Friedliches, gedeihliches jüdisches Leben in Dortmund: „Wir sagen allen – allen, die das so nicht wollen, den Kampf an!“

Zwi Hermann Rappoport (Vorstand Kultusgemeinde) und Bürgermeister Norbert Schilff. Fotos: Thomas Engel

Besonderes Ereignis, doppelter Anlass. Ein symbolträchtiger Akt, der für unermessliches Leid, aber auch für Hoffnung steht: Sechs Jungbäume sind auf Initiative der Jüdischen Kultusgemeinde in Dortmund im südlichen Teil des Stadewäldchens mithilfe sorgsamer Expertise des Dortmunder Grünflächenamtes angepflanzt worden. Auf dass sie wachsen und gedeihen mögen. Sie wurden am Tag nach dem internationalen Holocaustgedanktag – dem jüdischen Feiertag Tu BiSchwat („Neujahrstag der Bäume“) gepflanzt, weil dann in Israel der Frühling beginnt.

Zusammenkunft einer kleinen Gruppe von Menschen im Dortmunder Stadewäldchen

Wenig frühlingshaft dagegen im Stadewäldchen. Kommentare zum Wetter verbieten sich, ohne sprachlich in die unteren Schubladen greifen zu müssen. „Nasskalt“ wäre noch freundlich. – Egal. Es geht um Wichtigeres. Eine kleine Gruppe von Menschen steht unter Regenschirmen zusammen. Neben Vertretern der Stadt Dortmund sind es Mitglieder der Jüdischen Kultusgemeinde.

Der Anlass der also Corona-bedingt fast konspirativen Zusammenkunft steht für zweierlei, was sich diametral widerspricht. Und mehr: „Es gibt keinen größeren Gegensatz als zwischen Leben und Tod“, sagt Zwi Hermann Rappoport, Vorstand der Kultusgemeinde, in seiner kleinen Ansprache zu den Umstehenden.

Sechs Millionen Opfer, sechs Bäume: Mahnung und Zeichen des am Ende Unaussprechlichen

Er innert an den Holocaust: Da ist der gewaltsame Tod, das Grauen, Abgrund des Unbegreiflichen, ja in gewisser Weise Unaussprechlichen, als könne es nie wieder wieder ein Gedicht geben: mit fast industrieller Präzision organisierter Massenmord aus „gruppenbezogenem Menschenhass“. Gerichtet gegen Jüdinnen und Juden: aus Deutschland, Osteuropa, überall. Wo immer die Nazi-Schergen Menschen des über den Erdball versprengten Kulturvolks habhaft werden konnten, da lief ihre gnadenlose Mordmaschinerie an.

Sechs Millionen Opfer, sechs Bäume. „Als Symbol und zur Erinnerung an die sechs Million jüdischen Kinder, Frauen und Männer, die von dem nationalsozialistischen Deutschland ermordet worden sind“, fasst der Gemeindevorstand einerseits schnörkellos zusammen. Die Setzlinge sollten erinnern und mahnen: „an die singuläre Tötungsmaschinerie der Nationalsozialisten“ – und: „dass sich ein solches Geschehen nie wiederholen darf“.

Doch seine Community weiß, als Dortmunder  Jüdinnen und Juden, als anerkannter Teil der Stadtgesellschaft und in der Hoffnung auf ein ganz normales Leben, mit guten Nachbarschaften und in gegenseitigem Respekt: Gelingen kann das nur, macht er andererseits mit Bestimmtheit klar, „wenn die demokratische Mehrheitsgesellschaft viel entschiedener gegen die immer aggressiver auftretende Seuche des Antisemitismus vorgehen wird“.

Der Feiertag Tu BiSchwat: Ende des Regens, Geburtstag der Bäume, Beginn des Frühlings

Zwi Hermann Rappoport

Die offene pluralistische Gesellschaft müsse wehrhaft verteidigt werden, fordert er allgemeiner. Mit einem klaren Motiv: um ein Leben in Frieden und ohne Angst für alle zu ermöglichen. – Damit fällt das Stichwort für den zweiten Anlass der Zusammenkunft im Stadewäldchen: Leben. Auch dafür stehen die hier nun eingepflanzten sechs Bäumchen. Es ist eine kleine, liebevolle wie große Geste der Kultusgemeinde Dortmund.

Viele jüdische Feiertage formten den klimatischen Zyklus des Heiligen Landes, erklärt Zwi Hermann Rappoport. So wie eben Tu BiSchwat als Feiertag, als Geburtstag der Bäume. Bezeichnet wird damit das Ende der Regenzeit und der Beginn des Jahres in Israel: der Frühling kommt! Überall würden dort an diesem Tag Baumsetzlinge gepflanzt und möglichst viele Früchte gegessen.

Ein Lebensgefühl, das hierzulande zum Ende des Januars hin freilich nur schlecht erreichbar ist. „Bei uns in Dortmund“, nun ja, alle Zusammenstehenden merken es: „Wird sind noch mitten im Winter, haben es mit Regen und Kälte zu tun, keine Spur von Frühling.“ Und insofern scheint dem Gemeindevertreter die Auspflanzung zum jetzigen Zeitpunkt eher weniger günstig vorzukommen.

Falsches Wetter gibt es nicht – zumal, wenn es um gewisse Anlässe geht

Bürgermeister Norbert Schilff
Bürgermeister Norbert Schilff

An dieser Stelle: Entschiedener Widerspruch vom neuen 1. Bürgermeister der Stadt, Norbert Schilff, mit einem kleinen Lächeln – das sei bestes Pflanzwetter! – Wegen des Regens, klar, und wenn’s später keinen Dauerfrost gibt. Könnte gut drüber diskutiert werden. – Und überhaupt, angesichts des Feiertages Tu BiSchwat, wenn schon mal von Bäumen die Rede ist, erweitert der Sozialdemokrat nun die Perspektive.

Da ist noch der Klimawandel und deren besondere Funktion in diesem Zusammenhang, nämlich ihn zu verlangsamen, ob in Israel, dem Nahen Osten oder anderswo. Der Natur näherkommen, durch das Pflanzen der Bäume, das sei in diesem Sinne auch ein Zeichen. Außerdem gäbe es zu einer solchen Gelegenheit eh kein falsches Wetter, fügt er vielsagend hinzu. – Wieder klar, aber diesmal braucht es keine lange Debatte unter Gärtner*innen: Solcherlei Baum-Repräsentationen gegen Hass und Terror, die kann es nicht genug geben.

Da spielen selbstverständlich kleine Widrigkeiten keine Rolle: das bisschen Matsch auf den Wiesen des Parks an der Ruhrallee an diesem Tag, was soll’s. Schließlich sei er Feuerwehrmann gewesen, ergo: kein Problem, sich gegebenenfalls ordentlich einzusauen. Was muss, das muss. Punkt.

Deutliche Worte von Norbert Schilff zu rechtspopulistischen Umtrieben, einschließlich Ansage

Auch Humor muss manchmal sein, das lindert vieles, schafft über Abstand neue Zugänge, öffnet, um zu bearbeiten, statt vielleicht durch Schmerz und Trauer zermürbt zu werden. Etwaige Ursachen dafür lägen bereit, hier in diesem Kreis, unter regenverhangenem Himmel, in dem fürs eindimensionale Vergessen kein Platz ist.

Kantor Ariel Mozes trug das jüdische Gedenkgebet vor.

Denn der Anlass, „begründet im traurigsten Kapitel der deutschen Geschichte, dem Nationalsozialismus“, so Schilff. Der 1939 einen Krieg entfachte, „der am Ende 60 Millionen Menschen und weit über sechs Millionen Juden das Leben kostete“, konstatiert er. Der Holocaustgedenktag mahne, „für eine vielfältige, tolerante und demokratische Gesellschaft einzutreten“.

Keine Selbstverständlichkeit dieser Tage. Denn Rechtspopulisten trieben in einer nie dagewesenen Form ihr Unwesen. Daher würden die sechs Bäume eben auch gegen das Vergessen gepflanzt: „Die sollen wachen und gedeihen und uns in eine bessere Zukunft geleiten.“

Und dann kommt eine deutliche Ansage, die auch als demokratisches Arbeitsprogramm aus Leidenschaft verstanden werden kann: „Seien Sie gewiss: Wir werden alles tun, um ein gedeihliches jüdisches Leben in Dortmund zu ermöglichen. Und wir sagen allen – allen, die das so nicht wollen, den Kampf an. Und dafür stehen wir auch als Stadt Dortmund in Gemeinschaft“, so der Bürgermeister unmissverständlich.

Weitere Informationen:

Hier die sechs im Stadewäldchen angepflanzten Baumarten:

  • Stiel-Eiche, Quercus robur, Hochstamm, 3 x verpflanzt mit Drahtballierung, Stammdurchmesser 20-25
  • Vogelkirsche, Prunus avium, Hochstamm, 3 x verpflanzt mit Drahtballierung, Stammdurchmesser 20-25
  • Winterlinde, Tilia cordata, Hochstamm, 3 x verpflanzt mit Drahtballierung, Stammdurchmesser 20-25
  • Schwarz-Pappel, Populus nigra, Hochstamm, 3 x verpflanzt mit Drahtballierung, Stammdurchmesser 18-20
  • Samthaarige Honigesche, Tetradium daniellii, Heister, 3 x verpflanzt mit Drahtballierung, Stammdurchmesser 20-25
  • Pflaumenblättrigen Weißdorn, Crataegus prunifolia, 3 x verpflanzt mit Drahtballierung, Stammdurchmesser 18-20

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