In ihrem jüngsten Arbeitslosenreport setzen sich die Wohlfahrtsverbände NRW erneut mit der Lage auf dem Arbeitsmarkt auseinander – insbesondere mit Blick auf Personengruppen, die Leistungen nach SGB II (Hartz-IV bzw. ALG 2) beziehen. Dabei geraten die Jobcenter teils derbe in die Kritik. Es geht in dem Themenspektrum um die Verwendung von Bundesmitteln zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt, es geht um Aktivierungsquoten, um die Förderung besonders Bedürftiger, Sanktionen im Falle mangelnder Kooperation und um vieles mehr. Wie sehen die beteiligten Institutionen in Dortmund das? – Nordstadtblogger Thomas Engel hat nachgefragt und mit den Akteuren ein Hintergrundgespräch geführt. Beim virtuellen Meeting waren dabei: Dr. Regine Schmalhorst, Geschäftsführerin des Jobcenters Dortmund, Anna Markmann, Leiterin Markt und Integration im Jobcenter, sowie Gunther Niermann, Kreisgruppengeschäftsführer des Paritätischen Dortmund, für die Freie Wohlfahrtspflege in der Kommune.
(Angesichts seines erheblichen Umfangs haben wir das Interview zweiteilig gestaltet; zudem längere wörtliche Passagen teils über indirekte Rede bei Wahrung der Aussageinhalte verkürzt. Herausgekommen ist ein etwas ungewöhnliches, aber durchaus als experimentell zu verstehendes Format.)
Verwendung von Bundesmitteln zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt seitens der Jobcenter
Nordstadtblogger: Im jüngsten Arbeitslosenreport der Freien Wohlfahrtspflege NRW werden die Jobcenter kritisiert, weil sie mittlerweile 127 Millionen Euro der vom Bund zur Grundsicherung zugewiesenen Mittel nicht für Eingliederungsleistungen ausgeben. Immerhin weitere 71 Millionen der Gelder wurden noch in die Verwaltungsetats umgeschichtet, Tendenz aber fallend. Wie sieht das in Dortmund mit den Bundesmitteln aus, die nicht verwandt werden? ___STEADY_PAYWALL___
Dr. Regine Schmalhorst: „Die Frage ist: Wie gelingt es, die Gelder aus dem Eingliederungstitel zu nutzen und nicht so viel umzuschichten?“ Dortmund gehöre hier zu den Jobcentern, „die ganz wenig umschichten“; 2,5 Prozent seien es aktuell noch, ausgehend vom Eingliederungstitel, die umgeschichtet werden. Doch es hätte auch Zeiten gegeben, da waren es auch schon mal 17, 18 Prozent.
„Operativ ist das so untersetzt, dass wir insbesondere den Fokus auf die Langzeitarbeitslosen setzen, auf Weiterbildungsmaßen, aber auch Arbeitsaufnahmen unterstützen, mit Einstiegsgeld zum Beispiel.“ Da stecke immer eine sehr ausgefeilte Planung hinter. Es ginge um Eintritte, um Maßnahmen, die sowohl auf die Bedarfe der Kund*innen abzielen, als auch auf die Bedarfe am Markt. Etwa im Hinblick auf Weiterbildung.
Relativ niedrige „Aktivierungsquoten“ förderungsbedürftiger Personengruppen in Dortmund
Nordstadtblogger: Die Aktivierungsquote in Dortmund liegt bei drei vulnerablen Personengruppen relativ zu der in NRW unter dem Durchschnitt. Das ist bei den Berufsrückkehrern, Geringqualifizierten und Jüngeren der Fall. Bei den letzteren etwa sind es in Dortmund an die 21, in NRW aber 31 Prozent. Woran liegt das?
Schmalhorst: „Die Aktivierungsquote zeigt nicht unbedingt das, was wir machen, um Menschen in Arbeit zu integrieren.“
Anna Markmann: Wir haben ganz deutlich den Schwerpunkt auf die Beschäftigungsaufnahme gesetzt.“ Maßnahmen, um dies zu erreichen, fielen nicht unbedingt unter die Aktivierungsquote.
Nordstadtblogger: „Was sagt denn die Aktivierungsquote konkret aus?“
Markmann: Darunter fallen klassische Maßnahmen wie MAT [Maßnahmen bei einem Träger], § 45, „wo es um kurze Trainings geht“. Etwa: Bewerbertraining, eine kurze Kenntnisvermittlung. „Solche Maßnahmen, die in der Regel zwischen drei und maximal zwölf Wochen dauern.“
Also: Kurze Trainingsmaßnahmen. Weiter gehören dazu etwa Maßnahmen zur Eingliederung oder solche für Menschen mit Behinderung, berufliche Weiterbildung. Ebenso Zuschüsse nach § 16e [für Personen, die mindestens zwei Jahre arbeitslos gemeldet sind] Teilhabechancengesetz. Nicht aber § 16i [mindestens sechs Jahre arbeitslos gemeldet]. „Da haben wir so round about 1.000 Förderfälle, die nicht in die Aktivierungsquote Einzug finden.“
Jobcenter Dortmund: Freiwilligkeit steht bei Maßnahmen zur Aktivierung im Vordergrund
Nordstadtblogger: Also wäre die Formulierung bzw. Kritik seitens der Wohlfahrtsverbände, dass noch nicht einmal jeder vierte Mensch, der im Hartz-IV-System arbeitslos ist, mit einer aktiven Hilfe zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt unterstützt wird – die wäre dann so ja nicht ganz richtig …
Markmann: „Zum Beispiel, genau. Wir haben ja auch eine recht geringe Sanktionsquote. Es ist ja nicht so, als würden wir den Menschen das Angebot nicht machen.“ Ein weiterer Punkt: „Wir setzten in Dortmund vielfach bei der Aktivierung darauf, dass die Menschen da auch freiwillig mitmachen.“
Das müsse auch in Relation zu anderen Ruhrgebietsstädten gesehen werden. Gerade jetzt seien sie intensiv dabei, jedem auch ein Angebot zu machen. Viele wollten dies aber in Corona-Zeiten nicht annehmen.
Zu den jüngeren Menschen: „Wir haben in Dortmund einen sehr dynamischen Arbeitsmarkt auf der Helferseite.“ Hier sei es vergleichsweise einfacher als woanders, eine Beschäftigung zu finden. Daher: gerade bei jüngeren Menschen mit hohen Integrationsquoten gäbe es einen unterdurchschnittlichen Aktivierungsteil.
Gedanklicher Geburtsfehler der Hartz-IV-Gesetzgebung: „Es regelt der Markt“
Nordstadtblogger: Herr Niermann, haben Sie da was?
Gunther Niermann: „Ich sehe durchaus sehr Positives“. Dass die Aktivierungsquoten in Dortmund vergleichsweise gut seien, zumindest „je näher man ran geht“. Sie seien „dem Grundsatz nach immer besser als in anderen Kommunen.“ Das habe, wie beschrieben, etwas mit der Marktsituation hier zu tun.
Die basale Kritik richtet sich gegen die Hartz-IV-Gesetzgebung: „Was im Grundsatz republikweit nicht funktioniert, das ist die Logik in Hartz-IV.“ Die sei: „Es regelt der Markt.“ Denn Grundprinzip von Hartz-IV laute: „Wir liberalisieren und setzen darauf, dass der Markt es reguliert“. Die Menschen eingeschlossen.
Die Lüge dahinter, in seinen Augen, an diesem Paradigma von der allein selig machenden Marktfunktion ist: „dass das nicht funktioniert“ – möchte er diesen Satz aber ausdrücklich nicht an das Jobcenter Dortmund gerichtet verstanden wissen. Die Jobcenter hätten es in der Regel mit weniger Qualifizierten zu tun. Sei ich Arbeitgeber, müsse ich mich entscheiden, wen ich denn nähme: Wer macht mir das Leben schwer, wer nicht? Dann natürlich diejenigen, wo es einfacher ist. „Die Arbeitsplätze, die die Kunden und Kund*innen des Jobcenters bräuchten, die gibt es ja in der Masse gar nicht. Die sind einfach schlicht nicht da.“
Da sei ein weiterer Webfehler: Die Mittel, die der Bund einsetzen müsste, da müsse Geld in die Hand genommen und gesagt werden: „Wir brauchen einen zweiten oder dritten Arbeitsmarkt (…), wo man Anreize schafft für Arbeitgeber, wo man eine Welt schafft, wo die Kundinnen und Kunden, die zu einem ganz erheblichen Teil arbeiten wollen“, reinpassten. Die Menschen, sie hätten ein großes Interesse an einer sinnvollen, bezahlten Beschäftigung. „Und zweitens sagen die ihnen auch, sie sind das Amt los.“ Gleichwohl: „Die Kundenorientierung im Jobcenter Dortmund ist aus meiner Sicht überdurchschnittlich gut.“
Jobcenter bräuchten mehr freie Mittel – für eine eigenständigere lokale Arbeitsmarktpolitik
Nordstadtblogger: Gibt es da ein Passungsproblem?
Niermann: „Ich bin da bei ihnen.“ Das sei auch ein Webfehler der Gesetzgebung. Das Individuum würde da mitunter nicht gesehen, mit dem, was es braucht. Das sei aber keine Frage der Haltung von Mitarbeiter*innen aus dem Jobcenter. Dort sei die Haltung, „angefangen bei der Geschäftsleitung, dass man individuelle Lösungen finden möchte und die Leute am Ende des Tages zufrieden sind mit der Leistung“.
Was es bräuchte, das sei „eine Kombination mit freien Mitteln für das Jobcenter“. Wenn der Eingliederungstitel … einen relevanteren Anteil hätte, mit dem Frau Dr. Schmalhorst und ihr Team zusammen und in Abstimmung mit dem Beirat Jobcenter …, wenn es da eine größere Handlungsfreiheit vor Ort gäbe“ – dann ist das aus Sicht der Wohlfahrtsverbände mithin durchaus von Vorteil.
Nordstadtblogger: Frau Dr. Schmalhorst, ist das System zu starr? Da sind bürokratische Vorgaben, da kommen wir nicht drum herum, aber die Freien Wohlfahrtsverbände beklagen ja, dass die Weise, wie ausgeschrieben würde, zu eng sei …
Schmalhorst: „Wir sind ans regionale Einkaufszentrum gebunden, da geht’s dann immer auch um den wirtschaftlichen Aspekt.“ Und um die Qualität der Maßnahmen. Die Frage sei, wie die weiter gesteigert werden könnte. „Aber ich kann nicht sagen, ich bin jetzt kreuzunglücklich damit. Wir haben immer vernünftige und gute Wege gefunden.“
Wichtig sei: „Welche Spielräume haben wir?“ Verstärkt begännen sie gerade damit, in „16f-Maßnahmen“ [freie Leistungen zur Eingliederung in Arbeit] zu gehen, wo nicht über das regionale Einkaufszentrum ausgeschrieben werden müsse und das Jobcenter die Maßnahmen selbst gestalten könne.
Finanzielles Risiko: Beschäftigungsförderung über das Teilhabechancengesetz
Markmann: Das seien dann keine Standardprodukte. „Da müssen wir gut gucken, was haben wir für Anbieter und Träger in Dortmund.“ Da ginge es aber nur um Lücken, die vom Standardangebot nicht abgedeckt würden. Sonst müsste wegen der Bindung an die Wirtschaftlichkeit auf letztere zurückgegriffen werden.
„Was wir jetzt auf den Weg bringen, das ist ein Beratungsangebot für Menschen mit Migrationshintergrund.“ Mit einem ganzheitlichen Ansatz und enger Betreuung, was aber auch sehr kostspielig sei. Ebenso engagiert sich das Jobcenter stark in beruflicher Weiterbildung, es gibt abschlussorientierte Maßnahmen, die gefördert werden, „wo die Verweildauer eine längere ist“, die dann aber auch viel teurer seien. „Auch das geht zulasten einer Aktivierungsquote, wenn sie wenige hochwertige Maßnahmen fördern, und eben nicht viele Maßnahmen fördern, wo Menschen nur zwei Wochen drin sind.“ Das müsse immer gegeneinander abgewogen werden.
Summa summarum: Ein Schwerpunkt liegt bei der Beschäftigungsförderung, dass die Menschen in den Arbeitsmarkt – sei es auch ein geförderter – gebracht würden. Also etwa über das Teilhabechancengesetz, § 16i. „Da gehen wir ein hohes Risiko ein für uns“, denn das Jobcenter hat durch die Bezuschussung über fünf Jahre Aufwendungen. Doch das machten sie bewusst in Dortmund: Besser die Menschen gingen in ein öffentlich gefördertes Beschäftigungsverhältnis, anstatt irgendwo ein Bewerbungstraining zu machen.
Statt hoher Aktivierungsquoten um jeden Preis: Maßnahmen anbieten, die Perspektiven versprechen
Schmalhorst: „Ich glaube die Aktivierungsquote bildet nur einen Bruchteil ab, was wir leisten für Kundinnen und Kunden.“
Da gäbe es individualisierte Beratungen, „nicht nur 08/15“, sondern ganzheitlich, Vorbereitungsaktivitäten, die nicht bei einem Bildungsträger stattfinden, das Coaching-Angebot im Gesundheitshaus, einem Vorreiter in der Bundesrepublik – alles Dinge, die sich in keiner Aktivierungsquote wiederfänden.
Zur abschlussorientierten beruflichen Weiterbildung: da stecke auch vorher sehr viel Arbeit drin. Die richtigen Bewerber, mit den richtigen Kompetenzen für die richtige Richtung müssten schließlich gefunden werden. Es folgt: „Es nutzt uns keine hohe Aktivierungsquote, wenn wir danach hohe Abbrüche haben.“
Die Quote ist infolgedessen für die Leiterin des Dortmunder Jobcenters mitnichten Selbstzweck. Obwohl der sich ja wunderbar in Statistiken niederschreiben lässt: „Keine Eintritte der Eintritte wegen“, darum ginge es ihr. „Um sinnvolle Maßnahmen, den Kunden und Kundinnen Perspektiven auf unserem Markt zu bieten.“
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„Mit einem blauen Auge davongekommen!“ – Arbeitsagentur Dortmund zur Lage auf dem Arbeitsmarkt 2020
Reader Comments
D. Schneider
Ich bin zur Zeit in der glücklichen Lage, nicht von Harz4 abhängig zu sein, kenne aber sehr wohl die Situation, wie es ist, dauernd in zweifelhaften Beschäftigungsmaßnamen geschickt zu werden, und dem Risiko, der Willkür der Arbeitsamt -Vermittler ausgesetzt zu sein. Harz4 war zudem der Grabstein der einstigen Arbeiter -Partei, was der Herr Schröder zu verantworten hat, aber der lässt sich ja nun von Putin lenken.
Ich hoffe sehr bald, das in der SPD und anderen Parteien ein Umdenken vorangetrieben wird.
Philipp K.
„Willkür der Arbeitsvermittler“ – das ist ein massives Problem. Menschen die nach einer zweijährigen Ausbildung im öffentlichen Dienst über das Leben anderer Menschen entscheiden können. Als Studienabbrecher mit vorheriger fünfjähriger Ausbildung ist das erste, was mir das Fallmanagement angeboten hatte, eine Stelle als Versandmitarbeiter. Menschen, die eine 100 % Sanktion aussprechen wissen genau das die „Kunden“ wohl auf der Straße landen. Wenn man Arbeitsvermittler werden will, muss man scheinbar eine dissoziale Persönlichkeit haben. Menschen, die über andere urteilen sind oft sehr unzufrieden mit dem eigenen Leben. Sie können es nicht verkraften, dass andere Personen mit ihrem Leben zufrieden sind. „Wenn-dann“ Wenn der Kunde nicht macht, was ich will, dann bestrafe ich den Kunden. Die Rechte und Pflichten, die auf zahlreichen Schreiben stehen, werden paradoxerweise oft selbst nicht eingehalten. Nach einer telefonischen Kontaktaufnahme kann die Kreativität des Arbeitsvermittlers via „Vermerk“ in der Akte ausgelebt werden. Wird so gut wie nie kontrolliert und führt dazu, dass eine Pseudo-Realität geschaffen wird, in der sich der Arbeitsvermittler dann wieder sehr wohlfühlt #gaslighting.
Warum wird nicht eine digitale Schulung auf der Internetseite der Bundesagentur für Arbeit bereitgestellt. Mit Inhalten wie zum Beispiel: Bewerbungstraining, Kochen mit wenig Geld, Sparmaßnahmen, Prävention zur psychischen Gesundheit, Motivationstraining, Erklärvideos, Persönlichkeits- u. Leistungstest, Selbstmanagement, Tagebuch, Grübel-Stopp oder Rückfallprophylaxe.
So nach dem Motto: „Ich bin arbeitssuchend geworden, weil mein Arbeitgeber insolvent geworden ist. Das hat mich am Anfang sehr belastet aber durch das Selbstmanagement bei der Bundesagentur für Arbeit habe ich wieder Hoffnung. Ich konnte in kürzester Zeit enorm viel Geld einsparen, was mich sehr beruhigt hat. Durch den Persönlichkeitstest habe ich herausgefunden, was mir wirklich liegt und Spaß macht. Die Bewerbung nach dem Bewerbungstraining schrieb sich quasi von allein. Rückblickend auf das Tagebuch und Motivationstraining wird mir die positive Entwicklung nochmal klar und ich sehe die Dinge jetzt aus einer anderen Perspektive. Ich erkenne Gefahren im Leben, die meine Tätigkeit gefährden und handle sofort. Durch das Portfolio der BA habe ich schnell und zielführend einen passenden Arbeitsplatz gefunden.“
Weiterbildung für Geringqualifizierte verbessern – Forderung der AG der Freien Wohlfahrtspflege NRW (PM)
Weiterbildung für Geringqualifizierte verbessern – Forderung der AG der Freien Wohlfahrtspflege NRW
Eine Weiterbildung im Beruf dient der Bekämpfung des Fachkräftemangels und der Vermeidung von Arbeitslosigkeit. Deswegen sollten Fördermaßnahmen zur beruflichen Weiterbildung von Geringqualifizierten ausgeweitet und verbessert werden, fordert die Freie Wohlfahrtspflege NRW in ihrem neuen Arbeitslosenreport. „Die Angebote müssen sich viel stärker an individuellen Bedarfen orientieren und mehr begleitende soziale Unterstützung bieten“, sagt Dr. Frank J. Hensel, Vorsitzender der LAG Freie Wohlfahrtspflege NRW.
Fast die Hälfte (44,8 Prozent) der Beschäftigten, denen die Arbeitsagentur 2019 eine berufliche Weiterbildung mitfinanzierte, hatte keine abgeschlossene Berufsausbildung. Vor allem ältere Arbeitnehmer:innen und Alleinerziehende werden noch zu wenig gefördert. „Wir brauchen einen Innovationsschub bei der Entwicklung gezielter Weiterbildungsangebote, um lernungewohnte und geringqualifizierte Personen besser zu erreichen“, fordert Hensel. Gefördert werden müssten beispielsweise auch die Übernahme von Fahrtkosten und eine gute Kinderbetreuung. „Die gesetzlichen Rahmenbedingungen lassen das zu. Die Arbeitsagenturen sollten aber ihren Ermessensspielraum viel stärker ausschöpfen. Es fehlen zudem noch passgenaue Angebote, die die Menschen ermutigen, ihre Chancen der Weiterbildungsförderung auch tatsächlich zu nutzen“, sagt Hensel. Eine niedrigschwellige unterstützende Lernbegleitung, kleinere Lerneinheiten mit ausreichend Zeit und die Anerkennung von Zwischenzielen könnten Bausteine sein, um die aktuelle Krise am Arbeitsmarkt als Chance zur Weiterbildung zu begreifen.
Run auf Engpassberufe wie Altenpflege
Die meisten beruflichen Weiterbildungen wurden 2019 in NRW in der Altenpflege gefördert (30,5 Prozent von insgesamt 5012 Fördermaßnahmen). „Der Beruf ist wichtig und der Bedarf riesig, deswegen freuen uns diese Zahlen besonders“, sagt Hensel. Altenpflege gehöre wie beispielsweise auch Fahrzeugführung im Straßenverkehr zu sogenannten Engpassberufen, für die Weiterbildung zu Fachkräften von der Bundeagentur besonders gefördert wird.
Die Wohlfahrtsverbände sähen sich in einer Mitverantwortung, Weiterbildungsangebote für die neuen generalistischen Berufsbilder der Pflegefachassistenz sowie der Pflegefachfrau und des Pflegefachmannes zu konzipieren.
Den Betrieben entgegenkommen
In den Fällen, in denen Beschäftigte wegen einer Weiterbildung ihrer normalen Arbeit nicht voll nachkommen können, brauchen Betriebe Zuschüsse, damit sie die Löhne weiterzahlen können. „Gerade Beschäftigte mit niedrigen Löhnen können während einer beruflichen Weiterbildung nicht auf Einkommen verzichten, da sie meist keinerlei Rücklagen haben“, sagt Hensel. Deshalb hätten bisher zu oft ausgerechnet die darauf verzichtet, die eine fundierte Weiterbildung besonders benötigten. „Wir begrüßen die Möglichkeit des Entgeltzuschusses für die Betriebe ausdrücklich und wünschen uns, dass davon angemessen Gebrauch gemacht wird“, bekräftigt Hensel.
Man müsse zudem den Betrieben helfen, vorübergehenden Ersatz zu finden für die Beschäftigten, die für eine Weiterbildung freigestellt werden. Die Freie Wohlfahrtspflege regt an, Konzepte in Kooperation mit Beschäftigungsträgern zu entwickeln, um solche Stellen zum Beispiel mit Langzeitarbeitslosen zu besetzen, die im Rahmen des Teilhabechancengesetzes gefördert werden.
Hintergrund: Die Wohlfahrtsverbände in NRW veröffentlichen mehrmals jährlich den „Arbeitslosenreport NRW“. Basis sind Daten der offiziellen Arbeitsmarktstatistik der Bundesagentur für Arbeit. Hinzu kommen Kennzahlen zu Unterbeschäftigung, Langzeitarbeitslosigkeit und zur Zahl der Personen in Bedarfsgemeinschaften, um längerfristige Entwicklungen sichtbar zu machen. Der Arbeitslosenreport NRW sowie übersichtliche Datenblätter mit regionalen Zahlen können im Internet unter http://www.arbeitslosenreport-nrw.de heruntergeladen werden. Der Arbeitslosenreport NRW ist ein Kooperationsprojekt der Freien Wohlfahrtspflege NRW mit dem Institut Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen.
In der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege NRW haben sich 16 Spitzenverbände in sechs Verbandsgruppen zusammengeschlossen. Mit ihren Einrichtungen und Diensten bieten sie eine flächendeckende Infrastruktur der Unterstützung für alle, vor allem aber für benachteiligte und hilfebedürftige Menschen an. Ziel der Arbeit der Freien Wohlfahrtspflege NRW ist die Weiterentwicklung der sozialen Arbeit in Nordrhein-Westfalen und die Sicherung bestehender Angebote. Die Freie Wohlfahrtspflege NRW weist auf soziale Missstände hin, initiiert neue soziale Dienste und wirkt an der Sozialgesetzgebung mit.