Die Dortmunder Polizei hat einen neuen Staatsschutz-Chef: Robert Herrmann folgt Karsten Plenker nach, der wegen seiner „nicht un-erfolgreichen Arbeit in Dortmund“ nun Chef des Leitungsstabs der Polizei Recklinghausen ist. Herrmann kommt in Dortmund nach eigener Aussage in eine „schlagkräftige und gut aufgestellte Behörde“ und treffe auf äußerst motivierte Kolleg*innen. Die wird er auch brauchen – denn der Kampf gegen den Rechtsextremismus soll „unvermindert weitergehen“ – auch und gerade in einer Zeit, wo die derzeitige Schwäche der Neonazi-Szene in Dortmund offensichtlich ist.
Gemeinsame Kraftanstrengung von Polizei, Behörden und Zivilgesellschaft
Polizeipräsident Gregor Lange glaubt, in Herrmann den richtigen Mann gefunden zu haben, weil dieser Erfahrungen im Staatsschutz, der Gefahrenabwehr und Großlagen mit sich bringt. Zudem verfügt der 45-jährige Dortmunder durch seine bisherigen Tätigkeiten über ein gutes Netzwerk in Land und Bund. So hat er Führungskräfte in Organisation, Taktik und Technik geschult und in Großlagen beraten.
Neue Großlagen im Bereich Rechtsextremismus erwartet bzw. befürchtet Lange zwar derzeit nicht. Aber der Vernetzungsarbeit kommt noch stärkere Bedeutung zu. Lange und jetzt auch Herrmann werden dabei nicht müde, zwar die offensichtlichen Erfolge im Kampf gegen den organisierten Rechtsextremismus zu betonen – aber sie machen zugleich deutlich, dass dies nur durch eine gemeinsame Kraftanstrengung von Polizei, Behörden und Zivilgesellschaft gelungen sei.
Herrmann warb daher auch insbesondere bei der Bevölkerung um Vertrauen: Trotz deutlich verbesserter Möglichkeiten der technischen und kriminaltaktischen Beweissicherung sei die Polizei immer noch vor allem auf Ansagen von Zeug*innen angewiesen: „Bitte vertrauen sie uns ihr Wort und ihre Informationen an – nur gemeinsam können wir es schaffen, Extremisten das Handwerk zu legen“, so Herrmann.
Er will um das Vertrauen auch bei verschiedenen Netzwerken werben – „ich freue mich auf Einladungen“, sagte er auch in Blick auf engagierte Netzwerke im Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.
Lange: „Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, dass wir das Problem erledigt hätten“
Denn bei allen Haftstrafen, Wegzügen und Ausstiegen sei die Gefahr des Rechtsextremismus keineswegs gebannt.
„Wir wollen nicht den Eindruck erwecken, dass wir das Problem erledigt hätten. Aber wir haben die Szene schwächen und ihre Handlungsoptionen einschränken können. Nicht alle führenden Köpfe der Szene sind der Meinung, dass sie hier den Rechtsextremismus weiter erfolgreich ausbauen können“, sagte Lange mit Blick auf den Wegzug des bisherigen Ratsvertreters der Neonazis, Michael Brück, der im Herbst 2020 nach Chemnitz gezogen war.
Der Rechtsextremismus in Dortmund hat eine lange Geschichte: „Wir sprechen über ein Feld, was uns seit den 80er Jahren umtreibt und beunruhigt. Wir haben es mit einer hartnäckigen und sich festsetzenden Szene zu tun, die mit Einschüchterung gegen die Bevölkerung einher geht“, blickte der Polizeipräsident zurück – geht allerdings nicht darauf ein, dass es die Zivilgesellschaft war, die zunächst die Stadt und anschließend auch die Polizei „zum Jagen tragen musste“. Dies war allerdings noch vor Lange.
Wie nachhaltig die Erfolge sind, bleibt abzuwarten – schon einmal hatte der Schein getrogen: Denn durch das Verbot der Kameradschaften bzw. der Autonomen Nationalisten 2012 gab es keine Verbesserungen – im Gegenteil: „Es hätte ja besser werden können. Aber die Szene hat es verstanden, sehr schnell in einen neuen Aktionsmodus zu kommen und aus der Verbotssituation einen Gewinn zu ziehen. Sie hat sich unter dem Schutz des Parteienprivilegs nahezu identisch in der Partei ,Die Rechte’ wiedergefunden und zunächst Rückenwind empfunden in der neuen Rolle“, so Lange.
Die rechtsextremistischen Straf- und Gewalttaten sind in Dortmund deutlich rückläufig
Doch mit einer Renaissance wie damals rechnet der Polizeipräsident nicht. Er verweist stattdessen auf die Entwicklungen der vergangenen Jahre. Denn seit dem massiven Anstieg an Straf- und Gewalttaten in den Jahren 2014/ 2015 hätten Polizei und Gesellschaft reagiert und seitdem viel erreichen können, betont Lange mit Blick auf die Zahlen.
Ab dem Jahr 2014 nahmen die Straftaten deutlich zu und erreichten mit 424 Straftaten und 49 Gewalttaten ihren Höhepunkt. Im vergangenen Jahr waren es „nur noch“ 203 Straftaten. Die Gewalttaten sind auf 13 zurückgegangen – die Aufklärungsquote liegt bei 87,5 Prozent. Möglich war dies durch einen mehr oder weniger engen Schulterschluss von Zivilgesellschaft, Stadt und Polizei. Und auch bei der Justiz gab es ein gewisses Umdenken.
Daher wurde der Druck auf die rechtsextreme Szene in den letzten Jahren immer größer – und gipfelte auch in einer Vielzahl von Verurteilungen wie Haftstrafen. Zudem gab es Wegzüge und Ausstiege – „die Szene ist personell und organisatorisch geschwächt – so schwach, wie wir sie seit Jahrzehnten nicht erlebt haben“, so Lange.
Sie sei mit dem „Kampf um Straße, Köpfe und Parlamente gescheitert“ – erkennbar sei eine Mobilisierungsschwäche und auch die bundesweite Vorreiterrolle und Attraktivität hätten die Dortmunder Neonazis eingebüßt. „Wir haben viel erreicht und die Szene schwächen können – das haben wir dem Schulterschluss vieler Akteure zu verdanken“, so Lange.
2015 gab’s 84 rechtsextreme Intensivtäter – aktuelle Zahlen möchte die Polizei nicht nennen
„Aber die Gefährlichkeit von Rassismus, Antisemitismus, Hass und Hetze ist nach wie vor existent“, wenngleich Dortmund bundesweit keine herausgehobene Rolle mehr spiele. In diese Phase kommt unser neuer Staatsschutz-Chef. Es soll weiter Druck gemacht werden, denn: „es sind noch zahlreiche Akteure da und die haben wir ins Visier genommen.“
Doch wie gefährlich und selbst wie personenstark die Dortmunder Szene noch ist, gibt sich die Polizeiführung eher wortkarg. Während man zum Start der „Sonderkommission Rechts“ von 84 rechtsextremen Intensivtätern sprach, will man sich heute nicht festlegen. Das sei nur eine Momentaufnahme. Wortkarg gibt man sich mit Blick auf die Rolle der führenden Köpfe, die in Haft saßen bzw. noch sitzen. Doch ob diese wieder in die Szene zurückkehren und weiter eine führende Rolle spielen, auch dazu will man sich nicht äußern.
So hat Galionsfigur Siegfried „SS-Siggi“ Borchardt sein erneutes Gastspiel in Haft längst wieder beendet. Sascha Krolzig, immerhin Co-Bundesvorsitzender der Partei „die Rechte“, befindet seit kurzem im offenen Vollzug – im September soll seine Haftstrafe enden. Auch andere Akteure sehen einem Haftende entgegen – so Christoph und Matthias D. und Steven F., die im kommenden Jahr nach Dorstfeld zurückkehren könnten. Ob diese weiter eine Rolle spielen werden oder aussteigen, dazu schweigt man sich bei der Dortmunder Polizeiführung noch aus.
Künftige Ausrichtung der Szene fraglich – Haftstrafen ändern – Krolzig ist im offenen Vollzug
Unsicherheit in der Beurteilung gibt es beim polizeilichen Staatsschutz offenbar gegenüber der möglichen neuen Strategie ganz rechts außen. Denn ob nach den Misserfolgen bei Wahlen, aber auch bei Aktionen auf der Straße, andere Strategien und Aktionen zu erwarten sind, will man noch nicht beurteilen.
„Brück war halbwegs intelligent und einigermaßen geschickt, was er an Aktionen angelegt und umgesetzt hat“, kommentiert Lange die Nachfrage von Nordstadtblogger. Wenn diese „strategische Intelligenz durch Dummheit ersetzt“ werde, könne die Szene die fehlende Aufmerksamkeit durch andere Formen auf sich aufmerksam machen – und dann könnte es vielleicht auch wieder zu Straf- und Gewalttaten kommen.
„Da ist keine abschließende Aussage zu treffen – es wird sich in den nächsten Wochen und Monaten zeigen, wo da die Reise hingeht“, so der Polizeipräsident. Dies auch ein Grund, warum man das Intensivtäter-Konzept weiter verfolgt, wo jedem auffälligen Neonazi mindestens ein Staatsschützer zugeordnet ist, ergänzt Herrmann. Dieser bündelt alle Delikte – nicht nur politisch motivierte, sondern jegliche Art von Verstößen.
Diese teils kleinen Vergehen zu bündeln war erfolgreich und führte auch mehrfach zu (Untersuchungs-)Haft – ein Instrument, was man auch beim Thema Nordstadt- und Clan-Kriminalität verfolgt. „Wir sind ständig wachsam und ruhen uns auch auf keinen Erfolgen auf. Wir werden jeden kleinsten Anhaltspunkt ahnden und dagegen vorgehen. Unser Intensivtäterkonzept ist gut geeignet – wir geben Gas“, betont der neue Staatsschutz-Leiter.
Online-Radikalisierung als Problem – Wechselwirkung zwischen Neonazis und Querdenken?
Doch nicht nur vom organisierten Rechtsextremismus gehen Gefahren aus – Halle und Hanau lassen grüßen: Im Zeitalter von Social Media und anderen Online-Möglichkeiten braucht es keine Strukturen mehr, sich zu radikalisieren. „Da gibt es oft ein unglaubliches Tempo, wie sich Einzelne von 0 auf 100 radikalisieren und durchknallen. Gerade dieses Risiko ist bundesweit immer gegeben, weil wir Hass und Hetze-Foren bundesweit haben“, so Lange.
Dabei richtet die Polizei natürlich auch den Blick „auf den Graubereich Rechtspopulismus, da verschwimmt jetzt einiges“ mit dem organisierten Rechtsextremismus: „Viele Gefahren liegen in der Brandbeschleunigung, was an Worten und Hetzreden in die Gesellschaft getragen wird. Daher ist auch die Frage, ob die AfD als Beobachtungsobjekt zu sehen ist, eine wichtige Frage“, so Lange mit Blick auf die mögliche Behandlung der Partei durch den Verfassungsschutz. „Da liegen erhebliche Gefahren als Brandbeschleuniger, denen man auch entgegentreten muss.“
Doch da sieht er nicht die Aufgabe der Polizei, anders als beim Einsatz dafür, zu verhindern, dass die Neonazis sich organisatorisch und personell neu aufbauen können. Dies gilt auch mit Blick auf den erneuten Versuch in Richtung Impfgegner, dort anzudocken. „Es gibt Wechselwirkungen, die wir ahnen und feststellen, wie bei der Querdenker-Szene. Das betrachten wir sehr genau“, so Herrmann.
Seine aus drei Kommissariaten bestehende „Kriminalinspektion Staatsschutz“ ist nicht nur für den Rechtsextremismus, sondern auch für Linksextremismus, den islamistischen Terrorismus sowie für die sogenannte ausländisch motivierte Kriminalität zuständig. Doch Problemlagen gibt es in diesen Feldern in Dortmund derzeit nicht. Zwar gebe es Straftaten – beispielsweise durch reisende Straftäter, die woanders Straftaten begehen, oder Menschen von woanders, die im Rahmen von Demos hier Straftaten begingen. „Wir haben aber keine linksextremistische Szene, wie sie andere Großstädte oder Ballungsräume haben“, so Robert Herrmann.
Mehr zum Thema bei nordstadtblogger.de:
https://www.nordstadtblogger.de/kommentar-ueber-neonazis-erwuenschte-schlagzeilen-fragwuerdige-einsaetze-und-gesellschaftliche-verantwortung/
Erstes „Rathaus-Sturm“-Verfahren: Neonazi wegen Körperverletzung und versuchter Nötigung verurteilt