Während der DGB Dortmund-Hellweg in diesem Jahr seine Aktivitäten zum 1. Mai wegen der Coronakrise in die Digitalität verlegt hat, zeigen sich der „Initiativkreis 1. Mai“ und ein „Internationalistisches Bündnis Dortmund“ weniger beeindruckt. Beide Gruppierungen haben – teils unter massiver Kritik am Rückzug des Deutschen Gewerkschaftsbundes – für den morgigen internationalen Maifeiertag Kundgebungen in Dortmund angemeldet: auf dem Sonnenplatz resp. auf dem Platz der Alten Synagoge. Und streiten sich mit Stadt und Polizei über die von dort mit Verweis auf die Corona-Schutzverordnung verfügten Auflagen, wonach die Veranstalter*innen den Behörden eine vollständige Liste der Teilnehmer*innen zur Verfügung stellen müssen. Einen Teilerfolg konnten die Aktivist*innen heute vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen erzielen: die Liste bleibt (vorläufig) in den Händen der Versammlungsleiterin.
Dortmunder DGB zieht sich in diesem Jahr aus der analogen in die digitale Welt zurück
Der 1. Mai naht – und traditionell ist an diesem Tag in den Straßen Dortmunds einiges los. Menschenmassen machen auf die Diskrepanz zwischen legitimen Rechten und der real-sozialen Lage jener aufmerksam, deren Stimme in dieser Gesellschaft zu wenig Gehör findet.
Doch in diesem Jahr ist es anders: die Prophylaxe-Maßnahmen der Behörden angesichts der Corona-Pandemie greifen massiv in verfassungsrechtlich garantierte Grundrechte ein; hier, beim kollektiven Aufschrei für mehr Gerechtigkeit, durch Einschränkungen beim Versammlungsrecht. ___STEADY_PAYWALL___
Mit der Corona-Schutzverordnung werden Demonstrationen verboten, Punkt – Infektionsschutz geht vor. Der DGB in Dortmund hat daraus die Konsequenz gezogen, seinem geplanten Aufruf für den 1. Mai („Solidarisch ist man nicht alleine!“) eine neue Bedeutung zu geben und der analogen Öffentlichkeit kollektiv fernzubleiben. Solidarität hieße nun, Abstand zu halten, heißt es. Man wolle keine Risiken eingehen – es ginge schließlich um die Gesundheit der Kolleg*innen.
Während die Gewerkschafter*innen aus diesem Grund beim traditionellen Kampftag der Arbeiter*innen in der Digitalität verbleiben, hat ein Internationalistisches Bündnis für morgen auf dem Platz der Alten Synagoge eine Kundgebung angemeldet. Beteiligt an dem Aufruf sind neun verschiedene Organisationen und zahlreiche Einzelpersonen. „Wir bedauern sehr, dass der DGB alle Aktivitäten auf der Straße abgesagt hat“, kritisiert Gerd Pfisterer, Anmelder der Demo, die Entscheidung.
Corona-Schutzverordnung verbietet zwar Demos, aber nicht per se Versammlungen
Gerade in Krisenzeiten müsse das Versammlungsrecht als elementares Grundrecht gelten, betont der Betriebsratsvorsitzende eines Dortmunder Walzwerks. Und sieht zu den „notwendigen Gesundheitsschutzmaßnahmen“ keinen Widerspruch; diese könnten im Verlauf der Veranstaltung allesamt berücksichtigt werden.
Überzeugt hat er mit seinem Konzept offenbar auch die Fachleute des Dortmunder Gesundheitsamtes. Denn nach anfänglichem Hin und Her und nachdem sich nun die ersten Gerichte mit der neuen Situation unter Pandemie-Bedingungen auseinandergesetzt haben, ist eins klar: pauschal können Versammlungen mit Hinweis auf die Ansteckungsgefahr nicht untersagt werden. Stets ist eine Einzelfallprüfung vonnöten.
In Dortmund haben sich daraufhin Polizei und Stadt im Vorfeld des Maifeiertages über ein Prozedere verständigt. Auf Nachfrage bestätigt eine Pressesprecherin der Ordnungsmacht: eingegangene Versammlungsanmeldungen leite die Polizei an die Stadt Dortmund weiter. Dort würde geprüft, „ob eine Ausnahme der grundsätzlichen Untersagung von Versammlungen möglich ist“. Wenn ja, bekommen die Veranstalter*innen Grünes Licht. Wenn nicht – dann eben nicht; das liegt nah.
Organisator*innen lehnen anlasslose Abgabe von personalisierten Listen aller Teilnehmer*innen ab
Dennoch: Es bleibt hakelig zwischen den kommunalen Behörden und Dortmunder Aktivist*innen, geht’s um die Details zum 1. Mai. Streitpunkt sind konkret die Auflagen, die an einer Ausnahmegenehmigung fürs organisierte Kundtun hängen. Polizei und Ordnungsamt hätten nämlich gerne eine Liste aller Teilnehmer*innen gehabt, um diese zweifelsfreie identifizieren zu können, sollte sich post festum, also nach der Veranstaltung herausstellen, dass es unter ihnen einen Infektionsfall gab. Stichwort: Unterbrechung weiterer Infektionsketten, Verordnung von Quarantäne.
Das wiederum geht vielen deutlich zu weit. Arthur Winkelbach vom Initiativkreis der Kundgebung „#Grenzenlos Solidarisch“, die morgen ab 12 Uhr auf dem Sonnenplatz neben der Möllerbrücke stattfinden wird, ist mit Blick auf seine Erfahrungen kritisch: Zahlreiche Beispiele der Vergangenheit zeigten, „dass Behörden solche Informationen grundsätzlich nicht besitzen sollten, egal wie sehr sie die Zweckgebundenheit betonen“, so der Aktivist.
Und macht ein Missverhältnis aus: „Die für die Kundgebung geplanten Maßnahmen zum Infektionsschutz gehen bereits jetzt weit über das hinaus, was im öffentlichen Personennahverkehr oder in Supermärkten gilt, ohne dass dort persönliche Daten erhoben werden.“
Sein Kollege (Genosse?) von der Links-Konkurrenz auf dem Platz der Alten Synagoge, Gerd Pfisterer, betont: „Die Auflage, eine vollständige Teilnehmerliste beim Ordnungsamt abzugeben, lehnen wir als Einschränkung des Versammlungsrechtes ab.“ – Immerhin, beim Nein! scheint Einigkeit zu herrschen.
Verwaltungsgericht Gelsenkirchen kassiert heute in Teilen Auflagen der Stadt Dortmund
Per Eilverfahren sind die Organisator*innen beider Kundgebungen vor Gericht gezogen – und bekamen – zumindest teilweise – recht. Das Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen hat heute die Auflage der Stadt kassiert, die Liste der Teilnehmer*innen bei den beiden Kundgebungen anlasslos der Polizei bzw. dem Ordnungsamt übergeben zu müssen.
Sie würden stattdessen von der Versammlungsleiterin aufbewahrt, wie Rechtsanwalt Dr. Jasper Prigge twitterte. Verpflichtet hingegen bleiben die Veranstalter*innen, persönliche Daten aller Teilnehmenden zu erfassen und gegebenenfalls an das Gesundheitsamt weiterzuleiten. Angesichts der Anonymität, mit der etwa Einkäufe vollzogen werden können, eine zweifelsohne hinterfragbare Praxis.
Ein Sprecher des VG Gelsenkirchen betont auf Nachfrage zu solchen Urteilen: Regelungen zur Einschränkung von Grundrechten müssten selbst rechtmäßig sein und Verhältnismäßigkeit wahren. Eine Abwägungsfrage, die bei Eilentscheidungen über die Folgen für die Beteiligten entschieden würde. – Über die grundsätzliche Rechtmäßigkeit aber werden die Gerichte wohl erst in den Zeiten nach Corona – und nach einer Zeit zum gründlichen Nachdenken – befinden können.
Weitere Informationen zu den beiden Maikundgebungen:
- Platz der Alten Synagoge: Aufbau ab 10 Uhr, anschließend Kundgebung. Ende: 14 Uhr. Teilnehmer*innenzahl: 50-60.
- Sonnenplatz: Ab 12 Uhr: Kundgebung. Ende: 14 Uhr. Teilnehmer*innenzahl: 30.
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