Trägervereins zur Förderung von Respekt, Toleranz und Verständigung in Dortmund-Dorstfeld e.V.
Das Projekt Quartiersdemokraten setzt sich schon seit einigen Jahren gemeinsam mit der Dorstfelder Zivilgesellschaft für die Stärkung eines demokratischen und solidarischen Miteinanders ein. Ein wesentlicher Bestandteil ist auch die Arbeit gegen Antisemitismus, der sich vor allem auch junge Menschen anschließen.
„Solche Ereignisse zeigen, wie notwendig das Engagement gegen Antisemitismus ist. Sich kontinuierlich auch gegen aktuellen Hass gegen Jüdinnen und Juden zu stellen, erfordert Mut und Entschlossenheit. Wir als Projekt sind sehr froh, dass aktuell so viel Engagement gegen Rechtsextremismus in Dorstfeld zusammenkommt und rechtsextremen Personen deutlich zeigt, dass Dorstfeld ein Stadtteil für Solidarität ist“, so Vivianne Dörne vom Projekt Quartiersdemokraten.
Die Aufmerksamkeit der engagierten Zivilgesellschaft in Dorstfeld wird auch weiterhin dafür sorgen, dass das Erscheinungsbild der Stolpersteine unverzüglich in einen würdigen Zustand versetzt wird, unabhängig davon wie oft die Schändung wiederholt wird. Wachsame Nachbarn können mögliche Hinweise an die Polizei weitergeben.
Hintergrund:
Das Projekt ‚Quartiersdemokraten‘ unterstützt und berät als Fach- und Netzwerkstelle für Rechtsextremismusprävention und Demokratieförderung die Zivilgesellschaft in der Auseinandersetzung mit dem Thema Rechtsextremismus im Dortmunder Stadtteil Dorstfeld. In diesem Zusammenhang organisiert das Projekt regelmäßig Gedenkveranstaltungen und Workshops rund um das Thema Antisemitismus. Das Projekt Quartiersdemokraten wird aus Mitteln des Programms ‚NRWeltoffen‘ durch das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen gefördert und liegt in Trägerschaft des Vereins zur Förderung von Respekt, Toleranz und Verständigung in Dortmund-Dorstfeld e.V.