Die ArmutszuwandererInnen vor allem aus Südosteuropa haben drei große Probleme: Wohnung, Arbeit, Krankenversicherung. Vor allem beim letzten Punkt konnte die Clearingstelle Gesundheit in den vergangenen drei Jahren mehreren hundert Menschen helfen, in die Regelsysteme des Gesundheitswesens zu kommen.
Übergang in die medizinische Regelversorgung als Ziel
Die Einrichtung richtete sich zunächst insbesondere an ZuwandererInnen aus Bulgarien und Rumänien mit ungeklärtem Versicherungsstatus, ist prinzipiell aber für alle Personen mit vergleichbaren Problemen zugänglich. Die drittgrößte Gruppe stellen aktuell Menschen, die lange in Spanien gelebt und gearbeitet haben, aber ursprünglich aus Nordafrika kommen. ___STEADY_PAYWALL___
Ziel der Clearingstelle ist es, unversorgten Menschen den Übergang in die medizinische Regelversorgung zu erleichtern. Die Federführung hat das Soziale Zentrum Dortmund e.V. (Der Paritätische NRW). Mit im Boot sind das Gesundheitsamt sowie ein virtuelles Kompetenzteam aus MitarbeiterInnen von fünf gesetzlichen Krankenkassen.
Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann hat jetzt in Dortmund persönlich den ersten Förderbescheid übergeben. Der Clearingstelle Dortmund stehen damit für die nächsten drei Jahre 490.000 Euro zur Verfügung.
Die Arbeit kann daher fortgesetzt werden – allerdings nicht nahtlos. Denn die erste Förderung lief bereits Ende März aus, ohne dass eine Bewilligung für die Weiterfinanzierung vorlag. Entsprechend musste das Soziale Zentrum die Büroräume in der City sowie die Beschäftigten kündigen. Nun mussten erst neue Räume eingerichtet werden. Zudem sind noch nicht alle Stellen wieder besetzt – teils stehen die Beschäftigten nun nicht mehr zur Verfügung.
Ein geklärter Versicherungsstatus bedeutet eine Entlastung für die Kommunen
Dennoch ist man nicht nur in der Nordstadt froh, dass die Arbeit fortgesetzt werden kann – vorerst in den Räumen des Sozialen Zentrums in der Westhoffstraße. Denn die Arbeit ist auch drei Jahre nach Beginn des Projekts weiter nötig.
„Es gibt immer wieder Fälle, in denen der Status der Krankenversicherung nicht geklärt ist. Das kann gerade bei akuten Erkrankungen zu nachhaltigen Problemen führen. Die Clearingstellen bieten für diese Menschen eine wichtige Anlaufstelle und ebnen vielen den Weg in die Regelversorgung. Die Arbeit vor Ort hat sich bewährt und als sinnvolle Ergänzung der bestehenden Beratungslandschaft etabliert – auch für die Kommunen im Umland“, erklärte Minister Laumann.
Neben Dortmund ist auch die Weiterförderung der anderen vier im Land tätigen Clearingstellen in Duisburg, Gelsenkirchen, Köln und Münster geplant. Diese Förderungen werden im Laufe des Jahres nach und nach auslaufen und bei erneuter Antragstellung übergangslos in die zweite Förderperiode übergehen. Insgesamt wurden bisher in allen Clearingstellen weit über 10.000 Beratungskontakte erfasst.
Rumänien und Bulgarien verweigern die Mithilfe – Spanien kooperiert gut
„Die gemachten Erfahrungen sind interessant. Wir müssen offen sagen, dass es Länder gibt, die uns nicht unterstützen und ihren Landsleuten hier nicht helfen“, betont Laumann. So gab es weder von rumänischer noch von bulgarischer Seite Unterstützung, um die Gesundheitsversorgung der jeweiligen Landsleute zu erreichen. Sowohl die Konsulate als auch die Botschaften reagierten nicht auf die Anfragen.
Anders sieht dies bei Spanien aus. Dort zeigte man sich sehr kooperativ und half beispielsweise bei der Beschaffung fehlender Unterlagen und Nachweise, um den Versicherungsschutz zu sichern.
„Die große Zahl nicht krankenversicherter Menschen, die aus anderen EU-Staaten kommen, zeigt uns, dass die auf dem Papier stehenden Regelungen nicht durchgehend funktionieren“, verdeutlicht Birgit Zoerner, Sozialdezernentin der Stadt Dortmund.
„Die Clearingstelle hilft uns dabei in zweierlei Hinsicht: Mit ihrer Unterstützung gelingt es, für viele Menschen den Krankenversicherungsschutz herzustellen. Konkret in 500 Fällen, zu den Familien gehören rund 400 Kinder“, so Zoerner. Das bedeutet für die Krankenhäuser und die Kommunen eine echte Entlastung. Denn ansonsten landen die Nicht-Versicherten als Notfälle in Kliniken.
Prävention und Vorsorge statt akuter Notfälle ohne Versicherungsschutz
Eine Behandlung wird in Krankenhäusern bei Notfällen auch bei fehlender Versichertenkarte nicht verweigert. „Wir lassen niemanden vor der Pforte liegen, wenn es ein Notfall ist. Das kann jedes Krankenhaus verkraften. Aber wenn solche Fälle massiv auftreten, kann es zum Problem werden“, verdeutlicht der zuständige Minister.
Vor allem müssten viele Fälle gar nicht erst zu einem Notfall werden, wenn eine medizinische Versorgung mit den entsprechenden Untersuchungen im Vorfeld gemacht werden kann, zum Beispiel bei Schwangerschaften, verdeutlicht Isabel Cramer, Vorstand beim Sozialen Zentrum.
Das gelte auch für Gesundheitsprävention wie Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen, die ohne Versicherungsschutz in der Regel auch nicht erfolgen. Hier hat das Gesundheitsamt entsprechende Sprechstunden für Kinder und Schwangere eingeführt, wo die Kosten allerdings noch bei der Kommune hängen bleiben.
Sprachbarrieren werden durch multiprofessionelle und multisprachliche Teams überwunden
Ein weiteres Ergebnis der Arbeit ist, dass der Aufbau von Vertrauen in Demokratie und Institutionen möglich ist. Insbesondere Roma – sie machen rund 50 Prozent der KlientInnen aus – haben vielfach diskriminierende Erfahrungen mit Behörden in den Heimatländern gemacht.
„Sie machen jetzt bei uns Erfahrungen, die Integration erst möglich machen“, so Cramer. Die Sprachbarrieren können durch multiprofessionelle und multisprachliche Teams überwunden werden. Doch das Angebot löst nicht – wie von Kritikern befürchtet – einen gestiegenen Zuzug aus.
Die Arbeit der Clearingstelle sei in Zeiten der Freizügigkeit in Europa nötig. „Viele Menschen werden bleiben. Wer es will und sich an die Regeln hält, wird unterstützt. Wir unterstützen sie dabei, etwas herzustellen, was normal ist, nämlich in der Krankenversicherung anzukommen“, betont Zoerner.
Die Unterstützung seitens der Versicherer in dem Modellprojekt helfe dabei sehr. Entscheidend sei, langfristige tragfähige Lösungen auch mit dem Bund zu bekommen, der sich bisher immer verweigert hat. Nun macht Zoerner eine erste Gesprächsbereitschaft aus. Diese sei auch dringend nötig: „Wenn die EU sich durchringen sollte, die West-Balkan-Staaten aufnehmen, werden sich die Probleme vervielfachen“, prognostiziert die Sozialdezernentin.
Laumann: „Wir profitieren von der Freizügigkeit. Das muss aber fair gestaltet werden.“
Natürlich sei die Zuwanderung teils problematisch – Stichwort Sozialmissbrauch. Dies führe mitunter zu Diskussionen, die auch berechtigt seien. „Gegen Missstände müssen wir uns wehren. Aber es gibt auch die wichtige Freizügigkeit, von der wir profitieren. Das muss aber fair gestaltet werden“, so Laumann.
Daher will sich der NRW-Arbeits- und Sozialminister in dem Themenfeld mittel- und langfristig anders aufstellen. So sei denkbar, die Beratungsangebote auf verschiedenen Feldern zu bündeln, zum Beispiel bei den Beratungsstellen zu „Fairer Mobilität“, die sich vor allem ArbeitnehmerInnen und ihrer Probleme mit den Arbeitgebern annehmen.
Denn für Laumann ist klar, dass es ohne die Freizügigkeit und die zahlreichen Arbeitskräfte vor allem aus Südosteuropa nicht gehe: „Wir haben sehr viele Werkvertragsarbeitnehmer, die für uns unverzichtbar sind. Wir hätten keine Spargelbauern mehr auf unseren Feldern. Auch in der Logistik, Fleischindustrie und der Pflege sind sie unverzichtbar“, betont der CDU-Politiker.
In der Pflege geht schon lange nichts mehr ohne Pflegekräfte aus dem Osten
In Krankenhäusern und Altenheimen – nicht nur in Nordrhein-Westfalen – gehe es schon lange nicht mehr ohne osteuropäische Pflegekräfte, berichtet Karl-Josef Laumann.
Selbst in Privathaushalten seien allein in NRW mehr als 100.000 Pflegende aus dem Osten im Einsatz. Würden die pflegebedürftigen Menschen in Seniorenpflegeheime kommen, wäre das überhaupt nicht mehr leistbar.
In ländlichen Regionen des Landes seien schon jetzt 80 Prozent Ärzte aus dem Ausland. „Wir haben im vergangenen Jahr 2000 Ärzte neu ausgebildet, aber 1500 aus dem Ausland kommende Ärzte anerkannt“, macht Laumann die Dimensionen deutlich.
Mehr Informationen:
- Seit April 2016 berät die Clearingstelle in Trägerschaft des Sozialen Zentrums Dortmund e.V. in der Beratungsstelle an der Westhoffstraße Menschen ohne Krankenversicherung oder mit ungeklärtem Versicherungsstatus – vorwiegend aus der EU, aber auch deutsche Staatsbürger – zum deutschen Sozial- und Gesundheitssystem.
- Ziel ist, ihnen einen Zugang zu medizinischer Versorgung zu eröffnen. Falls trotz Klärung und Beratung kein Zugang zum Regelsystem möglich ist, werden die ratsuchenden Menschen bei Bedarf in andere Beratungs- und Hilfsstrukturen übergeleitet.
- Darüber hinaus ist die Clearingstelle auch Ansprechstelle für Arztpraxen, Krankenhäuser oder andere Stellen, an die sich Menschen ohne Krankenversicherung wegen gesundheitlicher Probleme wenden.
- Für die Clearingsstelle sind 2,5 Stellen vorgesehen – „in Köpfen“ sind es allerdings mehr Menschen.
- Die Beratung erfolgt auf türkisch, spanisch, arabisch, englisch, deutsch und rumänisch.
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Minister Laumann übergibt Förderbescheid für das Projekt „Arbeitsmigration fair begleiten“: Bekämpfung von Arbeitsausbeutung durch Beratung in Sozialen Medien (PM)
Mit dem von der Landesregierung Nordrhein-Westfalen geförderten Social-Media-Projekt „Arbeitsmigration fair begleiten“ unterstützt Arbeit und Leben NRW Arbeitsmigrant*innen aus Rumänien. Ziel des Projekts ist es, bereits vor der Einreise über digitale Kanäle gezielt bei Informations- und Orientierungsprozessen in der Muttersprache zu begleiten, um die Beschäftigung in prekären oder ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen zu verhindern. Das Projekt wird nun für zwei weitere Jahre gefördert und Karl-Josef Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen übergab am 17. Mai 2023 persönlich den Förderbescheid in der Geschäftsstelle von Arbeit und Leben NRW in Düsseldorf.
Rumän*innen machen die größte Gruppe an Menschen aus, die zum Arbeiten nach Nordrhein-Westfalen kommt und sind überproportional häufig von unfairen Arbeitsbedingungen bis hin zur Arbeitsausbeutung betroffen. In der ersten Förderphase konnte das Projekt innerhalb von nur einem Jahr eine enorme Reichweite erzeugen: dem rumänischsprachigen Facebook-Auftritt des Projekts folgen über 6.000 Personen und es konnten bislang ungefähr 400.000 Menschen erreicht werden. Daraus resultierten unter anderem mehr als 1200 Beratungsanfragen.
„Die steigende Reichweite des Projekts zeigt den enormen Bedarf: Es muss mehr getan werden, um menschenwürdige Arbeit für alle Menschen in Deutschland durchzusetzen. Neben präventiven Angeboten bedeutet das zum Beispiel mehr Kontrollen beim Arbeitsschutz und die Einhaltung des Mindestlohnes. Arbeitsausbeutung findet nicht nur am anderen Ende der Welt statt, sondern auch bei uns vor der Haustür. Das Projekt Arbeitsmigration fair begleiten leistet einen wichtigen Beitrag, um präventiv dagegen vorzugehen. Das Social Media-Angebot ermöglicht es, dass sich arbeitssuchende Rumän*innen informieren und beraten lassen können, bevor sie nach Deutschland kommen. Gleichzeitig werden bisher undurchsichtige Ausbeutungsstrukturen durch das Projekt aufgedeckt und können besser bekämpft werden.“ ordnete Anja Weber, Vorsitzende von Arbeit und Leben NRW, das Projekt ein.
„Die Bekämpfung von Arbeitsausbeutung und die faire Anwerbung von Arbeitskräften sind für die Landesregierung nicht zuletzt vor dem Hintergrund unserer Fachkräfteoffensive NRW von hoher Bedeutung. Denn wir setzen auch auf faire Zuwanderung, um die Fachkräftelücke zu schließen. Falsche Versprechungen und vorsätzliche Falschinformationen im Zuge von Arbeitsmigration münden aber häufig in Ausbeutung. Menschen, die aus süd- und osteuropäischen Ländern zum Arbeiten nach Deutschland kommen, können meist nicht gut Deutsch. Sie können Beschäftigungsangebote und Verträge nicht verstehen und kennen das hiesige Arbeitsrecht nicht. Es gibt Unternehmen, die das ausnutzen. Dem wollen wir einen Riegel vorschieben“, erläuterte Arbeitsminister Laumann.
„Die geringen Sprachkenntnisse der Ratsuchenden sind der größte Risikofaktor für Arbeitsausbeutung, auch weil sie deshalb glauben auf häufig dubiose Arbeitsvermittler angewiesen zu sein. Wir erweitern den Projektansatz in der zweiten Förderphase dementsprechend und entwickeln mit den Volkshochschulen kostenlose Video-Pakete mit Sprachhilfen. Diese werden dann über den Facebook-Messenger gezielt an Ratsuchende weitergereicht. Dabei geht es auch darum, die Ratsuchenden überhaupt von der Notwendigkeit minimaler Sprachkenntnisse zu überzeugen und sie dazu zu motivieren, Zeit in die Entwicklung der eigenen Fähigkeiten zu investieren.“ berichtete Dr. David Mintert, Landesgeschäftsführer von Arbeit und Leben NRW.