Unter dem Motto „Kein Schlussstrich unter den NSU“ fand am Donnerstag (11. Juli 2019) an den Katharinentreppen in Dortmund eine Kundgebung statt. Der Anlass: Ein Jahr ist das Urteil im Münchener NSU-Prozess nun her. Noch immer herrscht Wut über das aus Sicht vieler Hinterbliebener unzureichende Verfahren und offene Fragen. Darum hat das Bündnis „Tag der Solidarität | Kein Schlussstrich Dortmund“ die Kundgebung organisiert.
Der NSU war nicht zu dritt – Verschleierung der UnterstützerInnen durch die Behörden
Mit einer Wanderausstellung und einer Audioinstallation mit Statements von Angehörigen der NSU-Opfer hat das Bündnis seine Perspektiven sichtbar gemacht und Forderungen angebracht: „Es darf keinen Schlussstrich unter den NSU geben“, fordert Marie Kemper, Pressesprecherin des Bündnisses.
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„Der Prozess ist nun ein Jahr vorüber, aber die Kritik am Rassismus und der Untätigkeit der Behörden bleibt, genauso wie die blinden Flecken, die der Prozess gelassen hat.“
„Warum Mehmet, warum ein Mord in Dortmund, gab es Helfer in Dortmund, sehe ich sie heute vielleicht immer noch, es gibt so viele Nazis in Dortmund, und was wusste der Staat?“, fragte Elif Kubaşık, die Ehefrau des 2006 ermordeten Dortmunders Mehmet Kubaşık in ihrem Plädoyer im November 2017 vor dem Münchener Oberlandesgericht.
So gut wie alle diese Fragen seien offen geblieben, sagt Marie Kemper vom Bündnis. „Die Bundesanwaltschaft ist auf Biegen und Brechen bei ihrer These vom Trio geblieben, obwohl sie nicht haltbar ist. Es ist bekannt, dass der NSU Hilfe hatte, sei es das Ausspähen von Tatorten, das Beschaffen von Waffen und Geld oder das Borgen von Krankenversicherungskarten“, kritisiert Marie Kemper. Eine Folge: Zwei wichtige Helfer, ohne die das Kerntrio das Leben im Untergrund nicht hätte managen können, haben so geringe Strafen erhalten, dass sie heute wieder auf freiem Fuß sind.
Rassistische Theorien der Ermittlungsbehörden haben Opfer zu Tätern gemacht
„Elf Jahre durften wir nicht einmal reinen Gewissens Opfer sein“, kritisierte 2012 Semiya Şimşek, Tochter des ersten NSU-Opfers Enver Şimşek. Denn in allen neun Morden gegen MigrantInnen, wie auch in Dortmund, ermittelten die Behörden zuerst vor allem gegen die Familien der Opfer.
„Die in großen Teilen rassistischen Theorien der Ermittlungsbehörden haben zusätzlich Opfer zu TäterInnen gemacht, sie haben Hinterliebene beschuldigt, Familien und Freundschaften zerstört“, so Marie Kemper weiter. Anschlag nach dem Anschlag nannten es die Menschen in der Kölner Keupstraße nach dem Nagelbombenattentat. Diese Diffamierung, die erst mit der Selbstenttarnung des NSU geendet habe, könne niemand wieder gut machen.
Der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten hat erneut gezeigt, dass die Gefahr durch RechtsterroristInnen eine reale ist. Der mutmaßliche Mörder Stefan E. war vor zehn Jahren am Angriff auf die Dortmunder DGB-Demo beteilgt und hatte Kontakte zu Stanley Röske, Schlüsselfigur der Kasseler Neonaziszene und der rechtsterroristischen Gruppierung Combat 18 in Deutschland. Außerdem stand Stefan E. auf der ZeugInnenliste der Linken im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss. „Und soll jetzt ein Einzeltäter gewesen sein. Das ist unbegreiflich“, so Kemper.
Der Fall Lübcke zeigt, dass die Gefahr von Rechts größer ist als je zuvor
Ihr Bündnis fragt zugleich, wie sich die Politik zur Gefahr von Rechts verhalten möchte. „Die Landesregierung lässt sich von niemanden in der Bekämpfung des Rechtsterrorismus übertreffen“, äußerte Innenminister Reul vergangene Woche im Innenausschuss NRW.
Trotz der neuen Erkenntnisse, die rund um den NSU, den Mord an Walter Lübcke und die Neustrukturierung von Combat 18 bekannt wurden, scheinen die Behörden rechten Terrorismus immer noch nicht realistisch einzuschätzen. „Der Inlandsgeheimdienst Verfassungsschutz schafft es sogar, Combat 18, die sich offen auf den bewaffneten Kampf beziehen, in seinem aktuellen Bericht ganze drei Mal zu erwähnen, in nichtssagenden Kontexten“, so Kemper weiter.
Der Verfassungsschutz setze weiter auf Blocken, Schweigen und das Verschieben der Verantwortung. Und der Staat versage an dieser Stelle. Seine Institutionen würden die Menschen die hier leben, nicht schützen. Die Zivilgesellschaft dürfe nicht den Fehler machen, wieder nicht hinzuschauen. Rassismus und Naziterror seien Gefahren, die uns alle angehen und mit denen wir die Opfer nicht allein lassen dürften.
„Wir wollen auch daran erinnern, dass es die Betroffenen und die Hinterbliebenen sind, die im Mittelpunkt des Geschehens stehen sollten. Ihre Forderungen sind es, die in den letzten acht Jahren viel zu wenig gehört wurden“, so Kemper abschließend.
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