Von Anastasia Zejneli (Text) und Alex Völkel (Fotos)
Dunkle Wolken standen den Tag lang über Dortmund. Rechtzeitig, fast auf Abruf, kämpft sich die Sonne aus den Wolken heraus und scheint auf die teils rostigen Container. In geraden Reihen stehen sie auf dem Gelände. Über ihnen ragen massive Kräne. Im Hintergrund hupt es, der Kranfahrer beginnt, mit langsamen Bewegungen auf einen grünen Container zuzusteuern. Er ist es gewohnt, in dem kleinen Häuschen gebückt zu sitzen und durch die dreckige Scheibe nach unten zu schauen, auf das glitzernde Wasser des Kanals und die unzähligen Reihen von rostigem Blech. Er wird heute seine Arbeit nicht beenden – denn er bedient den Kran aus reinem Vorführeffekt. Auch unten tummeln sich nicht die gewohnten Gesichter, Männer mit Warnwesten, sondern Anzugträger und Fotografen. Einer steht ganz vorn und schaut aufs Wasser hinaus, während er sich ein Lächeln abringt. Er weiß, es wird nicht das Letzte des heutigen Tages sein. Die Fotografen stehen um ihn herum, während im Hintergrund der Kranfahrer den Container langsam anhebt. Beide Männer haben etwas Entscheidendes gemeinsam. Sie beide gehen in diesem Moment ihrer Arbeit nach. Oben der Kranfahrer und unten der Außenminister.
Der Dortmunder Hafen als Symbol der Region und als wichtiges „Tor zur Welt“ für die Stadt
Eine halbe Stunde später steht Heiko Maas vor einer leeren Halle. Während der Veranstaltung wird er über sie sagen, dass sie ihn an die Industrielandschaft im Saarland erinnere und dass solche Bauten ein Symbol für die Region seien und viel über „uns“ erzählten. Dass die Knauf Interfer Halle bald abgerissen wird, spielt in diesem Moment keine Rolle, spricht aber Bände über die Region Ruhrgebiet. ___STEADY_PAYWALL___
Große Pläne hat die Stadt, viele alte Gebäude müssen weichen. Der Hafen gilt als ein entscheidendes Projekt, „das Tor zur Welt“, nennt es Hafenchef Uwe Büscher, zumindest fürs östliche Ruhrgebiet. Zurück zur Eröffnung der Veranstaltung. Ein kleines Kreuz ist auf dem Boden vor der Knauf-Halle geklebt. Der Außenminister steht mit beiden Beinen fest auf dem Boden und schaut nach vorn. Der Platz neben ihm wird immer wieder von neuem besetzt.
Mal ein Politiker des Stadtrats, mal der Unternehmer aus dem Hafen. Sie alle lächeln und zeigen sich erfreut. Nur Heiko Maas steht auf seinem Kreuz, ganz still und im perfekt sitzenden grauen Anzug. „Wirtschaft meets Maas“, mit 1,5 Meter Sicherheitsabstand.
Den Industriecharme der Stadt lässt Maas nicht nur einmal an seine Heimat zurückerinnern. Das Saarland ähnle in vielen Weisen Dortmund. Der Außenminister aus dem kleinen Bundesland: „Wo man die eine Hälfte kennt und mit der anderen verwandt ist.“
Maas besorgt um Griechenland und Türkei – weltweite Lieferketten von Medikamenten ein Thema
Doch er kam nicht nur, um von seiner Heimat zu schwärmen. Er erzählt von seinen Projekten, was Europa erreichen soll, gemeinsam gegen Großmächte wie China und die USA. Der Handelskrieg bereite ihm Sorge, doch viel schlimmer sei der Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland. „Ich fliege hin und her. Ich versuche zu schlichten, doch es werden effektiv keine Fortschritte gemacht.“
Sorgenkinder gibt es viele in der Welt, das weiß auch Oliver Hermes. Ganz ohne Anzug, sitzt er in der ersten Reihe. Der Vorstandsvorsitzende der Wilo Gruppe ist per Du mit dem Außenminister. Vor dem Beginn der Fragerunde gab es schon einen kurzen Austausch. Nun beklagt er den sich ausweitenden Protektionismus. Man sei abhängig von Ländern außerhalb der EU, was zu Schwierigkeiten führte während der Corona-Krise.
Maas kritzelt währenddessen auf seinem Kaffeebecher. Er wirkt nachdenklich. Gibt selbst zu, dass er in letzter Zeit zu viel mit Indien und Pakistan telefoniere, die größten Partner, wenn es um den Zugang zu Medikamenten geht. „Wir brauchen echte Ketten und weniger Abhängigkeiten von einzelnen Staaten.“ In der EU bedeutet das, Geld in die Hand zu nehmen, aber von Projekt zu Projekt entscheiden, wo die Lieferketten verändert werden können. Man wolle sich aber nicht an Frankreich orientieren, die gehen zu weit, betont Maas.
Dortmunder Unternehmen fordern zweite Schleuse
Von den Lieferungen in die weite Welt träumt man auch in Dortmund. Besonders intensiv, wenn die einzige Schleuse des Hafens nicht mitspielt. Um bei Störungen und Wartungen nicht völlig abgekoppelt zu sein, fordern die Unternehmer*innen den Neubau einer zweiten Schleuse. Das Thema beschäftigt Dortmund schon länger.
Mit Unterstützung von Heiko Maas, vielleicht auch vom Verkehrsminister, so zumindest erhofft sich das Thomas Grüner. Er selbst hat eine Firma im Hafen und hofft auf einen Beschluss für eine zweite Schleuse in Dortmund. Maas, der an dem Abend nicht eine Gelegenheit verpasst, seine Expertise im Bereich Wirtschaft zu erwähnen, verspricht, „den Kollegen mal zu nerven“. Maas weiß, wie es läuft. Er war ja auch mal Minister für Wirtschaft und Verkehr im Saarland.
Während die Schleuse die Unternehmen direkt betrifft, beschäftigt man sich bei „Wirtschaft meets Maas“ auch mit den großen Fragen des Weltgeschehens. Der Außenminister ist ja nicht jeden Tag zu Besuch. DSW21 Vorstandsvorsitzender Guntram Pehlke sorgt sich um die Entdemokratisierung Polens und Ungarns. Maas gibt sich in der Rolle des Vermittlers „Wir sprechen diese Probleme an. Sind aber bedacht, mit Polen weiterhin eine gute Beziehung zu pflegen.“ Orban dürfe man öffentlich hingegen nicht übermäßig kritisieren, da er jegliche Kritik von außen nutze, um sich im eigenen Land zu profilieren.
„Sich mehr mit der Seite beschäftigen, bei der es seltener zu Einigungen kommt: den Erdogans dieser Welt.“
Diplomatisch müsse man an solche Konflikte herangehen. Er schmunzelt selbst kurz und führt aus „Diplomatie ist, sich nicht nur mit den Guten zu treffen, den Macrons, Trudeaus und Obamas dieser Welt. Man muss sich mehr mit der Seite beschäftigen, bei der es seltener zu Einigungen kommt: den Erdogans dieser Welt.“
Diplomatie das kann der Außenminister gut, besonders am Ende des Abends, als ihm der Hafenchef als Dank ein BVB-Trikot überreicht. Maas wirft es sich gekonnt über die Schulter, schaut in die Runde und wünscht dem BVB in der kommenden Saison alles Gute. Er sei es leid, dass immer die gleiche Mannschaft gewinne. Dabei lächelt er und ist wenige Minuten später aus der Tür. Er hat es eilig. Die Bahn wartet auf niemanden, weder auf den Kranfahrer noch den Außenminister.
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