Es ist ein geschickter politischer Schachzug des Dortmunder Oberbürgermeisters: Mit dem Angebot zum Rücktritt und zur gemeinsamen Neuwahl seines Amtes mit Rat und Bezirksvertretungen sorgt Ullrich Sierau (SPD) für einen Befreiungsschlag für sich und seine Partei und bringt gleichzeitig die anderen Dortmunder Parteien in Zugzwang. Sie müssten sich jetzt Spitzenkandidaten suchen.
Was genau ist passiert?
Als im November 2013 landesweit die Kandidatinnen und Kandidaten für die Kommunalparlamente in Nordrhein-Westfalen bestimmt wurden, kam das Thema Oberbürgermeister-Wahl auch wieder hoch. In vielen Städten werden amtierende (Ober-) Bürgermeister auf ein Jahr ihrer Amtszeit verzichten, damit am 25. Mai 2014 sowohl die Räte als auch das Stadtoberhaupt zeitgleich mit der Europawahl gewählt werden können. Eine gesetzliche Regelung der rot-grünen Landesregierung macht dies möglich. Nur in Dortmund passiert das nicht. Das brachte zahlreiche (teils wenig rechtskundige) Kritiker auf den Plan.
Was ist in Dortmund anders?
In Dortmund wurde in den vergangenen Jahren häufiger gewählt als anderswo. Wegen der Neu- und Wiederholungswahlen ist Ullrich Sierau derzeit bis zum 18. Mai 2016 im Amt. Die gesetzliche Neuregelung ermöglicht es allen Bürgermeistern, die bis Oktober 2015 gewählt sind, auf einen Teil ihrer Amtszeit zu verzichten und die Wahl ihres Amtes wieder mit dem der Räte zu harmonisieren, ohne das dies für die bisherigen Amtsinhaber Nachteile bedeutet.
Diese Option kann der erste Bürger Dortmunds aber nicht wählen. Er wurde ein Jahr später gewählt, ist daher länger im Amt und fällt daher auch nicht unter dieses Gesetz. Daher war diese Harmonisierung der Wahlen für Dortmund und seinen OB kein Thema. Bisher.
Was hat sich jetzt geändert?
„Ich habe bedauert, dass ich nicht unter das Gesetz falle“, versichert Sierau am Freitagnachmittag in einer eilig einberufenen Pressekonferenz von Partei und Fraktion. Die Kritik an ihm, er wolle sich nicht zur Wahl stellen, hat sich in den vergangenen Monaten verstärkt: „Der Plan der Grünen ist es offensichtlich, in Ermangelung anderer Themen das zu thematisieren“, betont Sierau. „Ich hätte mich sofort zur Wahl gestellt, konnte das aber nicht. Dafür wollen sie mich im Wahlkampf an die Wand nageln, anstatt über Themen zu diskutieren.“
In zahlreichen Abstimmungsrunden hat sich der OB seit Weihnachten juristische Rückendeckung von der Bezirksregierung und dem Innenministerium geholt, dass er auch – parallel zu den anderen Oberbürgermeistern – sein Amt zum 22. Juni 2014 auf eigenes Risiko zur Verfügung stellen kann. „Ich will damit einen Beitrag gegen Wahlmüdigkeit leisten und Geld sparen.“ Denn eine separate Wahl des OB würde im Mai 2016 rund eine halbe Million Euro kosten – mit einer Stichwahl das Doppelte. Dies hielten ihm die Kritiker seit November 2013 vor, weil er sich bislang nicht zu diesem Schritt bereiterklärt habe.
Tritt Sierau nun zurück oder nicht?
Der OB muss bis Ende Februar gegenüber der Bezirksregierung erklären, ob er diesen Schritt gehen will. „Ich bin bereit, aber nur wenn die politischen Mitbewerber das mittragen“, betont Sierau. Im Klartext: Die Fraktionen im Rat sollen sich verbindlich erklären. „Sie haben jetzt einen Monat Zeit, sich Gedanken zu machen, ob sie den Schritt mitgehen oder die Stadt ins juristische Chaos stürzen wollen“, so der OB. Die letzte Wiederholungswahl war wegen Klagen erst nötig geworden.
Sollten die anderen Dortmunder Parteien dies nicht unterstützen, werde der OB eben bis Mai 2016 im Amt bleiben und sich dann dem Votum der Wählerinnen und Wähler stellen. „Denn dieses juristische Restrisiko möchte im Interesse der Stadt nicht eingehen“, so der SPD-Politiker weiter. „Jeder kann sich jetzt Zeit nehmen und seine Schlüsse ziehen.“
Gibt es ein machtpolitisches Vakuum?
Sollte der Dortmunder OB wie skizziert (und wie die anderen Bürgermeiste) zum 22. Juni 2014 sein Amt zur Verfügung stellen, kann er seine Amtsgeschäfte wie gewohnt weiterführen. Rat und OB blieben – anders als vor der gerichtlich verordneten Wiederholungswahl – im Amt. Sierau ginge dann als amtierender Oberbürgermeister in den Wahlkampf.
Kritik an Zeitpunkt und Beweggründen
Die Kritik an dem Plan, die Entscheidung an derzeit für die Dortmunder SPD günstigen Prognosen abhängig zu machen oder sich erst so spät erklärt zu haben, damit die anderen Parteien wenig Zeit hätten, Kandidaten aufzustellen, wies Sierau als „politische Folklore“ zurück. „Sie wollen damit von eigenen Schwächen ablenken. Eine Prognose sieht die Dortmunder SPD bei 41 Prozent. Bei der letzten Wahl kamen die Sozialdemokraten aber auf 43,8 Prozent. „Da ist noch Luft nach oben“, macht der scheidende SPD-Unterbezirkschef deutlich.
Die Mitbewerber wollten damit nur kaschieren, dass es wohl keine geeigneten Bewerber für den Chefsessel im Rathaus gebe, so Sierau weiter und attackierte verbal CDU-Parteichef Steffen Kanitz. Ganz abgesehen davon, dass die anderen Parteien mit der fortgesetzten Kritik an seiner Nicht-Kandidatur zum Umdenken beigetragen haben.
Nun mache er dies – auch im Sinne der Stadt und „der politischen Kultur“, so Sierau: „Das ist fair und Zeit genug für die Kandidatenkür und den Wahlkampf ist auch da!“ Und anschließend wäre Ruhe: Sechs Jahre lang könnte ohne Kommunalwahlen in Dortmund Politik gemacht werden.
Der OB-Wahlkampf ist damit eröffnet. Zumindest dann, wenn die anderen Parteien mit in den Ring steigen wollen…