„Und die haben trotzdem den Mund aufgemacht“ – Chanukka: Licht und Zivilcourage in den Zeiten der Finsternis

Auch der übliche Regen konnte es nicht verderben: das Chanukka-Fest 2019 in Dortmund. Fotos: Leopold Achilles

Von Inci Şen

Alle Jahre wieder … ist es Zeit beim jüdischen Chanukka-Fest, die Kerzen anzuzünden. Ein Blick über den Tellerrand, ein Statement und ein Fest, das nicht ins Wasser fiel. „Regen. So lange ich mich daran erinnern kann, regnete es hier die letzten Jahre“, so einer der Pressefotografen, die das Channuka-Fest bildlich festhielten. „Regen gehört fast schon dazu.“ Regen, der Duft von frischen Quarkbällchen, Dunkelheit und jüdische Musik liegen in der Luft.

Chanukka – Ursprünge des jüdischen Festes in dunkler Zeit der Besatzung durch Hellenen

Um die 350 Gäste besuchten am Sonntagabend das Lichteranzünden der jüdischen Kultusgemeinde auf der Kulturinsel am Phönixsee in Dortmund-Hörde. Ansteckbare Mini-LED-Lichter erhellen die Nacht und unterstreichen die freundlich-lockere Atmosphäre.

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„Es geht bei Chanukka darum, dass vor ca. 2.300 Jahren die Hellenisten Israel – das gelobte Land – für sich eingenommen haben. Sie haben ihre eigene Kultur und ihre Lebensweise in das gelobte Land mitgebracht. Und sie meinten, dass alle Menschen so sein sollen, wie die Griechen selbst.

Die griechische Philosophie, die Kultur, das Theater und so weiter und so fort. Sport. Alles andere ist unwichtig, sagten sie. Und in der Tat gab es viele Menschen, die sich hellenisieren ließen“, erzählt Rabbiner Baruch Babaev von den Ursprüngen des jüdischen Festes.

Widerstand gegen die griechische Fremdherrschaft im gelobten Land ist erfolgreich

Und fährt fort: „Aber eine Anzahl von Menschen fragte: Was ist mit unserer Kultur? Und diese Leute sind dagegen aufgestanden, obwohl gegen so eine riesige Macht alle Völker verloren haben. Und die haben trotzdem den Mund aufgemacht, haben sich erhoben, haben etwas dagegen getan und schlussendlich Sieg erlangt. Als sie nach Jerusalem kamen und den Tempel neu einweihten – weil die Griechen zuvor ihre ,Götzen’ reingestellt hatten – wollten sie die Menora, den goldenen Leuchter anzünden.

Rabbiner Baruch Babaev

Und dafür braucht man reines Öl. Sie fanden keins, bis auf einen Krug mit reinem Öl und das brannte genauso lange, bis das neue Öl hergestellt wurde. Acht Tage lang. Und seitdem feiern wir für acht Tage lang ein Fest. Das ist die Geschichte für Kinder“, so Baruch Babaev.

Die gute Erziehung der Kinder ist den Menschen der jüdischen Gemeinde besonderes wichtig. Babaev erzählt bei der Eröffnungsrede stolz davon, wie jüdische und nicht-jüdische Kinder in der ersten jüdischen Kindertagesstätte zusammen spielen und beste Freunde sind.

Ziel sei es, die neue Generation richtig zu erziehen und zusammen aufwachsen zu lassen, so dass Berührungsängste gar nicht erst entstehen. Auch in Chanukka, so Babaev, stecke das Wort „Chinuch“, was übersetzt „Erziehung“ bedeutet.

Baruch Babaev: „Es geht darum, den Mund aufzumachen, wenn Ungerechtigkeit passiert.“

Weiter erzählt er im Einzelgespräch: „Für die Erwachsenen lautet die Geschichte dahinter nicht mit Öl, sondern es geht darum, den Mund aufzumachen, wenn Ungerechtigkeit passiert. Nicht zu schweigen, sondern aufzustehen und weiterzumachen. Und jeden Tag wird eine weitere Kerze angezündet, weil, wenn jemand sagt: ,Ich mach doch schon was Gutes’, ist das nicht genug! Du musst noch etwas dazu tun und nochmal etwas. Immer weiter und weiter. Es ist aufsteigend, nicht absteigend. Das ist der Gedanke dahinter.“

„Chanukka bedeutet für Sie also, aufzustehen und die Stimmen dagegen zu erheben, wenn irgendwo Ungerechtigkeit passiert?“

„Ja genau, es ist kein Zufall, dass Chanukka immer zur dunkelsten Zeit des Jahres stattfindet. Es war damals eine dunkle Jahreszeit, aber es war auch eine dunkle Zeit in den Herzen der Menschen. Das Chanukka-Fest bringt Licht rein. Genau dann immer Abends, wenn es dunkel wird, wird die Kerze angemacht. Genauso wie die Kinder sagen: ,Ich habe Angst vor der Dunkelheit.’ Aber es reicht ein bisschen Licht zu machen und dann ist alles vorbei.“

Schon kurz nach Ende des zweiten Weltkriegs schlossen sich fünfzig jüdische Mitbürger*innen zusammen und eröffneten 1956 die jüdische Kultusgemeinde in Dortmund. Rund 3.000 jüdische Mitglieder umfasst die Gemeinde heute.

Zahlreiche Gäste beim Fest auf der Kulturinsel am Phönixsee in Dortmund-Hörde

Auch Oberbürgermeister Ullrich Sierau hielt zu Beginn der Veranstaltung eine Rede. Hierbei wurde klar signalisiert: Juden und Jüdinnen gehören zu Deutschland und mit dem Besuch des Festes wird eine vielfältige und demokratische Nation betont. Ein Statement, welches in Zeiten von zunehmendem Antisemitismus dringend benötigt wird.

Rabbiner Baruch Babaev, Zwi Rapport – Vorstand der jüdischen Gemeinde – sowie die Vorsitzende der Repräsentanz, Hannah Sperling, überreichten dem Dortmunder Oberbürgermeister Sierau als Präsent der Gemeinde eine Chanukkia. Jener acht- bzw. neunarmige Leuchter, der am Chanukka-Fest Licht in die Welt bringen soll.

Unter den Besucher*innen waren unter anderem auch vertreten: der Dortmunder Bürgermeister Manfred Sauer, Polizeipräsident Gregor Lange sowie die Dezernentinnen Birgit Zoerner und Daniela Schneckenburger. Ebenso bereicherte der 81-jährige Künstler und Botschafter des Friedens Leo Lebendig mit seinem auffallenden Kostüm als Paradiesvogel das Fest.

Auch Vertreter*innen anderer Religionsgemeinschaften setzen mit ihrem Kommen ein Zeichen für ein Miteinander in einer inklusiven Gesellschaft: Imam Ahmad Aweimer, Vorsitzender des Rates der muslimischen Gemeinden, und der evangelische Pfarrer Friedrich Stiller, Referat für gesellschaftliche Verantwortung im Kirchenkreis Dortmund. Beide sind, zusammen mit Rabbiner Baruch Babaev, Mitglieder des Dialogkreises der Abrahamreligionen in Dortmund.

Gemeinsames Anzünden des Chanukka-Leuchters – ein Augenblick des Innehaltens

Das anschließende gemeinsame Anzünden der Kerzen des riesigen Chanukka-Leuchters war ein Augenblick des Innehaltens und eines der Highlights des Festes. Für die Kinder gab es dazu Berliner Krapfen, süß glasiert mit dem jüdischen Stern.

Nachdem die offiziellen Punkte vorbei waren, ging der Abend mit Tanz, Gesang und jüdischer Live-Musik weiter. Hier hatte auch der Regen nichts entgegenzusetzen!

„Du Jude!“, so solle man künftig an deutschen Schulen mit einem Lächeln sagen, so der Wunsch des Rabbiners Babaev – „Du Jude, Du lebst unter uns und wir sind froh, dass Du da bist!“

 

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