Von Susanne Schulte
Die Führung hatte noch nicht begonnen, da wurde Nordstadtblogger Klaus Winter schon von seinen Gästen gelöchert: „Und wo wurde dieses Bild gemacht? Wo war denn die Brücke? Welche Straße ist das?“ Diese Neugier hatte Winter, der seine Freizeit vor allem der Erforschung der Stadtgeschichte widmet, durch die stark vergrößerten Postkarten geweckt, die er auf einer Staffelei genau an den Orten aufstellte, von denen damals die Fotos gemacht worden waren.
„Die ganze Umgebung passte sich dem Bahnhof an“ – Hotels entstanden und viel Gastronomie
Vor dem Grundstück des ehemaligen Hotels Bender begann die Führung zum Steinplatz im Rahmen des Offenen-Denkmal-Tages, dort wo vor mehr als 150 Jahren die Bahnhofsstraße vom Burgtor zum Empfangsgebäude der Köln-Mindener-Eisenbahn führte.
Blickt man heute Richtung Westen, guckt man auf eine Steinwand mit Metalltor. Rund um den Bahnhof, der 1847 gebaut wurde, so erfuhren die Zuhörer*innen, siedelten sich nach und nach viele Hotels an.
Auf dem Grundstück des späteren Hotels Bender stand das Hotel Birkenhof, in seiner Nachbarschaft unter anderem der Kaiserhof und der Rheinische Hof. „Die ganze Umgebung passte sich dem Bahnhof an“, so Winter. So hätten sich auf der Brückstraße auch Läden mit Reiseutensilien niedergelassen.
Die Wartezeit auf Öffnung der Schranke reichte für drei Tulpen Bier und eine Schweinshaxe
Hatte die Bahn zwischen Köln und Minden freie Fahrt, mussten die Fußgänger*innen, die Fuhrwerke und ab 1881 die Straßenbahnen, die die Münsterstraße herauf- und herunter wollten, mit langen Wartezeiten rechnen. Eine Schranke regelte den Verkehr – zugunsten der Züge.
Darüber freuten sich die Wirte auf der Nordseite der Gleise. Während die Schranke geschlossen war, konnte man in aller Ruhe drei Tulpen Bier und eine ganze Portion Schweinshaxe mit Beilagen essen, vermerkte der Dortmunder Redakteur Karl Richter 1917 in seinen Erinnerungen an Dortmund. Allerdings eine zeitgenössische Quelle, der es mehr auf Unterhaltungswert denn auf historische Genauigkeit ankam, weiß Klaus Winter zu berichten.
Nach dem Neubau des Bahnhofs verliefen die Gleise in der Stadt über Brücken
Ein Tunnel unter der Erde war auch nicht die Lösung des Problems der ewig geschlossenen Schranken. 1910 wurde ein neuer Bahnhof gebaut, mit Ein- und Ausgängen vom und zum Wall und von und zu der Nordstadt.
Die alte Bahnhofsstraße war überflüssig geworden und wurde zugeschüttet. Die Gleise in der Stadt wurden nun über sieben Brücken zwischen Union- und Oesterholzstraße geführt. Die Gastronomie im Norden der Gleise blühte weiter – nicht immer zur Freude der Nachbarn und ordnungsliebender Dortmunder.
Doch aus den Tingeltangel-Kneipen wurden Orte der gehobeneren Gastronomie. Wie das Restaurant von Hermann Vogell, das ungefähr dort stand, wo heute bunte Lettern den Eingang zur Nordstadt markieren.
Wo heute die Polizeiwache Nord ihren Standort hat, sang einst Lale Andersen
Das erste Kino der Nordstadt schloss letztes Jahr die Türen. 1908 zeigte der damalige Wirt der Kleinkunstbühne Apollo-Theater an der oberen Münsterstraße die ersten Filmschnipsel, die er bekommen konnte und hielt mit diesen Vorführungen der großen Konkurrenz durch das Olympiatheater auf der anderen Seite der Schienen stand.
Später baute er seinen großen, repräsentativen Saal zum Kino um. Auf der gegenüberliegende Seite, an der Stelle, wo heute die Polizeiwache Nord ihren Standort hat, vergnügten sich die Dortmunder*innen und die auswärtigen Gäste im „Zillertal“ bei bayerischer Musik, Bier und auf einer Rutsche. Später beherbergte das Haus das Kabarett Feuerkugel.
Hier trat Lale Andersen auf, als sie noch nicht sehr bekannt war. Und später, als sie dann – unter anderem durch das Lied „Lili Marleen“ berühmt war, kam sie immer noch, wenn Wirt Willi Herzog sie einlud. „Und sie hat nicht mehr Gage verlangt, als bei ihren ersten Auftritten“, erzählte Klaus Winter von den Ergebnissen seiner Forschung.
Das Kaufhaus Meyer und Günther am Steinplatz war ein Paradies für die Damen
Zum letzten Mal während der Führung wurde die Staffelei mit den historischen Ansichtskarten von Didi Stahlschmidt auf dem Steinplatz aufgestellt, vor dem Brunnen des Eisengießers.
Als Adresse war der Platz niemandem von den Zuhörer*innen bekannt. Kein Wunder, ist er gesichtslos, bis auf den Brunnen. Wie der Nordmarkt und der Borsigplatz sollte er als repräsentativer Platz gebaut werden, aber diese Pläne wurden nicht umgesetzt. Nach und nach entstanden um ihn herum Wohnhäuser und ein großes Kaufhaus: das Einkaufsparadies von Meyer und Günther.
„Das war ein echter Frequenzbringer“, so Winter. „Die Kaufhäuser am Westenhellweg konnten sich mit Meyer und Günther kaum messen.“ Während des Nazi-Regimes wurden die jüdischen Eigentümer enteignet, nach dem Krieg kam es mit neuen Inhabern nicht wieder richtig auf die Beine. Die ganze Geschichte des Kaufhauses ist im Archiv der Nordstadtblogger nachzulesen.
Das Original des Eisengießer-Brunnens verschwand im Krieg – Replik wurde nach Fotos gefertigt
Die letzte Station der gut einstündigen Tour war der Steinplatz selbst: Der Original des Eisengießer-Brunnen wurde am 27. Januar 1906 eingeweiht. An Kaisers Geburtstag. Er war ein Projekt des Dortmunder Verschönerungsvereins. „Völlig untypisch für die Zeit war, dass ein Arbeiter dargestellt wurde“, so Klaus Winter.
Im zweiten Weltkrieg verschwand der komplette Brunnen, die Figur wurde wahrscheinlich zur Waffenproduktion eingeschmolzen. Im Stadtarchiv und auch sonstigen Quellen konnte Klaus Winter keine weitere Information über den Verbleib des Brunnens finden. Ende der 1980er Jahre dann, als die Stadtplaner sich die Verschönerung der Nordstadt vornahmen, sollte auch der Brunnen wieder errichtet werden.
Schwierig war die Rekonstruktion des Brunnens, dessen Grundlage auf das überlieferte Archivmaterial beruhte. Das war vor allem eine besondere Herausforderung für den Bildhauer Jan Bormann, der die Figur des Eisengießers möglichst präzise im Modell nachbilden sollte, aber nur auf historisches Bildmaterial als Vorlage zugreifen konnte.
Reinhold Kostrzewa hatte die Aufgabe, das Modell in eine 1:1-Form umzusetzen. Das gelang. Und auch die Umsetzung des Modells in einen Bronzeguss war erfolgreich. Heute sieht man der Figur des Eisengießers nicht mehr an, dass sie in sechs Teilen gegossen und dann zusammengesetzt wurde.
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Stadt Dortmund
25. Tag des offenen Denkmals: Enormes Besucherinteresse und Dankeschönfeier
Mehr als 12 000 Besucher kamen bei ausgesucht schönem Wetter am 9. September zu den zahlreichen Veranstaltungen am Tag des offenen Denkmals in Dortmund, den Oberbürgermeister Ullrich Sierau am Vormittag im gerade sanierten Fritz-Henßler-Berufskolleg eröffnete. Sowohl die überwiegend ehrenamtlichen Aktiven vor Ort als auch das Koordinationsteam der Denkmalbehörde zeigten sich rundum zufrieden.
Grund genug für die städtische Denkmalpflege, für die zahlreichen ehrenamtlich Aktiven in der Bürgerhalle des Rathauses eine Dankeschönfeier mit Bürgermeisterin Birgit Jörder zu organisieren.
Verbindungen Dortmunds nach Europa
Anlässlich des Europäischen Kulturerbejahres lautete das diesjährige Motto „Entdecken, was uns verbindet“, und so stellten viele der Führungen, Vorträge und Ausstellungen die Verbindungen Dortmunds nach Europa und die europäischen Einflüsse in Dortmund dar. Ullrich Sierau spannte in seiner Eröffnungsrede im Fritz-Henßler-Berufskolleg den Bogen von der mittelalterlichen Hanse bis zu den heutigen Städtepartnerschaften, von denen die mit der russischen Stadt Rostow am Don diese Woche in Berlin eine internationale Auszeichnung erhält. Die Programmbroschüre zum Denkmaltag zeigt zahlreiche Denkmäler aus dieser Partnerstadt.
Mehr als 100 Teilnehmer folgten der Führung der Archäologin Christiane Althoff zu den Spuren des mittelalterlichen Dortmunds als Kreuzungspunkt mehrerer europäischer Handelswege. Die gerade an der Wallring-Baustelle freigelegten Stadtmauerreste stießen dabei auf besonders großes Interesse. Zu Rüdiger Wulffs Führung über den Ostfriedhof mit dem Titel „Von schwedischen Orden, chinesischem Tee und bayrischen Biergärten“ kamen über 140 Interessierte, und über 250 Personen folgten Ute Iserlohs Führung vom Hafenamt ins Stahlanarbeitungszentrum auf dem Hafengelände.
Vom ehemaligen Union-Verwaltungsgebäude zum Ofenplatz
Die Rheinische Straße im Abschnitt westlich der Dorstfelder Brücke wurde zeitweise von Aktionen im Rahmen des Denkmaltags vereinnahmt. Etwa 100 Menschen nahmen an zwei Führungen vom ehemaligen Union-Verwaltungsgebäude bis zum Ofenplatz und Union-Gewerbehof teil. Dort erwartete die Teilnehmer eine Ausstellung der Neue Werk Union und ein bunter Flohmarkt. Auch die katholische St. Anna-Kirche, heute genutzt von der Polnischen Katholischen Mission, freute sich über interessierte Besucher. Ein Autocorso als Teil der „weltgrößten Klang-Kunstinstallation“ der „kunstgruppe GOTTLIEB“ belebte die Szenerie, deren Klänge u. a. die Rheinische Straße beschallten. Diese Installation war Abschluss des 40-tägigen Festivals SCHALLFEST im Museum für Kunst und Kulturgeschichte.
So viele Besucher wie noch nie
Doch auch außerhalb der Innenstadt war viel los. „So viele Besucher hatten wir noch nie – 950!“, meldete am Abend das Nahverkehrsmuseum im ehemaligen Kokereibetriebshof Mooskamp. Noch mehr, über 1500 Besucher, fanden den Weg zur Zeche Zollern, einem der großen Akteure des Tages, wo unter dem Titel „Wir im Westen“ ein Fest der Vereinskultur gefeiert wurde – auch dies ganz unter dem Motto „Entdecken, was uns verbindet“. 1000 Besucher kamen zu Haus Wenge in Lanstrop und folgten den vom Lenkungskreis und Geschichtskreis Scharnhorst angebotenen Führungen. 700 Besucher zählte die Kokerei Hansa in Huckarde. Besonderes Highlight war dort ein Tanzworkshop unter Anleitung von Tänzern des bodylanguage dancecenter Dortmund. Entstanden ist dieses bewegte Angebot im Rahmen der langjährigen Kooperation zwischen der Kokerei Hansa und der Gustav-Heinemann-Gesamtschule in Huckarde. Unter dem Motto „Entdecken, was uns verbindet“ tanzten etwa 60 Jungen und Mädchen gemeinsam vor den riesigen Kompressoren.
Auch die Dorstfelder Vereine freuten sich über das übergroße Interesse der insgesamt 750 Besucher. Besonderer Andrang herrschte bei einer Führung zum Bürgerhaus und der Ausstellung „Glück auf“ über jugendliche Gastarbeiter in den 1960er Jahren, gezeigt in der ehemaligen Waschkaue der Zeche Dorstfeld. Viel Beachtung fanden die Informationen zur geplanten Bürgerhaus-Genossenschaft.
Steigerturm, Lanstroper Ei und Wasserschloss
Dass der Tag des offenen Denkmals Menschen aus der Umgebung zusammenbringt, zeigte sich auch in Berghofen, wo mehr als 480 Besucher zum Alten Feuerwehrgerätehaus und Steigerturm kamen, wohin der Verein „Unsere Mitte Steigerturm e.V.“ geladen hatte. Groß war auch der Andrang am Lanstroper Ei, dem Wasserturm in Grevel, an dem sich 300 Bürger für die Fortschritte bei der Sanierung interessierten. Über 200 Menschen besichtigten das Wasserschloss Haus Dellwig.
Auch in vielen Kirchen hatten sich wieder Ehrenamtliche zum Tag des offenen Denkmals einiges einfallen lassen. Mehr als 2 700 Besucher zählten die beteiligten evangelischen und katholischen Kirchen, davon alleine 460 St. Reinoldi in der Innenstadt, 400 die Katholische Stiftskirche St. Clara in Hörde und 300 St. Peter zu Syburg.
Bauwerke aus der Wirtschaftswunderzeit
Zum Abschluss des Denkmaltags stand ein Big Beautiful Building im Mittelpunkt: die ehemalige WestLB, heute Dortmunder Centrum für Medizin und Gesundheit, in der Kampstraße. Im Foyer des futuristisch wirkenden Gebäudes aus den 1970er Jahren ließ der Musiker Richard Ortmann den Klang der 1960er- und 1970er Jahre erklingen, bevor dem Gebäude eine Auszeichnung verliehen wurde: Tim Rienitz, bis vor kurzem Geschäftsführer von StadtBauKultur NRW, übergab Projektmanager Christoph Wimmeler stellvertretend für den irischen Hauseigentümer ein „BBB“. „Big Beautiful Buildings“ ist ein Projekt, das die Bauwerke der Wirtschaftswunderzeit im Ruhrgebiet sichtbar macht.
Über den Umgang mit solchen teils geliebten, teils gehassten Bauten der Nachkriegsmoderne diskutierten im Anschluss Tim Rieniets, Renate Kastorff-Viehmann (ehemals FH Dortmund), Yasemin Utku (TU Dortmund) und Architekt Richard Schmalöer (BDA und Schamp & Schmalöer). Deutlich wurde: Nicht jedes dieser Gebäude wird unverändert erhalten werden können. Gefragt sind kreative Einzellösungen sowie die Vermittlung der Qualität und der zeithistorischen Hintergründe dieser Architektur. Ganz im Sinne des Mottos: „Entdecken, was uns verbindet“.
Nächster Denkmaltag am 8. September 2019
Henriette Brink-Kloke, Leiterin der Denkmalbehörde der Stadt Dortmund, freut sich zum Abschluss schon auf den nächsten Denkmaltag am 8. September 2019, der bundesweit unter dem Motto steht: „Modern(e): Umbrüche in Kunst und Architektur“.