Das Arbeitslosenzentrum Dortmund und die Erwerbslosenberatung im Frauenzentrum Huckarde müssen sich – mal wieder – existenzielle Sorgen um den Fortbestand der Arbeit machen. Der Grund: Das Land möchte die Förderung der Zentren in NRW einstellen und deren sowie viele andere Beratungsleistungen bündeln. Was auf den ersten Blick vernünftig klingt, ist es aber nach Ansicht vieler Kritiker*innen nicht. Denn der Plan von NRW-Arbeits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) würde große Löcher in die komplexe Beratungsstruktur reißen. Davor warnt unter anderem die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege.
LAG Wohlfahrtspflege: „Abschaffung von Doppelstrukturen“ als „verharmlosende Irreführung“
„Die angekündigte Einstellung der 79 Arbeitslosenzentren in Nordrhein-Westfalen kommt bei vielen Betroffenen zunächst als Schlag ins Gesicht an“, befürchtet Josef Lüttig, Vorsitzender des Arbeitsausschusses Arbeit/ Arbeitslosigkeit der LAG Freie Wohlfahrtspflege NRW.
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Mit dem neuen Konzept der Landesregierung würden sich im landesweiten Netz Risse und große Löcher auftun. Die von Minister Karl-Josef Laumann (CDU) so genannte „Abschaffung von Doppelstrukturen“ wäre in diesen Fällen eine „verharmlosende Irreführung“, warnt Lüttig.
Laumann hatte angekündigt, die Förderung der 79 Arbeitslosenzentren (ALZ) einzustellen. Ihre Aufgaben sollen von 73 Erwerbslosenberatungsstellen (EBS) übernommen werden. Ab 2021 soll es dann – wieder kofinanziert durch den Europäischen Sozialfonds – nur noch eine Angebotsform geben.
Ab dann sollen allein Erwerbslosenberatungsstellen mit einem neuen Konzept die Leistungen erbringen, die bisher von Erwerbslosenberatungsstellen und Arbeitslosenzentren sich gegenseitig ergänzend und damit flächendeckend erbracht wurden.
Das Arbeitslosenzentrum Dortmund befindet sich seit 1984 im Existenzkampf
Das Dortmunder Arbeitslosenzentrum mit der integrierten Erwerbslosenberatungsstelle besteht seit 1984. Eine Einrichtung dieser Größe ist auf öffentliche Unterstützung angewiesen. Doch immer wieder stand das ALZ vor dem Aus, weil die Förderungen ausliefen und – teils bei anderen Programmen – neu beantragt werden mussten.
Jetzt droht erneut das Aus für die wichtige Arbeit. „Die Einrichtungen in NRW verlieren nicht nur ihre Anlaufstellen, sie wissen auch nicht, ob sie 2021 weiter bestehen und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter arbeiten können“, berichtet die Dortmunder ALZ-Leiterin Gisela Tripp.
„Wir kennen diese Unsicherheit zur Genüge: Nicht selten wussten wir in vergangenen Jahren kurz vor Weihnachten nicht, ob die Arbeit weitergehen kann. Die CDU-Landesregierung hatte bereits 2008 versucht, den Einrichtungen das Wasser abzugraben. Nur das engagierte Eintreten vieler konnte einen Erhalt der Anlaufstellen erreichen“, so Tripp.
Ähnlich sieht es in Huckarde aus, wo Martina Frank innerhalb des Frauenzentrum die Erwerbslosenberatung macht. Gemeinsam mit Frieda Groß-Böcker warnt sie davor, die Hilfs- und Angebotsstrukturen – wenn auch nur vorübergehend – wegbrechen zu lassen. „Wenn man es liegen lässt, sind ja alle Kontakte weg. Die Arbeit wäre zunichte gemacht“, so Frank. Das Problem: Niemand weiß, ob die Arbeit weitergehen kann. Dortmund hat bislang zwei Beratungsstellen.
Dortmund hat bisher spezialisierte Beratungsstrukturen für verschiedene Problemlagen
Ob überhaupt eine oder gar beide weiter machen können, ist nicht absehbar. Denn die neue Aufgabe stellt den Kampf gegen prekäre Beschäftigung in den Mittelpunkt. Diese Arbeit wird bisher von den Berater*innen von „Faire Mobilität“ bzw. „Arbeit und Leben“ gemacht.
Diese haben den Fokus auf die Benachteiligung und Ausbeutung von Beschäftigten vor allem aus Südosteuropa. Diese Menschen kommen zwar teilweise auch mit ihren Problemen ins Arbeitslosenzentrum. Doch Bei der Erwerbslosenberatung setzt man ganz andere Akzente – hier geht es vor allem auch um Hilfen mit dem Jobcenter oder dem Sozialamt.
Allein in der Erwerbslosenberatung im Arbeitslosenzentrum in der Nordstadt gibt es vier pädagogische Fachkräfte, die sich drei Stellen teilen. Sie arbeiten schon jetzt am Limit. Ähnlich sieht es in Huckarde aus, wo Martina Frank mit nur einer Stelle sich um das Themenfeld kümmern muss. Ob sie in der neuen Förderkonstellation überhaupt berücksichtigt werden und dann auch mit der Zahl der Fachstellen, ist überhaupt nicht absehbar.
Ganz abgesehen davon: Der Vorschlag, verschiedene Aufgaben dazu zu nehmen und zu bündeln, lässt sich in der Praxis kaum machen. „Die meisten Einrichtungen haben nur eine Fachkraft. So vielfältige Aufgaben kann die eine Person nicht alleine übernehmen. Wie soll sie sich qualifizieren, bei so vielen Feldern“, verdeutlicht Tripp. Denn nach dem neuen Konzept sollen sich die Beratungsstellen zusätzlich dem Kampf gegen ausbeuterische Beschäftigung widmen. Dafür gibt es derzeit spezialisierte Beratungsstellen – auch in Dortmund.
Unabhängige Beratung ist wichtig – 12.000 Menschen nehmen Angebote wahr
„Die Mitarbeiter*innen sowie die Hilfesuchenden leiden darunter, dass sozial notwendige Arbeit ständig befristet und unterfinanziert ist und sie dennoch neue Auflagen und Aufgaben erhalten, die fachlichen Anforderungen stetig steigen und kaum zu bewältigen sind“, fasst Tripp die Herausforderungen zusammen.
„Da wird alles reingepackt, was en vogue ist. Das ist kaum von den Beratungskräften abzudecken“, kritisiert Heike Henze-Brockmann, Geschäftsführerin der AWO-Tochter dobeq. Die AWO ist Trägerin des Arbeitslosenzentrums. „Das Ganze ist sehr auf Bedürfnisse von Arbeitgebern abgestellt. Doch was ist mit den Mitarbeiter*innen hier und den Bedürfnissen der Menschen“, fragt sie mit Blick auf die zahlreichen Hilfesuchenden.
Denn nicht nur in Dortmund arbeiten die Berater*innen seit Jahren an den Kapazitätsgrenzen und auch darüber hinaus. „Und sie müssen sich immer neu rechtfertigen, warum es sie gibt“, macht Tripp ihrem Frust Luft. Dabei leisten die Arbeitslosenzentren eine gesetzlich vorgeschriebene Beratung, die durch das Jobcenter finanziert wird. Dennoch werde die Arbeit in Frage gestellt.
„Beim Jobcenter kann es aber keine neutrale Beratung geben, gerade daher werden wir auch gebraucht“, so Tripp. Die vier Beratungskräfte – sie teilen sich drei volle Stellen – beraten pro Jahr 2.200 Menschen in Dortmund. „Wir müssen auch Menschen abweisen“, so Tripp. Mehr als 12.000 Menschen nehmen die Angebote des ALZ und der EBS jährlich wahr. „Mittlerweile suchen uns fast zwei Drittel Menschen mit Migrationshintergrund auf; insbesondere für diese Gruppe nimmt das ALZ eine wichtige Lotsenfunktion ein“, so die Dortmunder Leiterin.
SPD-Kritik: Kampf gegen ausbeuterische Strukturen darf nicht zu Lasten der Erwerbslosenberatung gehen
„Das unkluge Verhalten der Landesregierung sorgt für große Unsicherheit bei allen Beteiligten. Dabei helfen die unabhängigen Beratungsstellen vielen Arbeitslosen bei der Bewältigung ihrer Alltagssorgen und bei der Suche nach einem neuen Job“, betonten die Dortmunder SPD-Landtagsabgeordneten Volkan Baran, Anja Butschkau, Armin Jahl und Nadja Lüders, die jetzt die Einrichtung in der Nordstadt besucht haben.
„Die Beschäftigten in den Beratungszentren wie hier in Dortmund machen einen ausgezeichneten Job, sind höchst erfahren und Expertinnen und Experten im Umgang mit dem Thema Arbeitslosigkeit. Sie helfen vielen Arbeitslosen bei der Bewältigung ihrer Alltagssorgen und bei der Suche nach einem neuen Job“, so die Dortmunder Abgeordneten.
Klar sei auch, dass der Beratungsbedarf der Menschen seit Jahren steige. In Anbetracht einer schwächer werdenden Konjunktur, Umbrüchen auf dem Arbeitsmarkt durch die Digitalisierung und damit einhergehend steigender Arbeitslosenzahlen sei absehbar, dass der Bedarf nach guter Beratung noch größer werde, glauben nicht nur die Dortmunder SPD-Landtagsabgeordneten.
Die Kritik an den Plänen sehen sie ausdrücklich nicht parteipolitisch motiviert. Der Kampf gegen ausbeuterische Strukturen sei richtig und wichtig. „Aber das darf nicht zu Lasten der Menschen gehen, die eh schon bis zur Halskrause in Arbeit stecken. Auch geht das zur Lasten der Qualität“, betont Butschkau. Zudem sei deren bisherige Arbeit – die Erwerbslosen- und Sozialberatung – auch weiterhin wichtig.
Diese Arbeit müsse weiterhin erhalten bleiben – man dürfe nicht die Interessen von Arbeitslosen gegen die von prekär Beschäftigten gegeneinander ausspielen. Daher setzt sich die SPD-Landtagsfraktion dafür ein, dass die 79 unabhängigen Arbeitslosenzentren und 73 Erwerbslosenberatungsstellen in NRW über das Jahr 2020 erhalten und verlässlich finanziert werden – auch hier in Dortmund.
Hintergrund:
- In NRW gibt es aktuell 73 Erwerbslosenberatungsstellen und 79 Arbeitslosenzentren.
- Die Beratung der Erwerbslosenberatungsstellen und das Angebot der Arbeitslosenzentren unterscheiden sich in ihren Handlungsansätzen und Zielsetzungen.
- Die Erwerbslosenberatungsstellen konzentrieren sich auf die berufliche Entwicklung, Qualifizierungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten. Sie legen den Fokus der Beratung auf die wirtschaftliche und psychosoziale Situation des Ratsuchenden. Sie unterstützen bei rechtlichen Fragen, fungieren als Lotsen zu anderen Institutionen und vernetzen sich mit lokalen, regionalen und überregionalen Hilfenetzwerken.
- Die Arbeitslosenzentren arbeiten nach dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe. Sie geben den Menschen die Möglichkeit, ihr Leben selbst zu gestalten. Ihr Angebot ist bewusst niedrigschwellig gehalten. Sie bieten Begegnungsmöglichkeiten und soziale Kontakte. Die individuelle und persönliche Entwicklung der Menschen soll gestärkt werden.
- Als Anlaufstelle für Arbeitslose steht die Stärkung der Selbstbestimmung der Menschen und ihrer Teilhabemöglichkeiten an der Gesellschaft im Mittelpunkt.
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Neues „Beratungsnetzwerk Arbeit“ – CDU begrüßt sinnvolle Neustrukturierung ab 2021 (PM)
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Der mediale Aufschrei war groß, als es vor geraumer Zeit hieß, die nordrhein-westfälische Landesregierung streiche flächendeckend die Fördermittel für Arbeitslosenzentren (ALZ) und Erwerbslosenberatungsstellen (EBS). Auch in Dortmund wurde das Thema von SPD- und Links-Fraktion politisch aufgebauscht. Gemeinsam mit den Stimmen der Grünen wurden schließlich zwei hochtrabende Resolutionen verabschiedet und nach der Sitzung des Hauptausschusses Mitte Mai an die NRW-Landesregierung versandt.
In dem nun vorliegenden Antwortschreiben räumt NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) mit einigen Mythen rund um die landesweite Neustrukturierung der Erwerbs- und Arbeitslosenberatung auf. So werden für die aus Europäischem Sozialfonds (ESF) und Landesmitteln finanzierte Beratungsarbeit auch nach Auslaufen der aktuellen Förderphase Finanzmittel in gleicher Höhe wie bisher zur Verfügung gestellt. Die Erwerbslosenberatungsstellen sollen aber ab 2021 zu sogenannten „Beratungsstellen Arbeit“ weiterentwickelt werden, die sich verstärkt den Themen „Arbeitsausbeutung und prekäre Beschäftigung“ annehmen. Die bisherigen Beratungsangebote bleiben davon jedoch unberührt und werden zusätzlich um das Angebotsspektrum der Arbeitslosenzentren ergänzt. Die Maßnahmen der Landesregierung zielen darauf ab, dass Doppelstrukturen durch die Reorganisation abgebaut werden und ein landesweit einheitliches „Beratungsnetzwerk Arbeit“ entsteht.
„Der Fall Tönnies zeigt, dass Minister Laumann mit seiner Schwerpunktsetzung auf „Arbeitsausbeutung und prekäre Beschäftigung“ genau richtig liegt. Hier muss einfach mehr getan werden als bisher, wenn sich nachhaltig etwas ändern soll. Das gilt auch für Dortmund, denn bei uns leben besonders viele Menschen aus Südosteuropa“, meint Justine Grollmann, sozialpolitische Sprecherin der CDU-Fraktion. „Unsere CDU-geführte Landesregierung hat hier wieder einmal großen Weitblick bewiesen. Und zwar schon lange bevor die extremen Missstände in puncto faire Arbeitsbedingungen durch die Corona-Pandemie schonungslos aufgedeckt wurden und jetzt in aller Munde sind.“
Bereits in der Mai-Sitzung des Hauptausschusses habe die CDU-Fraktion darauf hingewiesen, dass die Landesregierung nicht etwa die wertvolle Arbeit der Erwerbslosenberatungsstellen und Arbeitslosenzentren abschaffen wolle. Vielmehr gehe es bei der Strukturreform darum, wichtige neue Schwerpunkte zu setzen, das System der Beratungsstellen zu vereinheitlichen und Synergieeffekte zu erzeugen, stellt Grollmann abschließend fest.
Die Beratungsstelle Arbeit der Arbeiterwohlfahrt informiert: Finanzielle Hilfen für Familien und Kinder (PM)
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Das Bildungs-und Teilhabepaket (BuT) hilft Familien mit niedrigem Einkommen bei den Kosten für die Schulbildung und gemeinschaftlicher Aktivitäten. Auch Familien, die Wohngeld und/oder Kinderzuschlag erhalten, können Anträge auf BuT Leistungen stellen. Das Schulbedarfspaket wird zum Februar in Höhe von 51,50 € und zum August in Höhe von 103,-€ ausgezahlt. Den Antrag für diese Unterstützung findet man auf der Seite der Stadt Dortmund, dem Jobcenter oder dem ALZ. Weitere Informationen erhalten Sie in der Beratungsstelle Arbeit in der Leopoldstraße.