Von Gerd Wüsthoff
Podiumsdiskussion über die Reichweite und den Einfluss der europäischen Gesetzgebung im Rathaus Dortmund. Eingeladen hatte die pro-europäische Jugendorganisation „Junge Europäische Föderalisten“ (JEF). Die Veranstaltung ist Teil einer Reihe, mit der engagierte junge Leute in Zusammenarbeit mit der Stadt Dortmund, verschiedenen Abgeordneten und dem ,Europe Direct Informationszentrum‘ BürgerInnen Europa näher bringen wollen. Dazu gehörte bereits die Simulationen des Europäischen Parlaments und ein Europaquiz auf dem „DortBunt“-Festival. Anlass der Diskussion: die Acrylamid-Verordnung der EU (in Kraft seit 11. April 2018), die viele Menschen befürchten ließ, dass sie zukünftig auf ihre geliebten Pommes verzichten müssten.
EU – ein einmaliges, supranationales Friedensprojekt, ohne geschichtliches Beispiel
Professor Dr. Adelheid Puttler von der Ruhr-Universität-Bochum erläutert in einem Impulsvortrag die Grundlagen der Entscheidungsfindung in der Europäischen Union und das System der Kompetenzverteilung sowie Zuständigkeiten am Beispiel der Acrylamid-Verordnung der EU.
Mit Verweis auf die Geschichte der EU – die Montan Union von 1952 und die EWG-Gründung mit den Römischen Verträgen von 1957 – erklärt Puttler: „Ein einmaliges supranationales Friedensprojekt, welches kein geschichtliches Beispiel hat.“
„Den meisten Menschen ist die europäische Politik so gut wie unbekannt, obgleich die europäische Gesetzgebung allerdings mit einer enormen Reichweite in unser alltägliches Leben eingreift“, stellt die Juristin fest. Zu erklären, wie diese Zuständigkeiten funktionieren, und um sie bekannter machen, ist eines der Ziele der JEF.
Ähnlich wie Bundesgesetze über den Gesetzen der einzelnen Bundesländer stehen, steht das EU-Recht über dem nationalen. Dies gilt für jede EU-Verordnung: sie ist unmittelbar verbindlich in allen EU-Mitgliedsstaaten. EU-weit gültige Gesetze regeln etwa Arbeitszeiten, Transportvorschriften, ArbeitnehmerInnenrechte, Entschädigungen bei Verspätungen von Fluglinien und Bahnen, den Wegfall der Roaming-Gebühren für Mobiltelefonate, den Tierschutz, etc.
Rechtspopulismus als einfache Antwort auf fortschreitende Globalisierung
Bei der Podiumsdiskussion, startend mit der Acrylamid-Verordnung, welche übrigens nicht zum Zwangsverzicht auf Pommes führte, ist die Debatte schnell bei anderen relevanten Themen, welche dieser Tage in Europa umgehen. So über den sich ausbreitenden Rechtspopulismus.
Er wird in der Diskussionsrunde allgemein als die Suche nach einfachen und einfachsten Lösungen gesehen, welche die Populisten – gegen die fortgeschrittene Globalisierung und die zunehmende Komplexität einer sich verdichtenden Welt – anbieten.
Die DiskutantInnen waren sich hier in vielen Punkten auffallend einig, was nicht unbedingt die Lebhaftigkeit der Debatte förderte. Wenn weitgehend Einigkeit in den Ursachen herrscht, ist man allerdings in der Beurteilung der rechtspopulistischen Gefahr nicht wirklich einer Meinung.
Weitgehender Konsens herrschte bei der Beurteilung der Steuervermeidung von multinationalen Konzernen, die von Moderator Martin Mödder, Landesvorsitzender der JEF NRW, eingangs thematisiert wird. „Es muss ein EU-einheitliches Unternehmenssteuerrecht geben, weil Steuervermeidung eine Gewinnmaximierung auf dem Rücken der EU-BürgerInnen bedeutet“, fordert Michael Röls, Vertreter der Grünen Jugend.
„Vielfach erklären PolitikerInnen Erfolge, initiiert durch die EU, im Wahlkreis und Land, als den ihren. Misserfolge, zumeist eigene, lasten sie dann der EU an. Andererseits erleben die Menschen eine zusätzliche Verunsicherung durch den Neoliberalismus, welcher alte Sozial- und Wirtschaftsordnungen auflöst“, erklärt Röls.
Informationsbedarf über und Reformbedarf der Struktur der Europäischen Union
Einheitliche Steuern für multinationale Konzerne werden unisono von den DiskutantInnen als Notwendigkeit angesehen.
Desgleichen werden Forderungen laut nach einer neuen zeitgemäßen Vermittlung von Informationen, welche sich nicht auf Google, Facebook und andere Social-Media Plattformen und deren „Einseitigkeit beschränkt“, so Mödder. Gerade hier wird allgemein ein Problem gesehen, welches sich vor Wahlen zeigt und besonders während des Brexit-Referendums sichtbar wurde.
Der Neoliberalismus ist im Grunde der neu gelabelte Frühkapitalismus des 15ten und 16ten Jahrhunderts, insbesondere Amsterdams und der Niederlande aus dem „Goldenen Zeitalter“. Nur dass es damals auch mit dem Egoismus, der heute vorherrscht, ein Statussymbol war, Steuern zu zahlen und sich für die Gesellschaft einzusetzen.
Röls, Mödder, Indra Paas (Jusos Dortmund), David Best (JuLis Dortmund), Sarah Beckhoff (Junge Union Dortmund) stimmen ebenfalls mit der Forderung nach Reformen der EU weitgehend überein. Die Mehrheit unter den DiskutantInnen sehen in den Vorschlägen des französischen Präsidenten Macron zur Strukturreform und Euro-Zone die Lösung.
Beckhoff warnt dagegen vor einer allgemeinen Verschuldung. Aber warum sollte es nicht so etwas wie einen Länderfinanzausgleich geben – wie in der Bundesrepublik, der Bayern übrigens erst zu dem werden ließ, was es heute ist. Die EU ist auch eine solidarische Wertegemeinschaft jenseits von Trade-Only. Allerdings ist auch die EU Export-Politik mitschuldig an der aktuellen Flüchtlingsproblematik.