Am Schluss, und man vergibt sich nichts, wenn man es am Anfang schon erzählt, tanzen Wum und Wendelin auf der Bühne herum und wiederholen ungezählte Male aufgeregt und euphorisch den Satz „Wir machen jetzt politisches Theater“. Sie tun es, bis die ersten den Saal verlassen, sie tun es während des bald folgenden Massenexodus’, und ob sie es tun, bis der letzte Zuschauer den Raum verlassen hat, weiß ich nicht. Aber es ist ziemlich wahrscheinlich.
Ein liebloser wie respektloser Akt der Zuschauervergämung
Es ist dies offenbar ein Akt der Zuschauervergrämung, lieblos wie respektlos, der für die Inszenierung allerdings den Vorteil birgt, daß eine echte Zuschauerreaktion unterbleibt. Diese Reaktion wäre vermutlich unerfreulich gewesen. Die Produktion heißt „Hamlet nach William Shakespeare“ und ist eine Regiearbeit des Intendanten Kay Voges, mit der das Dortmunder Schauspiel in die neue Spielzeit startet.
Indes fällt es schwer, das Wort Schauspielproduktion zu gebrauchen. Meistens ist nämlich niemand auf der Bühne, läuft die Handlung als Video mit einer Vielzahl gleichzeitig gezeigter Bilder ab. Ob diese Videosequenzen live hinter der Bühne gespielt und gefilmt werden oder ob sie vorgefertigte Konserven sind, darüber gingen die Meinungen im Publikum auseinander.
Jedenfalls erzeugt diese Form der Stoffpräsentation große Distanz, man ertappt sich wiederholt beim unwillkürlichen Weggucken, beim quasi mechanischen Ignorieren des lästigen Geflimmers. Im Wechsel mit angemessen intensiver personalisierter Bühnenaktion wäre es gewiß sehr eindrucksvoll, aber so?
Immerhin erzählt (vorwiegend) das Video so etwas wie eine Geschichte. Mindestens eine, eher zwei. Die eine hat noch viel mit dem Shakespeare-Stoff zu tun, in dem Dänenprinz Hamlet (Eva Verena Müller) im Traum sein dahingeschiedener Vater und König (Sebastian Kuschmann) erscheint und seinen Nachfolger Claudius (Carlos Lobo) des heimtückischen Giftmordes an ihm bezichtigt. Hamlet, ich mache es ganz kurz, sinnt auf Rache, scheitert tragisch und am Schluss sind die meisten Hauptpersonen tot.
Trotzdem ist Hamlet in aller Regel der Sympathieträger und sein Stiefvater Claudius das leibhaftige Böse; auch sein Mordmotiv wird gemeinhin gutgeheißen, wenngleich es recht unchristlich-unerbittlich dem alttestamentarischen „Auge um Auge“ folgt. Daß Vatermord sich nicht gehört, verdeutlichen dann höhere Kräfte.
Die klassischen Motive reichen der Dortmunder Inszenierung nicht
Der Dortmunder Inszenierung aber reichen die eher klassischen Motive nicht, auch Handlungsum- und –weiterdeutungen im Sinne politisch-gesellschaftlicher Paradigmenwechsel – im Sinne von Heiner Müllers „Hamletmaschine“ vielleicht – interessieren sie nicht nachhaltig.
Nein, mehr als alles andere ist der neue böse König Polonius das Gesicht des Überwachungsstaates, der rastlos herausforschen muß, was andere von seinen bösen Taten wissen. Er ist der Rasterfahnder, der mißtrauische Algorithmenprüfer, der Erzfeind allen Privaten. Er ist der Zyniker, der seine Feinde als Kollateralschäden entsorgt.
Nun gut. Es ist es ja nicht so, daß solche Denkfiguren Shakespeare gänzlich fremd gewesen wären, auch wenn er das Internet noch nicht kannte. Mit feinem Humor hat er bekanntlich Rosenkranz und Güldenstern (Frank Genser, Uwe Schmieder) zur Truppe fürs Grobe gekürt.
In Dortmund enden sie (bzw. nicht) in den Strampler-Kostümen von Wum und Wendelin, und zumindest in diesem Punkt könnte man fast so etwas wie eine augenzwinkernde Annäherung an den großen Elisabethaner erkennen.
Ermüdender Zustand der Dauererregung für Schauspieler und Zuschauer
Das Theater verläßt man trotzdem unzufrieden. Was wollte uns diese Produktion erzählen, was hat uns berührt, wo ist ein Mehrwert an Erkenntnis, der uns Unzulänglichkeiten freudig erleiden ließe? Paul Wallfischs Sound-Design bringt sich ebenso unauffällig in Erinnerung wie die Bühne (Pia Maria Mackert).
Das heftig agitierte Video, das Bilder und Szenen in häufig wechselnder Zahl und Einstellung abspult (Daniel Hengst, Lars Ullrich), läßt trotz durchgängiger HD-Qualität manchmal an die Ästhetik alter „Raumschiff Orion“-Folgen denken.
Auch über die Schauspieler ist nicht viel zu sagen. Hinter der Bühne (Live-Video oder Konserve?) chargieren sie nach Kräften, körperlich auf der Bühne präsent bleiben sie darstellerisch eher blaß. Nach etwa der Hälfte der Spielzeit befinden sich die Darsteller, Hamlet vorneweg, zudem in einem Zustand der Dauererregung, der für das Publikum ermüdend ist, das Textverständnis (trotz Mikroport) nicht eben erleichtert und dramatische Wendungen kaum mehr nachvollziehbar macht.
Es ist dies nicht die Schuld der Darsteller. Neben den bereits Genannten handeln Friederike Tiefenbacher (Gertrud), Michael Witte (Polonius), Christoph Jöde (Laertes) und last not least Bettina Lieder (Ophelia) halt, wie ihnen geheißen.
Und das politische Theater? Vielleicht war der Spruch von Wum und Wendelin (alias Rosenkranz und Güldenstern) ja auf die Zukunft gemünzt. Sonst müßte man unterstellen, daß dieser „Hamlet“ politisches Theater gewesen sein soll, politisches Theater auf Kinderzimmerniveau. Die Reaktion, wie man früher vielleicht gesagt hätte, muß auf absehbare Zeit nichts befürchten.
Reader Comments
Simon
Jesus Maria. Wir waren gestern auch in „Hamlet“ – als Ophelia auf die Bühne kam, bzw. an die Wand projiziert wurde, war ich schon stutzig. Aber die kommenden 1 1/2 Stunden waren eine Vergewaltigung meiner Sinne. Nach 10 Minuten haben die ersten Besucher den Raum verlassen, ich wünsche ich hätte das selbe getan.
Und am Ende noch den versteckten Inhalt des politischen Theaters erklären? Jede RTL2 Doku beinhaltet mehr politisches Theater.