Ein Fahrrad für jedes Kind in der Nordstadt: Verein Kinderglück und Kenan Güvercin machen es möglich

Haben schon über 600 Kinder in Dortmund sehr glücklich gemacht: v.l. der Sohn des Ladeninhabers Bilal Güvercin, Bernd Krispin und Fahrradhändler Kenan Güvercin. Die Reaktionen der Kids sind ihr bester Lohn. Foto: Peter Gräber

Von Peter Gräber

„Viele Erwachsene haben vergessen, was es für ein Kind bedeutet, ein Fahrrad zu haben“, sagt Bernd Krispin (63 Jahre), Gründer und Erster Vorsitzender des Vereins Kinderglück e.V.  „Meistens fällt es zum ersten Mal bei den Fahrradprüfungen in der Grundschule auf, wenn ein Kind ohne ein ordentliches und verkehrstüchtiges Fahrrad dasteht.“ Einmal mehr fühlen sich Kinder aus ärmeren Familien dann öffentlich stigmatisiert. Der Verein Kinderglück e.V. und sein langjähriger Kooperationspartner Kenan Güvercin, Inhaber des Fahrrad-Discounters Galaxy in der Speicherstraße 100, verteilen deshalb in einer beispiellosen Hilfsaktion Fahrräder an bedürftige Kinder und Jugendliche in der Dortmunder Nordstadt.

Rund 600 Kindern konnte schon eine Riesenfreude bereitet werden

Wer die Wahl hat, hat die Qual. Da ist gute Beratung umso wichtiger. Fotos (4):  Kinderglück e.V.

Gut 600 Fahrräder haben sie schon verschenkt und jedes einzelne hat einen Jungen oder ein Mädchen glücklich gemacht – und es werden jedes Jahr mehr. Angefangen hat alles vor neun Jahren, als der Verein Kinderglück noch ganz am Anfang stand und kaum bekannt war. 

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„Uns war aufgefallen, dass viele Kinder kein Fahrrad haben“, erzählt Bernd Krispin. „Da meinte meine Frau Susanne: ,Wie wäre es, wenn wir Kindern ein Fahrrad schenken?‘. Unsere Grundidee war damals noch so 20 bis 30 Fahrräder zu verschenken.“ Wie bei den anderen Projekten des Vereins auch, sollten die Fahrräder über das Dortmunder Jugendamt, zuständig war damals Katrin Hermann, bedarfsgerecht verteilt werden. 

Wie auch beim Schulranzen-Projekt von Kinderglück e.V. sollten auch die Fahrräder qualitativ hochwertig sein. „Es kann nicht sein, dass die Kinder Schund bekommen, nur weil sie arm sind“, ist Bernd Krispin überzeugt. Doch woher solche Fahrräder nehmen? 

Verein Kinderglück freute sich über den Glücksgriff Kenan Güvercin

Kenan Güvercin hat für alle ein offenes Ohr und findet immer das passende Fahrrad.

Krispin recherchierte bei Karstadt, Decathlon diversen Händlern und landete schließlich bei der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen An den Teichen in Eving. „Mit denen hätte ich auch am liebsten zusammengearbeitet“, sagt er. „Doch es gab ein Problem: Die Fahrräder, die dort gebaut werden, sind zwar qualitativ sehr gut, aber auch teuer. Das war für uns einfach nicht zu stemmen.“ Zumal inzwischen vom Jugendamt signalisiert wurde:  Es gebe Bedarf für insgesamt 50 Kinderräder. 

Vom Leiter der Werkstatt An den Teichen kam dann der Hinweis auf Kenan Güvercin und seinen Fahrradhandel im Dortmunder Hafen. Was dann passierte, bezeichnet Bernd Krispin heute als Glücksfall für sich und seinen Verein: „Ich habe einen großartigen uneigennützigen Menschen kennengelernt, der ein echter Freund geworden ist. Normalerweise wird man ja sofort abgekanzelt, wenn man von jemandem etwas will. Doch Kenan war von Anfang an komplett offen für meine Idee. Dabei kannte er mich nicht. Auch unseren Verein kannte damals noch keiner.“ 

Kenan Güvercin hatte auch nichts dagegen, dass seine Fahrräder von Krispin zunächst einer Qualitätskontrolle unterzogen werden sollten. „Ich konnte ja nicht einschätzten, welche Qualität die Räder haben, die er hier verkauft.“

Unschlagbares Preis-Leistungs-Verhältnis beim Galaxy-Fahrraddiscount

Der Händler überließ Krispin einige seiner Fahrräder, damit dieser sie von einem befreundeten ehemaligen Radrennfahrer und vom Leiter der Werkstatt An den Teichen mit dessen eigenen Rädern vergleichen konnte: 

„Der sagte mir dann wörtlich: ,Unsere Räder haben vielleicht die eine oder andere bessere Komponente, aber beim Preis-Leistung-Verhältnis können wir nicht mithalten“, erinnert sich Bernd Krispin. „Er gab mir eine klare Empfehlung für die Galaxy-Fahrräder und da konnte ich sicher sein, gute Qualität zu bekommen. Das war sehr wichtig für uns.“ 

Über das Jugendamt meldeten die SozialarbeiterInnen, die den Kontakt zu den betreuten Familien mit Kindern haben, immer größeren Bedarf bei Krispin an: Aus den anfänglich geplanten 20 bis 30 Fahrrädern waren inzwischen 160 (!) Fahrräder geworden, die verteilt werden sollten. 

Kein Kind in Dortmund, insbesondere in der Nordstadt, soll auf sein Fahrrad verzichten

Kein Kind geht leer aus.

„Auch wenn wir die Fahrräder stark vergünstigt bekommen haben, musste unser Verein noch erheblich mehr bezahlen als zunächst geplant war“, meint Bernd Krispin. Was trotz eines schnellen Spendenaufrufs noch fehlte, wurde aus privaten Mitteln finanziert: Kein Kind sollte auf sein Fahrrad verzichten. 

Für Kenan Güvercin und seine damals vier Mitarbeiter bedeutete das vor allem viel Arbeit: Sie mussten alle diese Fahrräder im laufenden Geschäftsbetrieb nach einer individuellen Bedarfsliste (Jungen- oder Mädchenrad, Größe, Ausstattung usw.) vormontieren. 

Am Ende waren es 173 Fahrräder, die bei der ersten Aktion verteilt wurden. „Das war schon viel Arbeit“, räumt der 53-jährige Güvercin ein. „Es musste ja alle Fahrräder für jedes Kind vorbereitet werden. Trotzdem konnten sich die Kinder auch noch in gewissem Umfang ihr Rad selbst aussuchen.“

Rührende Reaktionen der Kids sind der beste Lohn für den betriebenen Aufwand

Am Tag der Abholung kamen dann die SozialarbeiterInnen und BetreuerInnen mit den Kindern zur Speicherstraße, um die Fahrräder abzuholen. „Das war sehr emotional“, sagt Bernd Krispin. „Da konnte man sehen, was es bewirkt, wenn ein Kinder kein Fahrrad hat. Den Gesichtsausdruck eines 12-jährigen Jungen, als er zum ersten Mal sein neues Fahrrad sah, werde ich wohl nie vergessen. Der konnte es gar nicht verstehen, dass das jetzt sein Fahrrad sein sollte.“ Und auch Kenan Güvercin ergänzt: „Ich habe hier einige gesehen, die vor Freude geweint haben oder ihrem Sozialarbeiter um den Hals gefallen sind.“

Auch bei der zweiten Aktion im Jahr darauf wurden zwischen 120 und 140 nagelneue Fahrräder an Kinder und Jugendliche abgegeben. Das besondere an der Kooperation zwischen Kinderglück e.V. und Kenan Güvercin ist die nachhaltige Zusammenarbeit. Denn mit der Übergabe der Fahrräder endet ihre Hilfe nicht. 

Häufig kommen die Empfänger der gespendeten Fahrräder zum Fahrradhandel des 53-Jährigen im Dortmunder Hafen zurück, weil sie Service benötigen oder Probleme mit ihrem Rad haben: „Dann ziehen wir einen neuen Schlauch ein oder montieren eine neue Klingel“, bestätigt Güvercin.

Selbstlos und mit offenen Augen hilft Kenan Güvercin den Nordstadt BewohnerInnen, wo er kann

Das Angebot von Güvercin ist Preis-Leistungs-technisch nicht zu schlagen.

„Dann sagen wir Tschüss! und das war’s. Ich sehe doch, dass diese Menschen nichts haben. Einige kommen zu Fuß von weit her und schieben ihr Rad zu uns. Da kann ich doch kein Geld verlangen.“ Auch gebrauchte Fahrräder rüstet der Händler wieder mit neuen Teilen auf, repariert Schäden, damit sie wie neu wieder an bedürftige Kinder abgegeben werden können. 

So eng funktioniert die Zusammenarbeit der beiden Kooperationspartner inzwischen, dass Bernd Krispin den Fahrrad Discounter im Hafen überall lächelnd als „Kinderglück-Fahrradstation“ bezeichnet. Wie in den ersten beiden Jahren stellen noch immer tagtäglich SozialarbeiterInnen und BetreuerInnen für die von ihnen betreuten Familien aus der Nordstadt Anträge auf Fahrräder oder bringen defekte Drahtesel zur Reparatur zurück. 

Wenn etwa wie unlängst eine Anfrage aus der Mitternachtsmission kommt, weil eine der betreuten jungen Frauen, die nachts auf der Straße stehen, für ihr Kind ein Fahrrad benötigt, dann setzt Bernd Krispin den Fahrrad-Händler in seinem E-Mail-Verkehr auf CC. „Dann weiß Kenan schon Bescheid und hat das Fahrrad vorbereitet, wenn der Sozialarbeiter es abholen kommt. Ich habe es noch nie erlebt, dass er uns eine Bitte abgeschlagen hat.“

Kenan Güvercin: „Was Kinderglück macht, ist einfach klasse. Da will ich dabei sein.“

Bemerkenswert ist, wie Kenan Güvercin sein uneigennütziges soziales Engagement begründet: „Ich habe auch früher schon mal ein Fahrrad an einen Fußballverein oder beim Karneval gespendet. Was der Verein Kinderglück e.V. macht, finde ich einfach klasse. Ich bin vor 40 Jahren nach Dortmund gekommen und habe ja selbst einen Migrationshintergrund. Ich hatte als Kind auch kein Fahrrad und habe erst mit 16 Jahren Radfahren gelernt. Als ich dann gesehen habe, dass die Hälfte der Kinder, die bei uns ihre Fahrräder abgeholt haben, ebenfalls einen Migrationshintergrund haben, war ich richtig stolz, helfen zu können. Wir sind doch alle ein Teil dieser Gesellschaft und müssen mit anfassen. Da will ich einfach dabei sein.“

Auch in diesem Jahr ist noch eine weitere zentrale Fahrrad-Übergabe geplant. Wer sich über den Verein Kinderglück e.V. und seine Arbeit informieren oder diesen mit einer Spende unterstützen will, kann dies online unter diesem Link tun. 

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Weitere Informationen:

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