Migration, Teilhabe und Vielfalt in Dortmund: Diskussion mit OB-Kandidat*innen im DKH in der Nordstadt

Oben v. l.: Moderatorin Najima El Moussaou, Thomas Westphal (SPD), Daniela Schneckenburger (Bündnis 90/Grüne) und Dr. Andreas Hollstein (CDU) und Co-Moderator Ismail Köylüoglu. Fotos: Thomas Engel

Von Anna Lena Samborski

Wie reagiert die Dortmunder Politik auf die Herausforderungen von Migration, gesellschaftlicher Heterogenität, dem Wunsch nach neuen Beteiligungsformen und das Erstarken von Rechtspopulismus? Unter anderem diesen Fragen widmeten sich die drei aussichtsreichsten Dortmunder Oberbürgermeisterkandidat*innen Thomas Westphal (SPD), Daniela Schneckenburger (Bündnis 90/Grüne) und Dr. Andreas Hollstein (CDU) im Rahmen einer zweistündigen Podiumsdiskussion im Dietrich-Keuning-Haus.

Wirtschaftsförderer, Jugenddezernentin und Oberbürgermeister von Altena: Die Kandidat*innen im Überblick

Die freie Journalistin und Redakteurin Najima El Moussaou moderierte die Veranstaltung.
Die freie Journalistin und Redakteurin Najima El Moussaoui moderierte die Veranstaltung.

Eingeladen hatten die Alevitische Gemeinde Dortmund, das Multikulturelle Forum, der Verein Kamerunischer Ingenieure und Informatiker sowie das Projekt „Nordfunken“.

Zunächst verlangten die Moderatorin Najima El Moussaou, freie Autorin und Redakteurin, und der Co-Moderator Ismail Köylüoglu (Alevitischen Gemeinde Dortmund) den Kandidat*innen eine grundlegende politische Positionierung ab.___STEADY_PAYWALL___

Westphal als amtierender Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungen Dortmund betonte, dass er zwar Wirtschaftsexperte sei, dies jedoch nicht bedeutet, dass er wirtschaftsliberal sei. „Ich stelle den Markt nicht vor den Staat“, konkretisiert er. Vielmehr stehe er für eine gemischte Wirtschaft ein.

Schneckenburger, seit 2015 Dezernentin des Kinder- und Jugendbereichs der Stadt Dortmund, erklärte, dass das Thema Klima und Nachhaltigkeit mittlerweile zwar bei allen Parteien auf der Tagesordnung stehe.  Das Neue bei ihrer Wahl zur Oberbürgermeisterin wäre jedoch, dass das Versprochene auch umgesetzt werde.

Hollstein weiß aus seinen 21 Jahren als Bürgermeister der Stadt Altena, dass „eine Stadt besser ist, wenn sie auf Erfahrungen der Bürger beruht“. So habe er in Altena bereits gute Erfahrungen mit einem Format zu Bürgerwerkstätten macht, das er auch vermehrt in Dortmund zur Anwendung bringen möchte.

In Dortmund haben 30 bis 35 Prozent einen sogenannten Migrationshnintergrund

Dortmund ist eine Stadt, in der 30 bis 35 Prozent der Menschen einen sogenannten Migrationshintergrund haben. Sehen die Kandidat*innen diese Diversität als Chance oder Herausforderung?, wollte Co-Moderator Köylüoglu als nächstes wissen.

Thomas Westphal (SPD) stellt den Markt nicht vor den Staat und steht für eine Mischwirtschaft ein.

Westphal sieht in der Diversität eine Chance und weiß aber auch, dass es Konflikte gibt. Das viele noch ungenutzte Potential müsse besser organisiert und genutzt werden. Auch in der in Wirtschaft sieht er, was Diversifizierung angeht, noch Luft nach oben. Außerdem ist ihm eine Modernisierung der Bewerbungs- und Akquirierungsverfahren bei der Stadtverwaltung, um allen Bewerber*innen eine faire Chance zu geben, besonders wichtig.

Auch Schneckenburger betont, dass Diversität und Vielfalt in ihrer Partei einen hohen Stellenwert genießen. Es gehe hierbei auch um eine grundlegende Haltung und Wertschätzung. In diesem Zusammenhang brachte sie das Beispiel des deutsch-türkischen Kindergartens in der Nordstadt an: Hier werde die Mehrsprachigkeit nicht als Defizit, sondern als Potential, das es zu fördern gelte, gesehen.

Hollstein sieht in der diversen Bevölkerungsstruktur eine Herausforderung für alle. Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen und Lebensstile müssten zusammengeführt werden – dies sei jedoch in den letzten 30 Jahren in Dortmund nicht gelungen, so dass es noch sehr viel Arbeit in dem Bereich gebe.

Mehr Beteiligung von Migrantenselbstorganisationen als Träger sozialer Arbeit gefordert

Daniele Schneckenburger (Bündnis 90/ Die Grünen) möchte die Zahl der U3-Kindergartenplätze ausbauen.

In den letzten Jahren sind viele zivilgesellschaftliche Initiativen, Vereine und Migrant*innen-Selbstorganisationen (MSO) unter anderem in der Nordstadt entstanden. Viele davon haben den Wunsch, stärker als Träger sozialer Arbeit bei der Vergabe von Aufträgen und Projekten berücksichtigt. Wie stehen die Kandidat*innen dazu?

Schneckenburger spricht sich für eine stärkere Beteiligung von MSO in dem Bereich aus und verweist aber dabei auf die Einhaltung von Qualitätsstandards. In diesem Zusammenhang schlägt sie eine Mitgliedschaft beim Deutschen Berufsverband für Soziale Arbeit e. V. (DBSA) als Voraussetzung bei der Projektvergabe vor.

Westphal spricht in diesem Zusammenhang außerdem eine Einladung zu einem gemeinsamen Gespräch an interessierte Initiativen und MSO aus – sollte er denn die Wahl zum OB für sich entscheiden.

Beteiligung von Jugendlichen aus der Nordstadt: Gesprächsformate und Jugendforen

Auch viele der rund 90 Gäste aus dem Publikum beteiligten sich rege an der Diskussion. Wie wollen die Kandidat*innen vor allem die Jugend in der Nordstadt stärker an politischen Prozessen beteiligen?, lautete die erste Frage.

Westphal möchte hierbei Formate wie die „Verfassungsschüler“ von Suat Yilmaz stärken – um zum Beispiel in Jugendzentren oder Shisha-Bars mit jungen Menschen ins direkte Gespräch über Demokratie und das Grundgesetz zu kommen.

Schneckenburger und Hollstein hingegen setzten auf eine Stärkung der Jugendforen – ganz besonders auf das Nordstadtforum.

Teilnehmende wollen wissen: Was kann die Kommune gegen Abschiebungen tun?

In einem weiteren Redebeitrag kritisierte ein Teilnehmer, dass es viele Abschiebungen von Menschen in seinem Umfeld gebe. Viele von ihnen lebten seit Jahren hier in Dortmund und haben sich bereits beruflich und privat ein erfolgreiches Leben aufgebaut.

Dr. Andreas Hollstein (CDU) ist beschämt über die Verhöhnungen der Familie Kubaşık durch Neonazis.

Alle Kandidat*innen drückten ihr Bedauern aus und verwiesen darauf, dass die Kommunen keinen Einfluss auf die entsprechende Gesetzgebung haben. Hollstein bestätigte: „Wir sind dabei [bei der Bearbeitung von Asylanträgen] schlecht, es dauert zu lang.“

Starker Dissens zwischen Westphal und Schneckenburger: Ankerzentren oder Unterbringung in den Kommunen?

Auch Westphal und Schneckenburger sprachen sich für eine Beschleunigung der Verfahren aus. Westphal plädiert weiterhin dafür, Ayslbewerber*innen, im Einklang mit beschleunigten Verfahren, bis zur Entscheidung nicht in Kommunen unterzubringen. So möchte er verhindern, dass die Menschen bei einem negativen Bescheid aus einem bereits etablierten Leben in der Kommune gerissen werden.

Schneckenburger widerspricht hier vehement. Der Gedanke an Ankerzentren löse bei ihr ein erhebliches „Störgefühl“ aus. Gerade für Familien und Kinder sei eine Unterbringung in einem geregelten Umfeld besonders wichtig.

Fehlende Kindergartenplätze für Unterdreijährige als Problem für Viele

Weitere Kritik aus dem Publikum gab es zum Fehlen von Kindergartenplätzen für Unter-Dreijährige. Die Schul- und Jugenddezernenten Schneckenburger stimmt zu, dass in Dortmund ein Ausbau der entsprechenden Kapazitäten erst spät erfolgte. Bei den Über-Dreijährigen seien hingegen genügend Plätze vorhanden.

Bei den U3-Plätzen habe der Rat einem Ausbau auf 41 Prozent Abdeckungsquote zugestimmt, so Schneckenburger weiter. Ihr angestrebtes Ziel hierbei: Die Quote auf 60 Prozent zu erhöhen.

Verhöhnung der Familie Kubaşık durch Rechtsradikale – Kandidat*innen zeigen sich beschämt

Co-Moderator Ismail Köylüoglu

Besonders ergreifend war die Schilderung von Elif Kubaşık, Witwe des im Jahr 2006 durch den NSU ermordeten Dortmunders Mehmet Kubaşık. Sie berichtete über Verhöhnungen durch Rechtsradikale, beispielsweise durch gezielte Aufmärsche am Todestag ihres Mannes direkt vor ihrer Wohnung.

Die Kandidat*innen reagierten mit Entsetzen darauf und forderten allesamt ein Ende dieser unerträglichen Zustände. Westphal bot ein gemeinsames Gespräch mit Kubaşık und dem Dortmunder Polizeipräsidenten an, um eine Lösung zu finden.

Hollstein betonte: „Wir stehen alle in ihrer Schuld.“ Er zeigte sich beschämt und plädierte dafür, dass die Kommune Mittel und Wege auch jenseits des polizeilichen Zuständigkeitsbereichs finden müsse, um die Familie vor den Verhöhnungen zu schützen.

Nahmen die OB-Kandidat*innen an den Dortmunder „BlackLivesMatter“-Demonstrationen teil?, wollte eine weitere Teilnehmerin wissen. Schneckenburger und Westphal bestätigten ihre Teilnahme und ihre Unterstützung der Initiative. Hollstein war nicht bei der Demonstration gewesen, teilt aber die Forderungen der Initiator*innen.

Reicher Süden vs. armer Norden: Kritik an Zweiklassengesellschaft in Dortmund

Ein weiterer Teilnehmer übte scharfe Kritik an allen Parteien. Die Kommunalpolitik habe zu einer Zweiklassengesellschaft in Dortmund beigetragen, mit dem „guten reichen Süden“ und dem „schlechten, armen und dreckigen Norden“.

Heute bezögen 3,6 Prozent der Menschen im Stadtteil Syburg Sozialleistungen – am Borsigplatz hingegen 44 Prozent. Kommunalpolitische Entscheidungen hätten maßgeblich zu dieser sozialen Ungerechtigkeit in Dortmund beigetragen, schloss der Teilnehmende seine Kritik ab.

Es bleibt also auch nach der Wahl noch viel zu tun.

 

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