„Hinter jeder verschlossenen Tür steckt eine Seele“ – Knastkulturwoche mit Einblicken in das Leben in der JVA

Die Veranstaltung fand in der eigenen Kirche der JVA Dortmund statt. Neben der Trommelgruppe und dem Kochbuch waren Bilder der Insassen und diverse selbstgemachte Weihnachtsartikel ausgestellt. Fotos: JVA

Den Mikrokosmos Knast mal von einer ganz anderen Seite kennenlernen – diese Möglichkeit bot sich in der JVA Dortmund im Rahmen der Knastkulturwoche 2019, die unter dem Motto „Mehr als Brot und Wasser“ stattfand. Präsentiert wurden die eigene Knastband, eine Cajon-Trommelgruppe, die dem Publikum mit Klassikern wie „We will rock you“ von Queen oder „One“ von U2 richtig einheizte, sowie ein selbst gemachtes Kochbuch mit dem Titel „Wasser und Brot – Kochen im Knast“. Das ansprechend gestaltete Kochbuch mit Gerichten aus vielen unterschiedlichen Ländern enthält jedoch weitaus mehr als nur Rezepte.

„Insassen können stolz sein“ – Trommelgruppe heizte dem Publikum so richtig ein

Schlagzeug- und Percussionlehrer Michael „Maikel“ Müller aus Gelsenkirchen, wo er mit dem „Drum Cube“ eine eigene Schlagzeugschule führt, würde jederzeit wieder ein solches Projekt in der JVA durchführen. Er bedankte sich bei der Anstaltsleitung für die Möglichkeit, mit den Häftlingen arbeiten zu dürfen.

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Schlagzeuglehrer Michael Müller (vorne rechts) würde ein solches Projekt in der JVA jederzeit wiederholen.

Insgesamt neun Stunden haben er und seine Nachwuchs-Trommler für den Auftritt geprobt und dabei rockige aber auch nachdenklich-melancholische Stücke einstudiert, die sie dem Publikum präsentierten.

Die Gruppe sei im Laufe der Zeit immer mehr zusammen gewachsen und er versicherte allen Mitgliedern, dass sie stolz auf das sein können, was sie innerhalb so kurzer Zeit erreicht haben. Dass alle Beteiligten, allen voran die Insassen selbst, Spaß an der Sache hatten, war ihnen sichtlich anzumerken. Sie hatten sogar einen eigenen Publikumsanheizer, der die Gäste zum Mitsingen und Mitklatschen animierte, was auch gut angenommen wurde. 

Das Publikum klatschte zu jedem Song ordentlich Beifall und war überzeugt von dem Projekt, das den jungen Männern eine spannende Abwechslung vom Gefängnisalltag geboten hat. Levent Arslan, Leiter des Dietrich-Keuning-Hauses in der Dortmunder Nordstadt, der den Auftritt als Gast verfolgte, könnte sich sogar vorstellen, soweit dies möglich sei, die Truppe mal zu sich ins Haus einzuladen.

„Wasser und Brot – Kochen im Knast“ ist weit mehr als nur ein Kochbuch

Das Cover des JVA-Kochbuchs, das neben Rezepten auch Interviews und Hintergrundgeschichten enthält.

Nach dem Auftritt der Cajon-Gruppe wurde das selbst gemachte Kochbuch vorgestellt, in dem mehr steckt, als der Name „Wasser und Brot – Kochen im Knast“ zunächst verrät. In der JVA Dortmund, wo die meisten Insassen entweder in der U-Haft sitzen oder nur kurze Haftstrafen zu verbüßen hätten, wie Anstaltsleiter Ralf Bothge betonte, sitzen junge Männer aus rund 40 unterschiedlichen Ländern und Kulturen, was kulinarisch und inhaltlich in das Buch eingeflossen ist.

Es sei mitunter schwierig in der JVA Menschen zu finden, die über einen längeren Zeitraum zusammen bleiben könnten oder wollten. Umso toller sei es, dass die zwei Projekte realisiert werden konnten. Beim „interkulturellen Kochen“, wie Bothge es bezeichnete, konnte sich jeder Häftling mit Rezepten aus seiner Heimat einbringen. „Es wurde geschnippelt, gehackt, gebraten und mit Gewürzen verfeinert, die ich bis dahin gar nicht kannte“, freut sich Bothge über das gelungene Projekt.

So beinhaltet das Buch beispielsweise griechische, syrische und rumänische Gerichte. Der interkulturelle Austausch habe super funktioniert, alle Bedenken, die man im Vorfeld gehegt habe, seien schnell zerstreut worden. Und so enthält das Kochbuch eben nicht nur Rezepte, sondern es werden auch Informationen und Geschichten über deren Herkunft erzählt. Mal geht es um das Gericht an sich, mal über die Besonderheiten der Nation, aus der es stammt. Hinzu kommen interessante Interviews mit Häftlingen und Personal über das Alltagsleben im Knast.

Den Druck für das Kochbuch übernimmt die JVA Druck und Medien Geldern

An der Umsetzung des Kochbuchs haben 20 Häftlinge mit Unterstützung des JVA-Personals mitgewirkt. In der winzigen JVA-Küche wurde gemeinsam, ohne Trennung zwischen JVA-Personal und Häftlingen, gekocht und gegessen. „Wir wollten hier bewusst alte Hierarchien durchbrechen“, so der Anstaltsleiter weiter. Er bedankte sich bei den „vielen guten Geistern“, die das Projekt ermöglicht hätten. 

Die Justizvollzugsanstalt (JVA) ist Ort des Regelvollzuges für „normale“ Häftlinge.
In der JVA Dortmund sind Insassen aus rund 40 verschiedenen Nationen inhaftiert. Foto: Alex Völkel

Allen voran erwähnte er in diesem Zusammenhang die junge „begnadete“ Designstudentin Vanessa Dargel, die unentgeltlich das gelungene Layout, den Schriftsatz und die Druckvorbereitung übernommen hatte. „Ohne Dich wär’s nicht entstanden“, bedankte sich Bothge bei ihr für die unzähligen Stunden, die sie investiert habe. 

Das Kochbuch war zur Veranstaltung noch nicht ganz fertig und wurde als Powerpoint-Präsentation vorgestellt. Aber schon hier konnte man die professionelle Umsetzung erkennen. Vanessa Dargel selbst verriet, dass das Buch in dieser Woche noch in den Druck geht. 

Das Kochbuch wird ebenfalls in einem Gefängnis, der JVA in Geldern gedruckt werden. Ab Anfang Dezember kann es dann erworben werden. Wer ein Exemplar bestellen möchte, kann dies über das im Anhang des Artikels befindliche Bestellformular tun. Der Preis beträgt 12,50 Euro pro Stück zuzüglich der Versandkosten.

Im Dezember gastiert die Anne Frank-Wanderausstellung in der JVA Dortmund

Kampagnenmotiv zur Anne Frank-Wanderausstellung, die im Dezember und Januar in der JVA Dortmund zu sehen sein wird.

Nach der Vorstellung der zwei Projekte machte Ralf Bothge noch auf eine weitere Veranstaltung aufmerksam. Zu diesem Zweck schlug der ansonsten sehr lockere Anstaltsleiter einen etwas ernsteren Ton an. Zunächst machte er darauf aufmerksam, dass die Menschen in Dortmund unter dem Problem der Präsenz einer großen Neonazi-Szene in der Stadt leiden würden. Die JVA Dortmund habe sich immer klar gegen Rechts positioniert und werde dies auch weiterhin entschieden tun.

Die Anstalt sei sich ihrer Verantwortung auf diesem Gebiet bewusst und führe immer wieder themenbezogene Projekte zur Aufklärung und Bildung durch. In diesem Zusammenhang wolle Bothge auf ein sehr interessantes und wichtiges Projekt aufmerksam machen, das den Beteiligten sehr am Herzen liege. 

Vom 10. Dezember 2019 bis zum 3. Januar 2020 wird in der JVA Dortmund die Wanderausstellung „Lasst mich ich selbst sein – Anne Franks Lebensgeschichte“ gastieren. Das Besondere an der Ausstellung im Gefängnis ist, dass die Besucherinnen von Inhaftierten, die im Vorfeld intensiv auf das Thema vorbereitet und geschult werden, durch die Ausstellung geführt werden. Sie zeigt das Leben des jungen Mädchens, das zum Symbol für den Völkermord an den Juden durch die Nationalsozialisten geworden ist, in acht Teilen.

Zum Abschluss wurden Weihnachtskekse für den guten Zweck verkauft

Der größte Teil aus dem Erlös des Keksverkaufs wird für den guten Zweck gespendet.

Die Wanderausstellung wendet sich direkt an Jugendliche mit Fragen zu Identität, Gruppenzugehörigkeit und Diskriminierung: Wer bin ich? Wer sind wir? Wen schließen wir aus? Sie geht zudem der Frage nach, was wir heute bewirken können und stellt Initiativen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus vor.

Neben den zwei Projekten waren in der anstaltseigenen Kirche, in der die Veranstaltung stattfand, auch Kunstwerke der Insassen aufgestellt, in denen sie sich inhaltlich z.B. zum Evangelischen Kirchentag, mit den Themen Vertrauen, Religion oder Familie beschäftigten. Zudem waren handgemachte weihnachtliche Artikel ausgestellt, die auf der Internetseite des eigenen Gefängnisladens (siehe Anhang des Artikels) bestellt werden können. 

Zum Abschied konnten die Gäste am Ausgang selbstgemachte Weihnachtsplätzchen kaufen. „Von Mörderhand gebacken“, wie Anstaltsleiter Bothge schwarzhumorig anmerkte. Von dem Preis von 2,50 Euro spendet die JVA Dortmund 1,50 Euro pro Päckchen für den guten Zweck. In diesem Jahr geht der Erlös an das Therapeutisch-Pädagogische Zentrum Villa Löwenherz in Dortmund.

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