Voraussichtlich am 27. August wird sich das Bundeskabinett mit dem Abschlussbericht des Staatssekretärsausschusses zu „Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Angehörige der EU-Mitgliedstaaten“ beschäftigen. Eine erste Einschätzung dazu von Dortmunds Sozialdezernentin Birgit Zoerner.
Kommunen haben massiv Druck auf Land und Bund gemacht – erste Erfolge sichtbar
„Auf Druck der seit dem Beitritt von Rumänien und Bulgarien in die EU im Jahre 2007 besonders von Armutszuwanderung aus diesen Ländern betroffenen Kommunen hat das Thema Eingang in die Koalitionsvereinbarung der Großen Koalition in Berlin gefunden“ sagte Sozialdezernentin Birgit Zoerner im Zuge einer ersten Einschätzung des bereits jetzt in der Öffentlichkeit diskutierten Papiers.
Ein Zwischenbericht zum Thema wurde am 26. März vorgelegt. „Ich habe ihn damals auch in meiner Funktion als Leiterin der Arbeitsgruppe des Städtetages ,AG Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien’ als unzureichend kritisiert und Nachbesserungen eingefordert – vor allem in Form eines unbürokratischen Soziallastenausgleichsfonds für die Kommunen sowie Lösungen für das Problem der Vielzahl von nicht krankenversicherten Menschen.“
Bund übernimmt endlich Verantwortung für die Folgen der Zuwanderung
Es wurde ebenfalls eingefordert, dass der Bund endlich seiner Verantwortung gegenüber den Kommunen, die die sozialen Folgen zu tragen haben, gerecht werden müsse, die er mit der Zustimmung zu den Beitritten von Rumänien und Bulgarien in die Europäische Union übernommen hat. „In vielfältigen Diskussionsrunden in Berlin habe ich diese Positionen immer wieder mit Nachdruck vertreten“, so Zoerner.
Der Entwurf des Endberichtes zeige: „Die Arbeit hat sich gelohnt; wir konnten durch unsere nachhaltige Kritik am Zwischenbericht wichtige Fortschritte erreichen. Neben den nunmehr konkretisierten Fördermitteln für die Kommunen zur Ausgestaltung von Integrationsprojekten will der Bund die betroffenen Kommunen noch im Jahr 2014 um 25 Mio. Euro entlasten.“
Allerdings reiche Summe bei weitem nicht. Das scheint auch der Bund erkannt zu haben: Im Jahr 2015 soll überprüft werden, ob weitere Mittel auf diesem Wege fließen sollen. „Das Thema bleibt somit auf der Tagesordnung. Das ist ebenfalls ein wichtiger Erfolg unserer Arbeit“, betont Dortmunds Sozialderzernentin.
Stärkerer Fokus auf Integration statt nur auf Repression
„Wenn man sich vor Augen führt, dass die Bundesregierung noch vor etwa zwei Jahren das Problem der Armutszuwanderung innerhalb der Europäischen Union und ihre Folgen für die Kommunen vollständig negiert hat, kann man erkennen, wie viel zwischenzeitlich erreicht werden konnte.“
Ebenfalls positiv sei das wesentlich ausgewogenere Verhältnis zwischen notwendigen Maßnahmen im ordnungsrechtlichen Bereich und bei der Bekämpfung des Missbrauchs der Freizügigkeit auf der einen Seite und den integrationsunterstützenden Maßnahmen sowie Hilfen für die betroffenen Kommunen auf der anderen Seite enthält.
Integration statt Parallelgesellschaft
„Ein Großteil der Menschen wird bleiben, solange sich die Situation in ihren Herkunftsländern nicht erheblich verbessert. Aus diesem Grund gibt es keine Alternative zur Integration“, so Zoerner weiter. „Deswegen ist die Hauptherausforderung für die Kommunen der Aufbau von Gelingensbedingungen für Integration, wollen wir das Entstehen von Parallelgesellschaften verhindern.“
Schwachstelle bleibt die medizinische Versorgung für Menschen ohne Krankenversicherung
Schwachstelle des Abschlussberichtes bleibt der Umgang mit nicht krankenversicherten Menschen. Zwar verpflichtet der Bund die Krankenkassen zur Übernahme der Kosten für die Impfung von nicht krankenversicherten Kindern – in Summe etwa zehn Mio. Euro Entlastung für alle Kommunen im Jahr – aber das grundsätzliche Problem der notwendigen Herstellung des Krankenversicherungsschutzes bleibt ungelöst.
„Hier muss sich der Bund wesentlich mehr bewegen. Die Kommunen sind nicht die Ausfallbürgen für die Regelungsdefizite auf europäischer Ebene“, fordert die Sozialpolitikerin. Daher fordern die betroffenen Kommunen weiterhin eine Clearing-Stelle, um die Überleitung des Krankenversicherungsschutzes von einem EU-Mitgliedstaat in den anderen abzusichern und einen Notfallfonds für die notwendigen Hilfen bis zur Klärung des Krankenversicherungsstatus der betroffenen Menschen.
Bund operiert bewusst mit zu niedrigen Zahlen – Kritik am Innenminister
Ein Ärgernis bleibe, dass auch im Abschlussbericht wiederum die Zahlen des Ausländerzentralregisters zugrunde gelegt werden. Sie liegen wesentlich unter den aussagekräftigen Zahlen des Einwohnermeldeamtes. „Auf dieses Problem war bereits in der Folge des Zwischenberichts hingewiesen worden“, erinnert Zoerner.
„Dass dies im Abschlussbericht nicht korrigiert wurde, ist auch aus dem Grunde nicht nachzuvollziehen, als dass Bundesinnenminister Thomas de Maizière bei seinem Besuch in Dortmund Anfang Juni dieses Jahres die exakten Zahlen übergeben wurden und die Problematik noch einmal genau erläutert wurde“, ärgert sich die Dortmunder Sozialdezernentin.
So weist zum Beispiel das Ausländerzentralregister für Dortmund für den Zeitraum Januar bis April 2014 für Rumänen und Bulgaren eine Zuzugszahl von 409 Personen aus, tatsächlich waren es aber 838.
Etappenziel erreicht – aber es bleibt noch sehr viel zu tun
„Mein Fazit lautet: Wir haben eine weitere wichtige Etappe gemeistert. Es bleibt aber noch viel zu tun, um für die Kommunen die strukturellen Rahmenbedingungen durchzusetzen, die sie zur Bewältigung der im Zusammenhang mit der Armutszuwanderung innerhalb der Europäischen Union entstandenen Herausforderungen benötigen.“
In der nächsten Woche wird sich am Tag der Kabinettsbefassung auch die Arbeitsgruppe des Städtetages mit dem Bericht beschäftigen.
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