„Geschafft“ ist der Titel einer fünfteiligen Kurzfilmreihe, die jetzt im sweetSixteen-Kino in der Nordstadt Premiere feierte. Die Filme portraitieren Menschen aus Dortmund, die sich mit viel Mut, Ehrgeiz, Engagement und Ausdauer aus der fatalen Starre der Langzeitarbeitslosigkeit befreien konnten und nun andere dazu animieren wollen, ihrem Beispiel zu folgen. Auf ihrem Weg wurden sie im Rahmen öffentlich geförderter Arbeit in Projekte des Europäischen Sozialfonds eingebunden und unterstützt. Die vom Jobcenter Dortmund organisierte Filmpremiere diente gleichzeitig als Forum, um sich über die Möglichkeiten, Strukturen und Verbesserungsoptionen öffentlich geförderter Arbeit auszutauschen.
Regisseur Herz: „Was die so alles leisten, würde ich nicht hinkriegen.“
Die „Geschafft“-Filme bestechen durch ihre offene und lebensnahe Art. „Die Authentizität der Protagonisten lässt einen gespannt zuhören, so dass man mehr über ihre Schicksale erfahren möchte“, so der Moderator der Veranstaltung, Kay Bandermann.
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Regisseur Horst Herz und seine ProtagonistInnen haben sich viel Zeit genommen, teilweise zwei- bis dreistündige Gespräche geführt. Die Intention des Filmemachers war, das Thema über Emotionen zu transportieren, um die Zielgruppe der Langzeitarbeitslosen zu erreichen und ihnen Mut zu machen.
Während der Dreharbeiten erhielt Herz tiefe Einblicke in Leben und Arbeit seiner Protagonisten und ist absolut stolz auf sie. „Was die so alles leisten, würde ich nicht hinkriegen“, so Herz. Die Produktionen zeigen, welch enormen Stellenwert Arbeit im Leben eines Menschen einnimmt, welche Bedeutung sie für Selbstwertgefühl, gesellschaftliche und wertschöpferische Teilhabe und mentale Ausgeglichenheit hat. Es geht nicht alleine darum, wieder Geld zu verdienen und für sich selbst zu sorgen, sondern dem Leben einen Sinn zu geben.
Edmund Heller: „Erfolg ist heutzutage nicht mehr allein durch Streben zu erreichen.“
Gleichzeitig wird deutlich, dass die meisten Vorbehalte gegenüber Langzeitarbeitslosen unbegründet und vorurteilsbehaftet sind. Die gezeigten Beispiele sind ein Beweis dafür, dass sich die kompetente, kontinuierliche Betreuung und Beratung von Langzeitarbeitslosen im Rahmen geförderter Projekte und Initiativen bewährt hat.
Das überholte System der Sanktionen, des „Förderns und Forderns“, das die Menschen unter Druck setzte und ihre Lage in vielen Fällen noch verschlimmerte, muss umgedacht werden. „Erfolg ist heutzutage nicht mehr allein durch Streben zu erreichen“, so der Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein Westfalen, Edmund Heller, im Anschluss an die Filmvorführungen.
Und wenn die Bemühungen durch Eigeninitiative im Sande verlaufen, setzt früher oder später die Resignation ein. Irgendwann wird aus Resignation Frustration und in vielen Fällen geben die Menschen die Hoffnung dann einfach auf.
Thomas Westphal: „Nicht die Menschen, sondern die Strukturen müssen sich ändern.“
„Wir haben in den letzten zehn bis 15 Jahren in Bezug auf Langzeitarbeitslosigkeit immer über die Menschen, ihre mangelnden Qualifikationen oder die Gemütlichkeit der sozialen Hängematte gesprochen. Doch wir müssen uns viel mehr die Strukturen des Arbeitsmarktes anschauen und hier für Veränderungen sorgen“, so Thomas Westphal, Geschäftsführer der Dortmunder Wirtschaftsförderung.
Ein tolles Beispiel wie man den Weg aus der Langzeitarbeitslosigkeit zurück auf den Arbeitsmarkt finden kann, ist die Geschichte von Monika K. Nach langen Jahren der Arbeitslosigkeit, in denen sie sich mit Minijobs als Putzhilfe oder mit Zeitungen austragen über Wasser hielt, nahm sie an einem durch den Europäischen Sozialfonds geförderten Programm teil.
Im Rahmen öffentlich geförderter Arbeit nahm sie am Projekt „Aktiv statt passiv“ teil und absolvierte zunächst ein zweiwöchiges Praktikum als Pflegekraft bei der Caritas Dortmund. Ein wenig Erfahrung brachte sie auf diesem Gebiet durch die Pflege ihres Vaters bereits mit. Da ihr die Beschäftigung Spass machte, hatte sie sich im Vorfeld schon unzählige Male erfolglos beworben.
Der Weg lohnt sich, auch wenn er manchmal steinig und hart erscheint
Doch ohne Schulabschluss war einfach nichts zu machen. Also trat sie das Praktikum an und fand von Anfang an Gefallen an ihrer Tätigkeit. Mit viel Herz und Engagement kümmert sie sich heute um demente Menschen in einer WG der Caritas.
Die anspruchsvolle Tätigkeit verlangt ihr viel ab. Die Frühschicht beginnt um 6.45 Uhr, nach der Übergabebesprechung folgt die Morgenpflege bevor es zum Frühstück geht. Den ganzen Tag über fallen diverse Tätigkeiten wie Kochen, Spazieren gehen, Wäsche waschen etc. an und der Umgang mit dementen Menschen ist nicht immer einfach.
Die Schichtpläne sehen zwölf Tage Arbeit am Stück vor, dann zwei Tage frei. Der Alltag muss geplant und koordiniert werden, Zeit für Freunde und Familie bleibt eher wenig. Doch für Monika ist dennoch ein Traum in Erfüllung gegangen. „Wenn man will, nutzt man diese letzte Chance, um etwas aus seinem Leben zu machen“, erzählt sie. „Die Arbeit gibt mir viel. Wenn ich den alten Menschen ein Lächeln auf die Lippen zaubern kann, ist das einfach nur schön.“
Von der ungelernten Helferin ohne Schulabschluss zur Pflegefachkraft
Und dass Monika ernst meint, was sie sagt, hat sie schon zu Genüge bewiesen. Denn nach dem Praktikum erhielt sie einen zweijährigen Arbeitsvertrag. Sie nutzte diese Zeit intensiv um sich weiterzubilden und absolvierte die für die Behandlungspflege benötigten Leistungsgruppen I und II. Ihre Freizeit ging größtenteils zum „Pauken“ drauf und am Ende wurde ihr Eifer noch durch das Erlangen des Hauptschulabschlusses belohnt.
Sie ist froh, nun unbefristet in der Dementen-WG arbeiten zu können. „Es ist schon ein Unterschied zwischen unserer WG und einem Pflegeheim. Wir haben hier auch mal die Zeit, jemanden in den Arm zu nehmen und zuzuhören“, freut sich Monika. Das Einzige , was sich noch verbessern könnte sei die Bezahlung, denn der Job verlange einem viel ab.
Ein weiteres Beispiel, das einen Blick in eine ganz andere Arbeitswelt erlaubt, ist die Geschichte des 45-jährigen Kalle S.. „Ich war 20 Jahre am Stück arbeitslos. Irgendwann hatte ich einfach keine Kraft und Lust mehr, was zu suchen“, berichtet er von seinen Erlebnissen.
Kalle S.: „Man geht langsam aber sicher den Bach runter.“
Über elf Jahre hinweg pflegte er seinen kranken Vater, dem es mit zunehmendem Alter immer schlechter erging. Er sei überfordert gewesen, so dass die eigenen Bedürfnisse in dieser Zeit überhaupt keine Rolle spielen konnten. Als dann noch seine Mutter verstarb, sei ihm einfach alles über den Kopf gewachsen.
„Diese unbefriedigende Situation, den ganzen Tag zu Hause die Zeit totzuschlagen, hat an mir gezehrt. Man verfällt in einen Trott und denkt sich, bald bist Du 50, dann 60, dann ist eh alles vorbei. Man geht langsam aber sicher den Bach runter“, erinnert sich der 45-jährige. Das tägliche Einerlei, die Geldnot und der Überlebenskampf hätten ihn in eine Art Starre versetzt.
Von der Arbeitsgelegenheit über die Helferanstellung bis hin zum Anleiter
Aus dieser konnte er sich erst befreien, als man ihm vom Jobcenter Dortmund eine Arbeitsgelegenheit anbot. Hierbei handelt es sich um Stellen, bei denen geringfügige Helfertätigkeiten für einen Lohn von 1,50 Euro die Stunde verrichtet werden. Zuvor hatte er sein Glück in der Zeitarbeit gesucht, aber dort sei er immer nur wie „das Letzte“ behandelt worden.
Er trat seine Arbeitsgelegenheit beim CJD Dortmund an und erlangte mit der Zeit das Vertrauen seiner MitarbeiterInnen und Vorgesetzten, so dass ihm immer wieder neue Aufgaben zugeteilt wurden, durch die er Stück für Stück auch immer mehr Verantwortung übernehmen musste.
„Plötzlich stellt man fest: Ich bin ja doch was“, freut sich Kalle. Das gesteigerte Selbstwertgefühl gibt einem Antrieb, man erwacht aus seiner Lethargie und fasst neuen Mut. Aus der Arbeitsgelegenheit wurde auch er im Rahmen des Projektes „Aktiv statt passiv“ für zwei Jahre fest vom CJD übernommen. „Plötzlich hatte ich wieder Verantwortung, ein ausreichendes Einkommen und konnte wieder auf eigenen Beinen stehen.“
Kalle S.: „Ich war 20 Jahre arbeitslos und jetzt geht hier so eine Show ab.“
Er stürzte sich in die Arbeit und auch wenn es am Anfang schwer gewesen sei, wieder Struktur in seinen Alltag zu bringen und sich an die Arbeit zu gewöhnen, bereut er diesen Schritt bis heute nicht. Ganz im Gegenteil.
„Im Gegensatz zu vor fünf Jahren, geht es mir heute richtig gut. Die Arbeit macht mir Spaß. Die Möglichkeiten, die ich hatte, sollte es für alle geben, das wäre optimal“, zieht er Bilanz. Im Rahmen der Premierenfeier steht er vor der Leinwand des sweetSixteen-Kinos und kann sein Glück kaum fassen. „Ich war 20 Jahre arbeitslos und jetzt geht hier so eine Show ab“, freut sich der sympathische Kalle und sorgt damit für Beifall und Lacher.
Mittlerweile ist er der Anleiter für neue MitarbeiterInnen in einer Werkstatt des CJD, in der alte Elektrogeräte zerlegt werden, und er wird nicht müde allen zu erzählen, dass sie sich ein Beispiel an ihm nehmen sollen. Vielleicht könnten sie ja sogar noch mehr erreichen als er.
Tragfähige Brücken auf den Arbeitsmarkt statt reine Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen
Im Anschluss an die Filmvorführungen zeigte sich Staatssekretär Edmund Heller tief beeindruckt von den zwei Beispielen. Er machte deutlich, dass nicht allein die Bereitschaft der Betroffenen ausreiche, etwas an ihrer Situation ändern zu wollen, sondern dass für den erfolgreichen Weg aus der Arbeitslosigkeit gute Netzwerkstrukturen und qualitativ gute Arbeit der zuständigen Behörden von Nöten seien.
Die in den letzten Jahren vom Europäischen Sozialfonds geförderten Projekte in Verbindung mit der Förderung der Bundesländer seien der richtige Weg, um Menschen auf dem Weg aus der Langzeitarbeitslosigkeit zu unterstützen. „Wir müssen uns von kurzfristigen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verabschieden und statt dessen tragfähige Brücken auf den Arbeitsmarkt schaffen“, so Heller.
Mit dem seit Anfang 2019 gültigen Teilhabechancengesetz habe man nun ein Instrument, das gezielt dafür sorgen soll, dass Stellen für Langzeitarbeitslose geschaffen werden, indem Betriebe über einen Zeitraum von fünf Jahren finanzielle Unterstützung bekommen und durch das die Betreuung und Beratung der Betroffenen gewährleistet werden soll.
Teilhabechancengesetz soll über 800 neue Stellen für Langzeitarbeitslose in Dortmund schaffen
Im Rahmen des Gesetztes sollen in Dortmund in den nächsten Jahren bis zu 800 neue Stellen für Langzeitarbeitslose entstehen. Heller betonte diesbezüglich die Verantwortung der Arbeitgeber, Stellen zu schaffen und Potentiale des Einzelnen zu erkennen und zu fördern.
In der folgenden Podiumsdiskussion tauschte er sich mit Birgit Zoerner, Dezernentin der Stadt Dortmund für Arbeit und Soziales, Thomas Westphal von der Dortmunder Wirtschaftsförderung, dem Geschäftsführer des Jobcenters Dortmund, Frank Neukirchen-Füsers und dem Geschäftsführer der Grünbau GmbH, Andreas Koch aus.
Alle waren sich einig, dass in Dortmund im Vergleich zu anderen Städten oder gar ganzen Bundesländern schon einiges passiert sei, um das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit anzugehen. Man müsse das, was sich in der Vergangenheit bewährt habe, für die Zukunft übernehmen. Außerdem müsse Arbeitsmarktpolitik regional betrieben werden, da die Regionen zu unterschiedlich seien. In Ballungszentren ist das Problem der Langzeitarbeitslosigkeit beispielsweise vorherrschender als auf dem Land.
Wunsch nach Verbesserung des Gesetzes hinsichtlich der Wiedereinstiegs-Begleitung
Die kontinuierliche Begleitung und Betreuung der Betroffenen beim Wiedereinstieg habe sich bewährt und sei durch das Teilhabechancengesetz nun gewährleistet. Der Geschäftsführer der Grünbau GmbH wünschte sich diesbezüglich noch Verbesserungen des Gesetzes, denn die Betreuung solle laut Gesetz nun nicht mehr betriebsintern sondern durch das Jobcenter erledigt werden.
„Das Wichtige beim Coaching ist, dicht bei den Menschen zu sein. Es geht darum, dass man im Betrieb Ansprechpartner hat, die einen unterstützen. Das Gesetz sieht die Betreuung von außen durch das Jobcenter vor. Die sind halt nicht jeden Tag vor Ort. Hier würden wir uns Nachbesserungen wünschen“, so Andreas Koch. Wurden die Betroffenen im Zweijahresprojekt „Aktiv statt passiv“ über den gesamten Zeitraum betreut, sollen sie nun in den gesamten fünf Jahren nur sechs Monate begleitet werden.
In der engen Betreuung der Betroffenen sieht auch Birgit Zoerner den Schlüssel zum Erfolg. „Die Qualifizierung, das Coaching und die passgenaue Auswahl der Menschen für die jeweilige Stelle sind entscheidende Kriterien für den Erfolg“, so die Dezernentin für Arbeit und Soziales. Enorm wichtig sei es, den Betroffenen zu vermitteln, dass sie nicht alleine sind.
Einvernehmlicher Appell an ArbeitgeberInnen, geeignete Stellen zu schaffen
Wirtschaftsförderer Thomas Westphal konstatierte, dass die öffentliche Bewertung von Langzeitarbeitslosigkeit oft das eigene Verschulden der Betroffenen impliziere und die veränderten Strukturen des Arbeitsmarktes ausgeblendet würden. Aber gerade durch den technologischen Fortschritt und die fortschreitende Globalisierung gäbe es immer mehr Jobs, die hohe Anforderungen an die BewerberInnen stellen würden und immer weniger Helfertätigkeiten, die auch ungelernt verrichtet werden könnten.
„Die Menschen können nichts für die sich verändernden Strukturen“, so Westphal. Aus diesem Grund appellierte auch er an die Arbeitgeber, Stellen zu schaffen, die Chancen und Möglichkeiten für Langzeitarbeitslose bieten und gleichzeitig dazu beitragen können Fachpersonal zu entlasten.
„Der Erfolgsfaktor in Dortmund ist, dass ganz viele Institutionen sich verantwortlich fühlen und gemeinsam etwas an der Situation ändern wollen“, bezog der Chef des Jobcenters Dortmund,Frank Neukirchen-Füsers Stellung.
Hinter jedem Langzeitarbeitslosen steckt ein individuelles Einzelschicksal
Man habe in Dortmund eine geschickte Kombination von EU-Mitteln, Bundesmitteln und kommunaler Förderung genutzt, um innovative Ideen und erfolgversprechende Projekte zu realisieren. Doch bei allem Fortschritt bliebe noch einiges zu tun. Neukirchen-Füsers machte den Anwesenden unmissverständlich klar, was es bedeutet, nach langen Jahren der Arbeitslosigkeit wieder Struktur in seinen Alltag zu bringen.
Er führte das Beispiel des häufig verletzten BVB-Helden Marco Reus an. „Wenn Marco Reus nach längerer Verletzung wieder fit ist, wird er langsam wieder an das Spiel herangeführt. Zuerst sitzt er auf der Bank, dann spielt er vielleicht ein paar Minuten, bevor er wieder komplette 90 Minuten eingesetzt wird. Beim Fußball wird das von der Öffentlichkeit akzeptiert“, so Neukirchen-Füsers.
Außerdem betonte er, dass hinter jedem der rund 12.000 Langzeitarbeitslosen in Dortmund (Stand Ende Dezember 2018) auch 12.000 Einzelschicksale stecken. Viele der Betroffenen seien durch Krankheit, Pflegefälle in der Familie und anderes gar nicht arbeitsfähig. Auch würden die gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht jedem den Zugang zu Projekten und Maßnahmen im Sinne des Teilhabechancengesetzes gewähren.
Alle Beteiligten sind sich einig, dass die Stadtgesellschaft langfristig durch den Einsatz von Langzeitarbeitslosen in der gemeinnützigen Trägerschaft als auch im privatwirtschaftlichen Bereich profitieren wird. Die Premiere der Kurzfilme war die einzige öffentliche Vorstellung der Filme. Im Anhang des Artikels befinden sich die YouTube-Videos.
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Horst Herz
Ganz toller Artikel! Gerade erst gelesen, da ich unterwegs war. Danke – das macht Mut am Thema weiter zu arbeiten. Liebe Grüße Horst Herz + das Filmteam.