SERIE: Ein Dortmunder Vorkämpfer für Humanität, Bildung und soziale Belange der Lehrer – Heinrich Schmitz (1812–1865)

Der Dortmunder Bahnhof mit Wasserturm und Werkstätten, wie er zu Lebzeiten von Heinrich Schmitz Mitte des 19. Jahrhunderts ausgesehen hat. Er war mit der alten Femlinde vor der Stadtmauer das Wahrzeichen der Stadt. Foto: MKK Dortmund

In einem unserer letzten Beiträge erinnerte Klaus Winter an die lange Geschichte des Westparks. Diesmal richtet sich der Blick auf einen Dortmunder Reformator des Bildungswesens und Humanisten, der eben dort begraben liegt. Es geht um den fast in Vergessenheit geratenen Volksschullehrer Heinrich Schmitz.

 

Kein Einsatz für eine gute Sache ist umsonst – das gilt auch für das Lebenswerk von Heinrich Schmitz. Obwohl es zwischenzeitlich sehr still um ihn geworden war. Alles kommt irgendwann zurück, so oder so; auch wo alle Mühen anfangs aussichtslos scheinen mögen: Wenn es mittlerweile fast zum guten Ton gehört, mehr Bildungsgerechtigkeit einzufordern, damit sich Chancen zugunsten von benachteiligten Kindern aus bildungsarmen Familien umzuverteilen – dann waren es engagierte Vorkämpfer wie Heinrich Schmitz, auf deren Erbe wir uns heute, anderthalb Jahrhunderte später, rechtens berufen können.

 

Sein Ringen um ein demokratisches, von absolutistisch-religiöser Herrschaft befreites und staatlich beaufsichtigtes Schulwesen in Dortmund und der Region – inmitten der verkrusteten Strukturen der preußischen Monarchie – ebenso wie die Sorge um die Ausbildung wie soziale Sicherung von damals schlecht bezahlten Lehrern und ihrer Hinterbliebenen zeichnen Heinrich Schmitz aus.

 

An ihn zu erinnern und seine Leistungen zu würdigen, unternimmt unser Gastautor – der ehemalige Journalist, Wissenschaftsredakteur, Wirtschaftsförderer, jetzt Rentner von Beruf, doch immer noch schreibend und historisch forschend tätig – Horst Delkus.

 

In drei Teilen begibt er sich auf die Spuren von Heinrich Schmitz, dem großen Dortmunder Lehrer und Bildungsförderer. Schauplatz ist das historische Dortmund inmitten des 19. Jahrhunderts, das durch Kohle und Stahl zur Industriestadt aufstrebt, aber nach dem preußischen Sieg über Napoléon sich lediglich als ein Teil der Provinz Westfalen wiederfindet. Es herrschen unangefochten die Hohenzollern, wo strenge Sitte und Ordnung gelten. Und demokratische Reformpädagogik ist der schmiegsamen Kirche natürlich ein Teufelswerk. In dieser monarchisch-klerikalen Privilegienwelt nun, in der für die meisten Menschen galt: bete und arbeite, und überlasse das Lesen, Schreiben und Denken jenen, die Gott dazu bestimmt hat – da tauchte Heinrich Schmitz auf: Sohn einfacher Leute.

 

Ein Gastbeitrag von Horst Delkus (1)

„Ein echter Mann und wahrer Mensch, ein Volksmann im schönsten Sinne des Wortes“

Wer heute im Westpark – eine der grünen Oasen in Dortmunds westlicher Innenstadt – spazieren geht, findet dort auf einem der Hauptwege an markanter Stelle einen quaderförmigen Stein mit einer auffälligen Inschrift: ___STEADY_PAYWALL___

Dem treuen Lehrer – dem edlen Menschenfreunde – Heinrich Schmitz – geb. am 3 Juli 1812 – gest. am 11. Juli 1865 – Die Bürger Dortmunds

Der Grabstein von Heinrich Schmitz, so wie ihn der Autor 2005 entdeckt hat. Vermutlich hat obendrauf einmal ein Obelisk gestanden. Foto: Sammlung Delkus

Einst zierte der Stein eine Grabstätte. Hatte, so Spuren am Stein und die schriftliche Überlieferung, noch ein einfaches Denkmal obendrauf. Ein Gedenkstein also. Jahrzehntelang stand er unbeachtet und vergessen im heutigen Westpark, der ursprünglich mal ein Friedhof war, herum. Erst im Jahre 2005 entdeckte ihn der Autor dieser Zeilen bei Recherchen für ein Heft der „Heimat Dortmund“ über 150 Jahre Freimaurerei.

Jahre später dann, auf Vorschlag des Entdeckers und auf Initiative des Bezirksbürgermeisters und der Bezirksvertretung Innenstadt-West – zur 200-Jahr-Feier des Westparks 2011 – wurde der Stein fachgerecht restauriert, mit einer Abdeckplatte versehen und am heutigen Standort wieder aufgestellt. Sogar ein Denkmal auf diesem Sockel war angedacht. Da nicht überliefert ist, wie das alte einmal ausgesehen hat, sollte ein neues entstehen. Wie sich rasch herausstellte, ein zu modernes, so dass man entschied, lieber gar keines drauf zusetzen.

Gewidmet war das alte Denkmal einem der wohl bedeutendsten und beliebtesten Dortmunder des 19. Jahrhunderts: dem Lehrer Heinrich Schmitz. Schmitz hatte das Bildungswesen in der Frühzeit der Industrialisierung in Dortmund und im alten Preußen maßgeblich mitgestaltet. Er war so geachtet, dass die Stadt Dortmund ihm nach seinem Tode ein Ehrengrab zur Verfügung stellte. Und die Bürger Dortmunds Geld sammelten für ein Denkmal und für eine nach ihm benannte Stiftung zur Versorgung seiner Ehefrau und anderer Lehrerwitwen.

Ausbildung zum Elementarlehrer – damals nicht ohne Glaube an die Macht der Erziehung

Doch wer war jener Heinrich Schmitz, der in der Geschichtsschreibung von Dortmund bis heute keine Rolle mehr spielt? Er sei ein treuer Lehrer gewesen, ein edler Menschenfreund, verrät uns die alte Inschrift. Klingt heute irgendwie altmodisch-verstaubt, pathetisch. Begeben wir uns also auf Spurensuche. In eine Zeit, als Bildung für das gemeine Volk noch nicht selbstverständlich und Lehrer noch keine Beamte waren.

Geboren wurde Heinrich Schmitz am 3. Juli 1812. In Romberg bei Opladen, einem Dorf im Bergischen Land, das heute zu Leverkusen gehört. Seine Eltern waren einfache Landleute, wie es in einem Nachruf heißt, wohlhabend ohne reich zu sein oder nach Reichtum zu streben. Sie verrichteten im Vertrauen auf Gott ihr Tagewerk und waren getrost und fröhlich. Was Goethe von sich sagt, lässt sich auch auf unseren Freund anwenden: Vom Vater hab` ich die Natur, des Lebens ernstes Führen; vom Mütterchen die Frohnatur und Lust am Fabulieren.

1830, mit 18 Jahren, ging Schmitz zur Ausbildung als Elementarlehrer an das Lehrerseminar in Moers. Der Lehrerberuf war damals ein Kind des wirtschaftlichen Aufstiegs von Preußen durch die beginnende Industrialisierung. Und der Aufklärung. Wer Volksschullehrer wurde, war vom Glauben an die Macht der Erziehung beseelt. Denn das Einkommen als Lehrer war miserabel; es lag unter dem eines Handwerkers und sogar eines Schäfers. Um die Familie ernähren zu können, musste man einen Nebenjob haben. Als Organist in einer Pfarrgemeinde zum Beispiel. Oder Privatunterricht geben.

Lehrer waren in Dortmund bis Anfang des 20. Jahrhunderts direkt dem Pastor unterstellt

Das Schulmuseum in Marten soll nicht nur saniert, sondern auch eine neue Ausstellung bekommen.
Das Schulmuseum in Dortmund-Marten, Nachbildung eines alten Klassenraums. Foto: Nordstadtblogger

Überhaupt war der Schulbetrieb in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ganz anders organisiert, als wir ihn heute kennen: Die Schulen waren damals in der Regel einzügig; ein Lehrer hatte im Schnitt an die einhundert Schüler aller Altersklassen gemeinsam zu unterrichten. Im günstigsten Fall gab es einen Hilfslehrer.

Wenn nicht in den Händen von philanthropisch eingestellten, gut situierten Bürgern und Industriellen, die Privatschulen gründeten, lag die Finanzierung der Lehrerstellen sowie der Schulen damals bei den Städten. Diese hatten aber noch nicht, wie heute, die Schulaufsicht. Dafür waren in Preußen die Kirchen zuständig.

Das heißt, der Lehrer war einem Pastor direkt unterstellt und von ihm abhängig. Unabhängige Beamte wurden Lehrer erst wesentlich später. Und die Schulaufsicht kam erst 1872 – während des sogenannten „Kulturkampfes“ – in staatliche Hände. Die vollständige Übernahme der evangelischen Gesamtschule, an der unser Heinrich Schmitz unterrichtete, durch die Stadt Dortmund dauerte sogar noch länger: bis zum 1. April 1904.

Entstehende Freundschaften – in einer Brutstätte für Neuerungen im Bildungswesen

Adolf Diesterweg um 1860. Öl auf Leinwand, unbekannter Maler. Quelle: Wiki. Ein Bild von Heinrich Schmitz ist uns nicht erhalten geblieben.

Heinrich Schmitz erlernte den Lehrerberuf auf dem evangelischen Schullehrerseminar für den Regierungsbezirk Düsseldorf in Moers. Das war in den zwanziger und dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts eine Brutstätte nicht nur für den Lehrernachwuchs, sondern ebenso für viele Neuerungen im Bildungswesen. Geleitet wurde diese Einrichtung von Adolf Diesterweg, dem großen Bildungsreformer in Preußen und Vater von Moritz Diesterweg, dem Gründer des heute noch existierenden Schulbuchverlages.

Adolf Diesterweg war ein liberaler Pädagoge, dem die Erziehung der Jugend zu mündigen und kritischen Staatsbürgern ein zentrales Anliegen war. Volksbildung war für ihn – ganz im Sinne der Aufklärung – Volksbefreiung. Diesterweg, obwohl gläubiger Christ, wandte sich gegen den Einfluss der Kirche auf die Schule und plädierte, wie viele aufgeklärte Geister damals, für eine Kontrolle des Schulwesens durch den Staat. Schule und Kirche sollten getrennt werden.

Sein Schüler Heinrich Schmitz, heißt es, ist Diesterweg sein Leben lang stets ein treuer Schüler und Freund geblieben. Auf dem Lehrerseminar in Moers lernte Schmitz wohl auch Isaak Hufschmidt kennen, der dort ebenfalls von 1830 bis 1832 studierte, und mit dem er zeitlebens freundschaftlich verbunden blieb. Hufschmidt entfaltete in Dortmunds Nachbarstadt Unna ähnliche Aktivitäten wie Schmitz in Dortmund. Seine Grabstätte befindet sich bis heute auf dem Unnaer Westfriedhof. Heinrich Schmitz und Isaak Hufschmidt waren überdies beide Freimaurer und Mitbegründer der Dortmunder Loge Zur alten Linde im Jahr 1855.

Heinrich Schmitz wird Leiter der neuen „Evangelischen Gesamtschule“ in Dortmund

Nach seiner Ausbildung am Lehrerseminar in Moers bekam Schmitz für kurze Zeit eine erste Anstellung als Hilfslehrer an einer Schule in Düsseldorf. Wenig später wurde er, fast noch Jüngling, Leiter einer Schule in Hamm. Von dort warb ihn im Jahre 1835 der damalige Dortmunder Schulinspektor Pfarrer Müller ab, der Schmitz die Leitung einer Privatschule anbot.

Solche Privatschulen hatten wohlhabende Bürger ab 1825 in Dortmund eingerichtet, um Kindern aus einfachen Verhältnissen ein Minimum an Bildung – sprich: Religionsunterricht sowie Lesen und Schreiben – zu ermöglichen. Mit der auf Betreiben der preußischen Regierung erfolgten Vereinigung der vier lutherisch und calvinistisch geprägten Kirchenschulen der Pfarrgemeinden von Reinoldi, Marien, Petri und Nicolai zu einer einheitlichen evangelischen Gesamtschule im Jahr 1836 wurde Heinrich Schmitz dort, an der „Evangelischen Gesamtschule“, wie sie auch offiziell hieß, am 26. Mai 1836 angestellt.

 

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