Von Alix von Schirp
Seit dem 31. Mai 2021 wird das Münsterstraßenviertel mit 18 Kameras von der Polizei Dortmund videoüberwacht. Seit dem 7. Juni steht auch eine mobile Videoüberwachungsanlage auf dem Mehmet-Kubaşık-Platz.
Die Videobeobachtung findet laut Angaben der Polizei nur von Montag bis Samstag zwischen 16 und 24 Uhr statt. Außerdem werden die Kameras während Versammlungen und Demonstrationen abgeschaltet. Die Abschaltung wird durch eine grüne Abdeckung vor der Kamera gekennzeichnet.
An fast allen Kameras fehlten bei einer nächtlichen Überprüfung die Abdeckungen
Am 4. Juni berichtete das Bündnis gegen die Kameraüberwachung der Münsterstraße („NoCamDo“), dass die Kameras ganztägig eingeschaltet seien. (siehe unten) Als sich Reporter der Nordstadtblogger am 9. Juni ein Bild der Situation verschafften, fiel ihnen auf, dass gegen 1 Uhr nachts – mit Ausnahme eines Exemplars – keine der Kameras abgedeckt war.
Auf Anfrage dieser Redaktion erklärte Polizeipressesprecherin Nina Kupferschmidt, dass es noch technische Anlaufschwierigkeiten bei den Kameras mit einer Abdeckung gebe. Dies bedeute jedoch nicht, dass die Kameras nach Mitternacht noch aufzeichnen. Sie seien so programmiert, dass sie außerhalb der festgelegten und kommunizierten Zeiten deaktiviert seien.
Die Kameraüberwachung der Münsterstraße durch @polizei_nrw_do soll täglich von 16-24 Uhr laufen. Unsere Stichproben zeigen: Seit Montag wird kontinuierlich überwacht. Seid ihr in der Münsterstraße unterwegs? Meldet uns, wenn die Kameras an sind, obwohl sie aus sein sollten.
— NoCamDo @nocamdo@ruhr.social (@NoCam_Do) June 4, 2021
Mehr zum Thema bei nordstadtblogger.de:
Videobeobachtung in der Brückstraße – verstärkter Kontrolldruck und Polizeipräsenz in der Nordstadt
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Erfolgreiche Videobeobachtung im Bereich Mehmet-Kubasik-Platz: Polizeipräsident lässt mobilen Videocontainer abbauen (PM POL-DO)
Die Straftaten im Bereich des Mehmet-Kubasik-Platzes sind seit Beginn der Videobeobachtung im Juni 2021 stark gefallen. Die Kameras sind aus diesem Grund bereits abgeschaltet. Der mobile Beobachtungscontainer wird diese Woche abgebaut. Ein Verdrängungseffekt ist aktuell nicht erkennbar.
Seit Beginn der Videobeoachtung am 18.Juni sind die Straftaten im Bereich des Mehmet-Kubasik-Platzes deutlich zurückgegangen. Waren im ersten Halbjahr 45 Delikte in diesem Bereich zu beklagen, so sind im Zeitraum von Mitte Juni bis August nur 11 Straftaten zu verzeichnen. Dies ist insbesondere für den Sommer ein bezeichnender Rückgang, da Straßenkriminalität naturgemäß ihren Höhepunkt in den warmen Monaten hat. Aufgrund dieser positiven Entwicklung ist die rechtliche Grundlage für die Videobeobachtung im Bereich des Mehmet-Kubasik-Platzes weggefallen. Die Kameras wurden Anfang Oktober abgeschaltet. Der Videocontainer wird am heutigen Tag abgebaut. Aktuell liegen zudem keine Erkenntnisse vor, dass sich im angrenzenden Bereich ein neuer Kriminalitätsbrennpunkt gebildet hat.
„Der Rückgang der Zahlen zeigt, wie wirksam Videobeobachtung als Baustein einer modernen Kriminalitätsbekämpfung sein kann. Der Druck, den wir damit auf Straftäter aufbauen, hilft insbesondere den Anwohnerinnen und Anwohnern. Natürlich bleibt die Videobeobachtung aber auch eine grundrechtseingreifende Maßnahme, die fortlaufend auf ihre Verhältnismäßigkeit überprüft wird. Aufgrund der positiven Entwicklung habe ich deshalb angeordnet, die Videobeobachtung auf dem Mehmet-Kubasik-Platz mit sofortiger Wirkung einzustellen. Wir sind unserem behördenstrategischen Ziel, Sicher leben in der Nordstadt, wieder ein Stück näher gekommen“, erklärt Polizeipräsident Gregor Lange.
Die Polizei Dortmund wird die Entwicklung auf dem Mehmet-Kubasik-Platz genau beobachten. Eine spätere Wiedereinführung der Videoüberwachung bei steigenden Fallzahlen ist nicht auszuschließen.
Die fest installierte Videobeobachtung in der Brückstraße und in der Münsterstraße ist von der Abschaltung nicht betroffen. Bei dem Videocontainer auf dem Mehmet-Kubasik-Platz handelt es sich um einen mobilen Container für zeitlich begrenzte Videobeobachtung. Die mobile Komponente sowie die fest installierten Kameras sind Teil des Sicherheitskonzepts in der Dortmunder Nordstadt. Zusammen mit der Ermittlungskommission Nordstadt und dem Präsenzkonzept sind es zahlreiche Maßnahmen der Polizei Dortmund, die im Zuständigkeitsbereich der Wache Nord ineinander greifen. Der Trend der sinkenden Fallzahlen in den letzten Jahren bestätigt das polizeiliche Konzept.
#NOCAMDO zum Abbau des Überwachungscontainers auf dem Mehmet-Kubaşık-Platz und der Doku „Eine Straße voller Kameras“ (PM)
Am 11.10.2021 wurde der Überwachungscontainer abgebaut, der seit dem 15.
Juni den Mehmet-Kubaşık-Platz dominiert. Die Initiative gegen die
Kameraüberwachung NOCAMDO begrüßt diesen Schritt und hofft, dass auch
die Kameras in der Münsterstraße zügig abgeschaltet und abgebaut werden.
Während die Polizei die Maßnahme als Erfolg wertet, sieht sich die
Initiative in ihrer Kritik bestärkt: Der Einsatz ist unverhältnismäßig
und richtet sich gegen die Bewohner*innen der Nordstadt. Statt Probleme
im Stadtteil wirklich anzugehen, soll Kleinkriminalität durch den
Technikeinsatz nur verdrängt werden.
Die vergangenen Monate haben auch gezeigt, dass das Transparenzkonzept
der Polizei nicht aufgeht und vermeintlich „technische Probleme“, wie
die Nichteinhaltung der Überwachungszeiten, daran zweifeln lassen, dass
ein rechtskonformer Einsatz der Kameras überhaupt möglich ist. Diese
Einschätzung wird auch durch eine nun veröffentlichte WDR Doku
bestätigt.
## Wenn die Polizei ihre eigenen Statistiken ernst nimmt, sollten auch
die Kameras in der Münster- und Brückstraße abgehängt werden ##
Die Initiative NOCAMDO hat grundsätzliche Zweifel an den Statistiken der
Polizei, die bisher ohne wissenschaftliche Begleitung entstehen. So
liegt kein Nachweis vor, ob die Kameras oder aber die
Coronaschutzmaßnahmen den Grund für den vermeintlichen Rückgang von
Delikten sind. Aber auch unabhängig von den konkreten Zahlen ist die
Argumentationslogik der Polizei widersprüchlich. Auf der einen Seite
werden „gesunkene Fallzahlen“ und das Argument der Verhältnismäßigkeit
als Begründung für den Abbau des Überwachungscontainers angeführt. Auf
der anderen Seite gilt dies nicht für die Videoüberwachung auf der
Brückstraßesowie der Münsterstraße für festinstallierte Kameras –
insbesondere für die Brückstraße ist der Rückgang der Zahlen seit Jahren
von der Polizei selbst ermittelt worden. Hier zeigt sich, dass nicht
rechtliche Argumente, sondern scheinbar Kostengesichtspunkte bei der
Beurteilung der Verhältnismäßigkeit eines massiven Eingriffs in die
Grundrechte Vorrang haben.
Die Ankündigung der Polizei bei „steigenden Fallzahlen“ eine
„Wiedereinführung der Videoüberwachung“ vorzunehmen, zeigt, dass neben
der fehlenden wissenschaftlichen Evaluation auch durch Ad-Hoc
Überwachungsmaßnahmen gerichtliche Überprüfungen sowie ggf. richterliche
Einschränkungen der Überwachungsmaßnahmen erschwert werden, da die
Maßnahmen ohne Ankündigungen durchgeführt werden.
Nichtsdestotrotz bewertet die Initiative den Abbau der Kameras positiv.
„Wir erwarten nun, dass die Polizei bei ihrer ersten Evaluation der
Daten aus der Münsterstraße zu dem selben Ergebnis kommt und
konsequenterweise auch dort die Kameras abbaut“, so Artuhr Winkelbach,
ebenfalls Teil der Initiative.
## Dokumentation zeigt mangelnde Transparenz ##
Parallel veröffentlichte der WDR in den Abendstunden des 11. Oktobers
die Dokumentation „Eine Straße voller Kameras: Muss die Polizei alles
sehen?“, die im Sommer aufgezeichnet wurde. In der Dokumentation wird
deutlich, dass vielen Anwohner*innen bis heute unklar ist, wann und ob
Kameras eingeschaltet sind und welche Bereiche die Kameraüberwachung
wirklich erfasst. Sie zeigt, dass ein Kommunikations- und
Transparenzkonzept fehlt und offenbar keine Planungen existieren, die
bestehenden Unklarheiten bei Anwohner*innen der Münsterstraße zu
beheben. Auch ein am Anfang interviewter Polizeibeamter kann das Konzept
mit grünen und roten Aufklebern nicht schlüssig erklären und der
Polizeipräsident kann am Ende nur behaupten „man müsste erkennen“ welche
Kameras ausgeschaltet seien.
Rechtlich interessant war in der Dokumentation ebenfalls die Frage von
Schwärzungen bestimmter Bereiche im Überwachungsgebiet. So ist den
betroffenen Geschäften, deren Besucher*innen und auch den Anwohner*innen
bis heute nicht klar, welche außengastronomischen Bereiche geschwärzt
wurden und welche nicht und auf welcher Entscheidungsgrundlage dies
geschieht. Die Initiative hatte im Rahmen der Klage mehrfach auf diesen
Missstand hingewiesen, ohne dass hier Klarheit geschaffen wurde. „Wir
freuen uns, dass nun immerhin öffentlich wird, dass es überhaupt
Schwärzungen gibt. Leider sind diese nicht ausreichend“, so Martin
Pilpul,: In der Dokumentation ist sichtbar, dass Hauseingänge von
Wohnhäusern nicht geschwärzt sind – dies stellt nach Ansicht die NOCAMDO
Initiative aber einen massiven Eingriff in das Grundrecht auf
Privatssphäre dar.
Ebenfalls nicht geschwärzt sind die KFZ-Kennzeichen, hierzu liegt nach
einer richterlichen Anordnung des Verwaltungsgerichtes Köln bzgl. der
Kameraüberwachung in Köln zur Schwärzung eben dieser, ein offenes
Verfahren beim Oberverwaltungsgericht in Münster vor. Bisher ist nach
Aktenlage und technischer Konzeption keinerlei Ansatz erkennbar einen
Grundrechtsschutz für KFZ-Halter*innen vorzunehmen.
Ebenfalls in der Dokumentation zu Wort kommt ein Mitarbeiter der
Hilfsorganisation „Train of hope“, der eindrücklich auf eine Problematik
hinweist, vor der die Kritiker*innen der Kameraüberwachung stets gewarnt
haben. Durch die Überwachung in Kombination mit rassistischen
Stereotypen bei Polizeibeamt*innen kommt es nun vermehrt zu
polizeilichen Kontrollen aufgrund der vermuteten Herkunft. Die schon
lange bestehende Problematik des Racial Profiling wird durch die
optische Totalerfassung des Raums der Münsterstraße somit nicht
zurückgedrängt, sonder vielmehr noch weitergehend verstärkt und quasi
institutionalisiert in alltägliches polizeiliches Handeln.