Gastbeitrag von Horst Delkus
Atze Essing in der Nordstadt, Willy Witthoff in der Innenstadt – ältere Kund*innen erinnern sich noch an diese beiden Dortmunder Fahrradunternehmen der Nachkriegszeit. Witthoffs Fahrradgeschäft galt zeitweilig gar als das größte Fahrradhaus in Europa. 1950, zur Neueröffnung, schrieb die „Westfälische Rundschau“: „Wie ein Laden in Mailand und Paris wirkt dieses Spezialgeschäft.“ Dort gab es Räder und und sogar Mopeds mit eigener Marke. Dortmund war damals noch eine Fahrradhochburg. Und in den neunziger Jahren des 19. Jahrhunderts eines der Zentren der deutschen Fahrradwirtschaft. Kein Wunder also, dass im „Handbuch deutscher Fahrradmarken“ immerhin rund drei dutzend verschiedene Typenschilder von Fahrrädern `made in Dortmund` aufgeführt werden.
Eine historische Spurensuche in Dortmund, die leider viele Fragen offen lässt
Die größte Dortmunder Fahrradfabrik bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die von Wilhelm Stutznäcker. Mit einer Verkaufsstelle auf dem Westenhellweg, wo man neben Fahrrädern auch Nähmaschinen verkaufte. ___STEADY_PAYWALL___
Laut der Einträge im „Dortmunder Adressbuch“ gab es Ende des 19. Jahrhundertsin Dortmund insgesamt vier Fahrradfabriken:
„W. Stutznäcker“, über die wir ausführlich berichtet haben (siehe Teil 2 unserer kleinen Serie zur „Dortmunder Fahrradgeschichte“ im Anhang des Artikels), „Falkenberg & Büsing„ an der Weißenburger Straße, „Schneider & Co.“ an der Zimmerstraße und „Julius Hartung“ an der Kuckelke.
Die „Westfalia“-Räder von „Falkenberg & Büsing“ machen Stutznäcker Konkurrenz
Die Quellenlage und historische Überlieferung zu all diesen Unternehmen ist mehr als bescheiden. Versuchen wir trotzdem eine Spurensuche.
Im Jahr 1885, noch zu Hochradzeiten, gründeten Wilhelm Falkenberg und Friedrich Büsing eine nach ihnen benannten Fahrradfabrik: „Falkenberg & Büsing“.
Zunächst baute man Räder in der Stubengasse, bald zogen sie um in die Weiherstraße. Und irgendwann landeten sie an der Weißenburger Straße.
„Falkenberg & Büsing“ hatte, wie damals für eine „Veloziped-Fabrik“ üblich, eine Schmiede und Schlosserei sowie eine eigene Vernickelungs-Anstalt. 1898 waren dort rund 40 Arbeiter beschäftigt.
Eine zeitlang galt „Falkenberg & Büsing“ als Dortmunder Konkurrent der Fahrradfabrik von Stutznäcker. Hier in der Weißenburger Straße produzierten sie ihre „Westfalia“-Fahrräder.
Das Fabrikschild dieser Räder, vorne am Rad am Steuerrohr angebracht, war farbig Schwarz-Rot-Gold, mit Schlegel und Eisen, Speichenrad und Westfalenross.
Letzte Aufzeichnungen zum Unternehmen von 1935 – nach dem Zweiten Weltkrieg verlieren sich die Spuren
Am 1. Mai 1892 meldeten „Falkenberg & Büsing“ beim Kaiserlichen Patentamt ein Patent für eine „Innenverzahnung mit Kugeln“ an, über die auch die Zeitschrift des Vereins Deutscher Ingenieure berichtete.
1908 ließ man sich den Namen „Westfalia“ für „Fahrräder, Teile derselben sowie Fahrradausrüstungsgegenstände“ als Marke schützen.
Im „Handbuch deutscher Fahrradmarken“ wird „Falkenberg & Büsing“ 1928 noch als „Westfalia-Fahrräder- u. Waschmaschinenfabrik“ erwähnt. Man produzierte dort auch Waschmaschinen. Mit Wassermotor.
Die letzte Aufzeichnung findet sich im „Adressbuch des Fahrrad-, Motorrad-, Nähmaschinen- und Büromaschinenfaches“ von 1935. Ansonsten ist über die Westfalia-Fabrik an der Weißenburger Straße so gut wie nichts bekannt. Nach dem II. Weltkrieg verlieren sich die Spuren dieses Unternehmens völlig.
Wenig ist bekannt über die „Phönix“-Fahrräder von „Schneider & Co.“
Nicht weit entfernt vom Steinplatz, in der Zimmerstr. 28, gründete ein gewisser Paul Schimmelbusch Anfang der 1890er Jahre die Fahrrad-Fabrik „Schneider & Co.“. Diese Firma stellte Räder mit dem Markennamen „Phönix“ her. Auch sie hatte eine eigene Vernickelungsanstalt in der Metallteile des Rades mit einer Schutzschicht gegen Korrosion geschützt wurden.
Eine im Jahr 1948 erschienene Festschrift „50 Jahre Schneider & Co. K. G. Dortmund“ war bislang leider nicht aufzufinden. Frank Papperitz dokumentiert in seinem Standardwerk über die deutschen Fahrradmarken immerhin ein Steuerkopfschild dieser Firma, welches auf dem Foto oben links zu sehen ist. Rechts eine Anzeige von „Schneider und Co.“ aus dem Jahr 1898.
Die Fahrräder der Nähmaschinen-Fabrik „Julius Hartung“ auf der Kuckelke
Von dieser Firma auf der Kuckelke ist lediglich eine Anzeige in der „Dortmunder Zeitung“ vom 29. Mai 1898 bekannt.
Sie produzierte „Fahrräder in jeder Höhe und bekannter Güte“. Glaubt man der Anzeige, werden es Hochräder gewesen sein.
Wie die „Chemiker-Zeitung“ meldete hatte Julius Hartung, von Beruf „Mechaniker“, bereits im Jahr 1883 gemeinsam mit dem Kaufmann Adolf Engelhardt in Dortmund die Firma „Hartung & Engelhardt“ gegründet.
Sie war nicht sehr erfolgreich. Und wurde kurze Zeit später, am 11. September 1884 wieder gelöscht. Doch Julius Hartung blieb weiterhin unternehmerisch aktiv: Im Jahr 1928 ließ er es sich nicht nehmen, das 45jährige Jubiläum seines Unternehmens zu feiern.
Die „Union“-Fahrräder von „Friedrich Neuhaus“ wurden als „die besten“ angepriesen
Von diesem Fahrradwerk wissen wir noch weniger. Außer, das seine Räder nach der Anzeige von 1898 „die besten“ waren.Vom 10. Juni 1896 ist eine weitere Annonce überliefert, erschienen in „Der deutsche Radfahrer“, in der es heißt, dass die Räder „viele 1. Preise“ gewonnen hätten.“ Ab 1896 tritt die Firma als „Union-Fahrradwerk Friedrich Neuhaus“ auf.
Neben diesen Fabriken gab es in Dortmund eine Reihe von „Generalvertretern“
So annoncierte bereits im Jahr 1889 ein Berliner in der Dortmunder Zeitung:
„Eine außergewöhnlich leistungsfähige englische Fahrrad-Fabrik sucht für Dortmund und Umgebung tüchtige Vertreter.“
Die „Diana“-Fahrräder der Bielefelder Maschinen-Fabrik „Dürkopp & Co.“, einem der ganz Großen in der blühenden Fahrradbranche, verkaufte für die Kreise Dortmund und Hörde der Dortmunder Fahrradhändler Otto Buntenbach, am Markt 19.
Dort gab es sogar die ersten Lastenräder, die als „ unentbehrlich für Laden-Geschäfte“ und „das auffälligste, wirkungsvollste und vornehmste Reklame-Mittel“ beworben wurden.
„Wartburg“ konnte mit kettenlosen Rädern etwas ganz Besonderes anbieten
Der „Wartburg“ war in der ehemaligen DDR neben dem „Trabant“ die führende Automarke. Wie Opel, NSU (heute AUDI) und andere begann auch „Wartburg“ mit Fahrrädern.
Die Wartburg-Räder aus der Fahrzeugfabrik Eisenach vertrieb in Dortmund der damals berühmte Radrennfahrer Gustav Metscher.
Etwas Besonderes waren die kettenlosen Fahrräder. Der Gründer der Eisenacher Fahrradfabrik, Heinrich Ehrhardt, hatte sie 1896 erfunden.
Sein kettenloser Fahrradantrieb funktionierte über Lochscheiben mit Zapfen und wurde nach ihm benannt: System Ehrhardt. Diese Räder wurden noch bis 1927 hergestellt.
Mit Beginn des 20. Jahrhunderts verlor die Dortmunder Fahrradwirtschaft an Bedeutung. In den zwanziger Jahren spielte sie offenbar keine bedeutende Rolle mehr.
Das änderte sich erst wieder nach dem 2. Weltkrieg, als der Fahrradmarkt erneut boomte. Dann kam die große Zeit von Willy Witthoff und Atze Essing. Sie endete mit dem Sieg fossiler Treibstoffe und motorisierter Fahrzeuge über die Muskelkraft. Aber das ist schon wieder eine ganz andere Geschichte.
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SERIE Dortmunder Fahrradgeschichte (1): Die Wiege der deutschen Fahrradindustrie stand in Dortmund
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