
Am 28. März 2025 jährt sich der Todestag von Thomas Schulz zum 20. Mal. Er wurde heimtückisch von Sven K. erstochen, einem damals 17-Jährigen Intensivstraftäter und Rechtsextremisten. Thomas Schulz – Freunde nannten den 31-jährigen Familienvater liebevoll „Schmuddel“ – ist eines von sechs (!) Mordopfern, die allein in Dortmund von Rechtsextremen ermordet wurden. Die Tat ist 20 Jahre her – doch erst im vergangenen Herbst war nach einer weiteren Überprüfung der Tatvorgänge die politische Motivation der Tat vom Land NRW bestätigt worden. Ein Fakt, der für die Stadtgesellschaft von Anfang an ersichtlich war. Am kommenden Wochenende wird in Dortmund erneut an die rechtsextreme Bluttat erinnert.
Nach einem Messerstich ins Herz kam für Thomas Schulz jede Hilfe zu spät
Rückblick: Am Ostermontag 2005 (28. März 2005) verließ der 31-jährige Punker und Familienvater Thomas Schulz – Freunde nannten ihn „Schmuddel“ – den Dortmunder Keuningpark. Gemeinsam mit anderen Punkern fuhr er mit der U-Bahn zur Station Kampstraße, um zu einem Konzert in der linken Szene-Kneipe „Hirsch-Q“ zu gehen, wo mehrere Bands auftraten.

An der U-Bahn Kampstraße trafen der Punker und seine Gruppe auf den damals 17-Jährigen Sven K., welcher der rechtsextremen „Skinheadfront Dorstfeld“ angehörte, sowie auf seine 16-jährige Begleiterin. An den Rolltreppen der U-Bahn-Station Kampstraße kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung.
Während die anderen Punks im Anschluss weiter zum Konzert zur Hirsch-Q zogen, trat Thomas Schulz den Heimweg an – er fühlte sich nicht wohl. Am Bahnsteig angekommen, traf er erneut auf den jungen Neonazi. Schulz wollte ihn für seine Beschimpfungen zur Rede stellen. Doch Sven K. zog unvermittelt ein Messer und stach dem unbewaffneten Familienvater Thomas Schulz durch die Brust ins Herz.
Sven K. floh daraufhin mit seiner Begleiterin in eine angekommene U-Bahn, der Fahrer stoppte allerdings die Bahn und fuhr nicht ab. Daraufhin setzte der Neonazi seine Flucht zu Fuß fort und wurde schließlich am Hauptbahnhof von der Polizei gefasst.
Urteil: Eine Tat mit Heimtücke, aber ohne politische Motivation
Am Folgetag erließ das Amtsgericht Haftbefehl wegen Mordes und ordnete die Untersuchungshaft an. Thomas Schulz erlag, trotz aller Bemühungen der Rettungskräfte und Ärzte, noch am gleichen Abend in der Klinik seinen Verletzungen. Schulz hinterlässt seine Frau und sowie drei Kinder.

Die damalige Oberstaatsanwältin Dr. Ina Holznagel schloss eine politisch motivierte Tat nicht aus, revidierte jedoch einige Tage später ihre Aussage und stellte klar, dass es sich „rechtlich um einen Mord aus Heimtücke handelt“.
Das Dortmunder Bündnis gegen Rechts kritisierte damals scharf die Aussage Holznagels und betonte in einer Stellungnahme: „Sie schänden jüdische Friedhöfe, marschieren durch die Innenstadt und drohen unverhohlen mit Gewalt gegenüber Antifaschisten. Die Tat ist ein politischer Mord!“
Mord an „Schmuddel“ offiziell erst 2024 als politisch motiviert eingestuft
Im vergangenen Jahr überprüfte das Landeskriminalamt NRW (LKA) 30 Gewaltdelikte mit Todesopfern aus einem Zeitraum zwischen 1984 und 2020 hinsichtlich eines „möglichen rechten Hintergrunds“. Anlass war die Neubewertung eines Falles aus dem Jahr 2003, der nachträglich als rechtsextremes Tötungsdelikt anerkannt wurde.

Das Ministerium des Innern Nordrhein-Westfalen beauftragte daraufhin die interdisziplinäre Projektgruppe „ToreG NRW“ (Todesopfer rechter Gewalt in NRW), strittige Fälle zu identifizieren und aus der heutigen Perspektive erneut zu betrachten.Das Ergebnis: Sieben der 30 geprüften Fälle bewerteten die Expert:innen als Taten mit einer politischen Tatmotivation – darunter auch der Mord an Thomas Schulz.
Seit 1990 geht die Amadeu Antonio Stiftung bundesweit von mindestens 198 Todesofpern rechter Gewalt aus. Die Stiftung kritisiert, dass viele Fälle fälschlicherweise nicht als politische Gewalt eingestuft würden.
Nur wenige Wochen nach der vorzeitigen Haftentlassung beging Sven K. neue Straftaten
Sven K. wurde damals zu sieben Jahren Haft verurteilt. Und durfte 2010 vorzeitig die Haftanstalt verlassen – wegen einer angeblichen günstigen Sozialprognose. Die Prognose war für den Rechtsextremisten „so günstig“, dass dieser bereits wenige Wochen nach seiner Entlassung weitere Straftaten beging.
Er beteiligte sich an einem Angriff auf die Szenekneipe „Hirsch-Q“, beging schwere Körperverletzungen an zwei migrantischen Jugendlichen und einem Sicherheitsmitarbeiter auf dem Dortmunder Weihnachtsmarkt 2011 und beschimpfte Polizeibeamte als „dreckige Juden“.
Ende 2015 musste Sven K. erneut für 37 Monate in Haft. Frisch aus „Justitias Armen“ entlassen, ließ es sich der durchtrainierte Neonazi nicht nehmen, bei der rechtsextremistischen Veranstaltung „Kampf der Nibelungen“ in Ostritz 2018 wieder aufzutauchen – als Ordner.
Dutzende von rechtsextremen Taten in Deutschland – sie werden immer brutaler
Die jüngste Tat am 19. Februar 2020 in Hanau, bei der Tobias R. zehn Menschen tötete, reiht sich ein in eine Serie von zunehmenden rechten Gewalttaten welche gerade in den letzten Jahren immer brutaler und gewalttätiger geworden sind, aufgeheizt beispielsweise durch Parteien wie die AfD.

Am 9. Oktober 2019 erschoss Stephan B. in Halle an der Saale am jüdischen Feiertag Jom Kippur zwei Menschen und streamte den grausamen Anschlag live im Internet. Roland K. schoss am 22. Juli 2019 in Wächtersbach auf den 26 jährigen Bilal M. aus seinem Auto heraus und tötete sich später in seinem Fahrzeug selbst. Das schwerverletzte Opfer überlebte die Tat.
Tödlich getroffen wurde am 2. Juni 2019 der Regierungspräsident Walter Lübcke in Kassel, nachdem er sich für die Aufnahme Geflüchteter ausgesprochen hatte. Bei dem Tatverdächtigen handelt es sich um den in der rechten Szene bekannten Stephan E., der auch 2009 am Überfall der Neonazis auf die DGB-Demo zum Tag der Arbeit in Dortmund teilgenommen haben soll.
„Schmuddel“ war kein Einzelfall: Rechtsextreme Morde in Dortmund
Am 14. Juni 2000 erschoss der 31-jährige Rechtsextremist Michael Berger drei Polizeibeamt:innen im Dortmunder Stadtteil Brackel sowie bei seiner Flucht in Waltrop. Berger erschoss den 35-jährigen Polizeibeamten Thomas Goretzky, die 34-jährige Polizeibeamtin Yvonne Hachtkemper und ihren 35-jährigen Kollegen Matthias Larisch von Woitowitz. Anschließend erschoss sich der Täter selbst.

Im April 2006 wurde an der Mallinckrodtstraße der türkischstämmige Kioskbesitzer Mehmet Kubaşık erschossen. Er ist das achte von neun Opfern des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU). Der hatte fast 14 Jahre lang migrantische Gewerbetreibende ermordet, zwei Sprengstoffanschläge verübt, mehr als ein Dutzend Raubüberfälle begangen und eine Polizistin ermordet.
2011 enttarnten sich die drei Haupttäter:innen selbst. Die beiden Rechtsterroristen Mundlos und Böhnhardt wurden tot in einem ausgebrannten Wohnmobil gefunden. Beate Zschäpe wurde im Juli 2018 vom Oberlandesgericht München wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt.
Verbindungen der Täter:innen zur Dortmunder Nazi-Szene wurden nicht weiter verfolgt
Die Dortmunder Neonazi-Szene feierte die Morde Michael Bergers als „3:1 für Deutschland“. Berger selbst hatte an Kameradschaftsabenden der Dortmunder Nazi-Szene teilgenommen und war dort als Waffenhändler bekannt. Trotzdem werden die Morde von den Behörden nicht als rechts motiviert eingestuft. Verbindungen Bergers zur hiesigen Szene wurden nicht weiter ermittelt, ebenso wie die Herkunft der Waffen, die die Polizei bei Berger fand, darunter auch eine AK47.

Und auch die Hintergründe der NSU-Morde sind bis heute nicht aufgeklärt – und das, obwohl die Bundeskanzlerin vollständige Aufklärung versprach. Stattdessen wurden Akten vernichtet oder aber mit Sperrfristen von 30 Jahren und mehr versehen, um V-Männer und „Verfassungsschützer“ zu decken.
Die migrantischen Angehörigen der Opfer sahen sich hingegen jahrelang zu Unrecht den rassistischen Verdächtigungen von Polizei und Teilen der Öffentlichkeit ausgesetzt. Die Presse framte die Mordserie vor der Selbstenttarnung als „Dönermorde“, die Polizei unterstellte den Opfern kriminelle Machenschaften. Hinweise auf rechtsextreme Täter wurden bewusst ignoriert.
Verbindungen des NSU zur Dortmunder Neonazi-Szene wurden ebenfalls nicht ermittelt. Und dass, obwohl beispielsweise der Verurteilte Dortmunder Neonazi Robin S. – Mitglied des verbotenen rechtsextremen Combat-18-Netzwerks (Kampftruppe Adolf Hitler) – auch für seine innige Brieffreundschaft mit Beate Zschäpe bekannt ist.
Zahlen rechtsextremer Straftaten 2024 in NRW um rund 60 Prozent gestiegenen
Das sind nur einige Beispiele aus den letzten Jahren. Aktuelle Zahlen für das Jahr 2024 gibt das Bundeskriminalamt frühestens im Mai bekannt. Dem ZDF liegen aber bereits vorläufige Zahlen vor. Danach stieg die Zahl rechts motivierter Straftaten bundesweit von 28.945 im Jahr 2023 auf 41.406 im Jahr 2024 (Stand: 19.03.2025).

Für das Land Nordrhein-Westfalen stellte Innenminister Herbert Reul am Mittwoch, 19. März 2025, das Lagebild Rechtsextremismus vor. Daraus geht unter anderem hervor, dass die rechtsextremistische Szene jünger und moderner geworden ist.
Um seine Ideologie zu verbreiten, setzt der Rechtsextremismus auf die Strategie der Entgrenzung und mobilisiert viele Menschen insbesondere über die sozialen Medien. Auch rechtsextremistische Radikalisierung findet heute immer öfter online statt.
Die Straftaten der politisch motivierten Kriminalität im Bereich rechts sind gestiegen – um rund 60 Prozent. 2023 zählte die Polizei insgesamt 3.549 Straften in Nordrhein-Westfalen. In 2024 waren es 5.641 Straftaten. In 78 Prozent der Fälle handelte es um Propagandadelikte (3.511) und Volksverhetzung (839).
Die Anzahl der Gewaltdelikte durch rechtsmotivierte Tatverdächtige stieg mit 154 Straftaten gegenüber dem Vorjahr (2023: 116) ebenfalls um 33 Prozent an. In den meisten Fällen (94 Prozent) handelte es sich hier um Körperverletzungen (145).
Die Aufklärungsquote der Gewaltdelikte lag wie im Vorjahr bei 72 Prozent. Hasskriminalität stieg um 43 Prozent von 1.432 auf 2.049 Straftaten an. Auch der Anteil der Tatverdächtigen in der Altersgruppe der 14- bis 17-Jährigen hat sich erhöht. 287 Jugendliche in 2024 im Vergleich zu 100 ein Jahr zuvor.
Antifaschistische Gedenkdemonstration am 28. März geplant
Zum 20. Todestag von Thomas Schulz rufen die „Autonomen Antifa 170″ und die „Antifaschistische Union Dortmund“ zu Gedenkveranstaltungen auf. Am Todestag, den 28. März, findet um 19 Uhr an der U-Bahnstation Kampstraße eine Gedenkkundgebung statt. Am Samstagnachmittag (29. März) startet um 14 Uhr eine Demonstration an der U-Bahnstation Kampstraße.

„Zwei Jahrzehnte später gerät der Mord an Thomas Schulz immer mehr in Vergessenheit. Mit der Demonstration wollen wir genau das verhindern und die Tat wieder in das öffentliche Bewusstsein rücken. Für uns steht Thomas Schulz Fall beispielhaft für den skandalösen Umgang mit rechter Gewalt in Dortmund und Gesellschaft“, teilen die antifaschistischen Gruppierungen mit.
Weiter sagen sie: „Obwohl kein Ende in Sicht ist, wird rechte Gewalt von Politik, Justiz und Polizei sowie in weiten Teilen der Gesellschaft immer noch verharmlost oder ignoriert. Statt sie als Teil eines größeren Problems zu sehen, werden rechte Gewalttaten entpolitisiert oder als Einzelfall abgetan. Wenn sich daran nichts ändert, können der NSU oder rassistische und antisemitische Anschläge wie in Hanau und Halle immer wieder passieren – genauso wie die täglichen Angriffe auf Migrant:innen und Linke.“
Deshalb sei es wichtig, an rechte Morde wie den an Thomas Schulz zu erinnern – nicht aus Nostalgie, sondern um zu zeigen, dass rechte Gewalt bis heute anhält und in größere gesellschaftliche Zusammenhänge eingebettet ist. Eine Woche später, am 4. April 2025, wird mit einer Demonstration an das Dortmunder NSU-Opfer Mehmet Kubaşık erinnert.
Quellen und weitere Informationen:
- Fernseh-Beitrag der WDR-Lokalzeit zum Mord an Thomas Schulz: www1.wdr.de
- Recherche zu Michael Berger: www.nsu-watch.info
- Informationen zum NSU in Dortmund und dem Brieffreund Beate Zschäpes: www.belltower.news
- Verfassungsschutzbericht 2023: www.verfassungsschutz.de
- Informationen zur „ToreG NRW“ (Todesopfer rechter Gewalt in NRW): www.land.nrw
- Informationen zum aktuellen „Lagebild Rechtsextremismus“: www.land.nrw
- PM der „Autonomen Antifa 170″ und der „Antifaschistischen Union Dortmund“
- Aktuelle ZDF-Recherche zu jungen Neonazi-Strukturen: www.zdf.de
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Volksverhetzung und Körperverletzung im Rombergpark: Polizei nimmt zwei Männer fest (PM)
Am Freitagabend (21.03.) wurden mehrere Personen im Rombergpark rassistisch beleidigt und körperlich angegangen. Dank aufmerksamer Zeugen konnte die Polizei kurz darauf zwei Männer vorläufig festnehmen.
Nach ersten Erkenntnissen picknickten gegen 20.45 Uhr sechs Personen im Rombergpark. In ihrer Nähe hielten sich zwei augenscheinlich alkoholisierte Männer auf, die über eine Musikbox Lieder mit rassistischen Inhalten abspielten. Dazu tanzten die beiden und gestikulierten in Richtung der Gruppe.
Nach einer Weile sprachen zwei Frauen die Männer an. Es entwickelte sich eine verbale Auseinandersetzung, in deren Verlauf die Frauen mehrmals rassistisch beleidigt wurden. Die Gruppe beschloss daraufhin, den Park zu verlassen. Die Männer folgten ihnen jedoch und sprachen weitere Beleidigungen aus.
Auf Höhe des Eingangs zum Kirschblütenweg schlug einer der Männer plötzlich mit den Fäusten auf zwei 20-jährige Frauen ein. Zwei Passanten wurden auf die Situation aufmerksam und verständigten die Polizei, die Männer flüchteten daraufhin. Einsatzkräfte konnten diese kurz darauf stellen und vorläufig festnehmen.
Bei ihnen handelt es sich um zwei Dortmunder (20 und 21). Beide sind bislang nicht polizeilich in Erscheinung getreten, Bezüge zur rechten Szene gibt es nach ersten Ermittlungen nicht. Der 20-jährige Haupttäter wurde zur Verhinderung weiterer Strafen in Gewahrsam genommen, der 21-Jährige erhielt einen Platzverweis. Beide erwarten nun Strafverfahren wegen Volksverhetzung, Beleidigung und Körperverletzung.
Michael Röls-Leitmann (Grünen-MdL): „295 rechtsextreme Straftaten in Dortmund – Der Rechtsextremismus ist eine große und wachsende Gefahr für unsere Demokratie” (PM)
Die Polizei hat im Jahr 2024 in Dortmund 295 politisch rechts motivierte Straftaten erfasst. Im vorherigen Jahr 2023 waren es noch 150 politisch rechts motivierte Straftaten und hat damit den zweit größten Anstieg zu verzeichnen. Die Zahlen hat die Landtagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen beim nordrhein-westfälischen Innenministerium abgefragt. Landesweit sind die politisch rechts motivierten Straftaten in NRW um rund 59 Prozent auf einen Höchststand von 5641 Straftaten seit der Einführung des Kriminalpolizeilichen Meldedienstes zur politisch motivierten Kriminalität gestiegen (2023 waren es 3549).
„Die hohe Zahl der rechtsextrem motivierten Straftaten ist alarmierend. Es ist beschämend und muss ein Weckruf sein, dass auch hier bei uns in Dortmund die Zahl der Taten gestiegen ist“, sagt Michael Röls-Leitmann, Landtagsabgeordneter aus Dortmund. „Neben einer konsequenten Strafverfolgung müssen wir uns alle Hass und Hetze immer und überall entgegenstellen. Bei uns in Dortmund darf kein Platz für Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sein.“
In ganz NRW ist die Zahl antisemitischer Straftaten massiv um 27 Prozent (547 in 2023, 695 in 2024) gestiegen. Es wurden 26 Prozent (269 in 2023, 338 in 2024) mehr islamfeindliche Straftaten verübt und 68 Prozent mehr queerfeindliche Straftaten erfasst (121 in 2023, 203 in 2024).
„Jeden Tag werden in NRW 15 rechtsextreme Straftaten begangen. Seit 2001 das Erfassungssystem für politisch motivierte Kriminalität eingeführt wurde, hat es nie so dramatisch hohe Zahlen gegeben wie heute“, sagt der Landtagsabgeordnete Michael Röls-Leitmann weiter. „Das zeigt: Der Rechtsextremismus ist weiterhin die größte und eine wachsende Gefahr für unsere Demokratie. Diese Angriffe treffen unsere Nachbarinnen, Kollegen und Schulfreunde. Wir müssen als Gesellschaft diese Gewalt und Menschenfeindlichkeit stoppen.“
Die Grüne Landtagsfraktion erfragt seit 2011 jährliche Details zur politisch motivierten Kriminalität rechts sowie zu einzelnen Phänomen der Hasskriminalität ab. Hier eine Kurzauswertung für ganz NRW für das Jahr 2024:
Politisch rechts motivierte Kriminalität (PMK Rechts) 2024
Anstieg von 3.549 Straftaten in 2023 auf 5.641 in 2024
Gewalttaten gestiegen (2023: 116, 2024: 154)
Die meisten Gewalttaten sind Körperverletzungsdelikte: 145 von 154 (94%)
Anstieg der Hasskriminalität von 1.432 auf 2.049 (43%)
Starke Zunahme an Straftaten gegen den Staat, seine Einrichtungen und Symbolik von 499 auf 1.611 (223%)
Antisemitische Straftaten 2024
Anstieg von 547 in 2023 auf 695 im Jahr 2024 (27%)
Etwa 50% der Straftaten werden der PMK Rechts zugeordnet. 22% der Straftaten werden der PMK ausländische Ideologie sowie 14% der PMK religiöse Ideologie zugeordnet. In den vorherigen Jahren waren die antisemitischen Straftaten immer zum größten Teil der PMK Rechts zugeordnet.
Es gab 16 Gewaltdelikte. 2,3% aller antisemitischen Straftaten sind Gewalttaten.
Islamfeindliche Straftaten 2024
Anstieg von 269 in 2023 auf 338 in 2024 (26%)
Die meisten Straftaten werden der PMK Rechts zugeordnet (80%)
Es gab 14 Gewaltdelikte. 4% aller islamfeindlichen Straftaten sind Gewalttaten.
Flüchtlingsfeindliche Straftaten 2024
Anstieg von 258 in 2023 auf 279 in 2024 (8%)
Die meisten Straftaten werden der PMK Rechts zugeordnet (91%).
Es gab 26 Gewalttaten. 9% aller flüchtlingsfeindlichen Straftaten sind Gewalttaten.
Antiziganistische Straftaten 2024
Anstieg von 22 in 2023 auf 30 in 2024 (36%)
Die meisten Straftaten wurden der PMK Rechts zugeordnet.
Queerfeindliche Straftaten 2024
Anstieg von 121 auf 203 in 2024 (68%)
Antifaschistische Gruppen rufen am 20. Todestag von Thomas Schulz zur Gedenkdemonstration in Dortmund auf (PM
Vor 20 Jahren, am 28. März 2005, ermordete ein Neonazi in der U-Bahnhaltestelle Kampstraße den Punk Thomas Schulz. Am Wochenende organisieren deswegen antifaschistische Gruppen eine Reihe von Veranstaltungen, um dem Ermordeten zu gedenken und gegen rechte Gewalt zu protestieren.
Bereits am Freitag findet um 19:00 Uhr eine Kundgebung auf der Kampstraße am Eingang zur U-Bahn-Haltestelle statt. „Mit Redebeiträgen und einer Gedenkminute zum Tatzeitpunkt wollen wir an die Tat und die Situation mit rechter Gewalt in Dortmund vor 20 Jahren erinnern“, erklärt Kim Schmidt, Pressesprecherin der Organisierenden.
Am Samstag um 14:00 Uhr beginnt am selben Ort die Gedenkdemonstration, zu der Teilnehmende aus ganz Nordrhein-Westfalen erwartet werden. „Wir werden durch die Dortmunder Innenstadt laufen und bei Zwischenkungebungen die Rollen von Justiz, Stadtpolitik und Polizei bei der der Tat und ihrer Aufarbeitung thematisieren“, kündigt die Pressesprecherin an.
„Denn Relativierung und Verharmlosung haben den Umgang mit rechter Gewalt in den Nuller Jahren Jahren in Dortmund geprägt. Darüber wollen wir reden und auch darüber, was sich geändert hat.“ Ziel der Demonstration ist es, die Tötung von Thomas Schulz wieder in das öffentliche Bewusstsein zu rücken und auf die Gefahr rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt aufmerksam zu machen.
„Thomas Schulz war einer von mindestens sechs Menschen, die seit der Wiedervereinigung in Dortmund Todesopfer rechter Gewalt wurden. Bundesweit sind insgesamt 221 Todesopfer bekannt“, so Schmidt. „Unsere Demonstration wird an diese Menschen erinnern und deutlich machen, dass rechte Gewalt auch heute noch aktuell ist.“
Im Anschluss an die Demonstration organisiert der Hartkern e.V. im Kulturzentrum Nordpol ein Gedenkkonzert mit Punkbands. Beginn ist um 18:00 Uhr, Eintritt gegen Spende.
20 Jahre später: Etwa 150 Menschen gedenken ermordetem Punk (PM Autonome Antifa 170)
Kurz nach 19:00 Uhr, dem Zeitpunkt der Tat, versammelten sich heute 150
Menschen an der U-Bahnhaltestelle Kampstraße, um daran zu erinnern, dass
vor zwanzig Jahren an diesem Ort ein Mensch ermordet wurde. Thomas
Schulz wurde von einem Neonazi erstochen, weil er dessen rechte Parolen
nicht unwiedersprochen ließ.
Organisiert wurde die Kundgebung von der Autonomen Antifa 170 und der
Antifaschistischen Union Dortmund. In Redebeiträgen wurde an die
Situation in Dortmund vor 20 Jahren erinnert. „Rechte Gewalt war damals
für viele Menschen in dieser Stadt ein Teil der Alltags“, sagt Kim
Schmidt, Pressesprecherin der Organistor:innen. „Die über Jahrzehnte
gewachsene Neonaziszene hatte die Parole ausgeben, Dortmund sei ihre
Stadt, und hat versucht, dass mit Gewalt gegen Punks, Antifaschist:innen
und alle, die den Neonazis als unerwünscht galten, durchzusetzen“.
Die Demonstrierenden sehen einen Teil der Verantwortung bei der
damaligen Stadtpolitik: „Über Jahre wurde das Problem geleugnet und
relativiert, Angriffe von Neonazis zu „Auseinandersetzungen“ umgelogen
und angesichts damals schon vier von Neonazis ermordeten behauptet,
Dortmund habe kein Naziproblem,“ erinnert die Pressesprecherin.
In einer Rede der Initiative „Erinnern Verändern“ wurde beklagt, dass es
kaum gelungen sei, die Angehörigen in das Gedenken einzubinden. „Das
bleibt eine Leerstelle, auch nach zwanzig Jahren,“ so Schmidt. „Um so
mehr freuen wir uns, das mit Gamze Kubaşık die Tochter eines anderen
Todesopfers rechter Gewalt ein Grußwort für unsere Kundgebung geschickt
hat. Wir rufen dazu auf, auch am Tag der Solidarität in Gedenken an
Mehmet Kubaşık am 04. April teilzunehmen“.
Nach einer knappen Stunde endete die Kundgebung. „Wir sehen uns morgen
um 14:00 Uhr zur Demonstration „Auch nach zwanzig Jahren: Kein Vergeben,
kein Vergessen“ an gleicher Stelle“, schließt die Pressesprecherin. „Es
ist weiterhin notwendig, sich gegen die Bedrohung durch Neonazis zu
organisieren. Egal was der Polizeipräsident behauptet: Die Nazis sind
nicht weg“.
Verfassungsschutzbericht 2024: Extremismus wird jünger und digitaler, Spionage und Cyberangriffe gestiegen, Terrorgefahr weiter abstrakt hoch (PM)
DAS MINISTERIUM DES INNERN TEILT MIT:
Extremismus hat sich gewandelt und ist moderner geworden. Junge Menschen rücken zunehmend in den Fokus von Extremisten. Radikalisierung findet immer öfter online statt. Die Bedrohung durch Spionage und Cyberangriffe durch ausländische Akteure hat zugenommen. Auch die Gefahr durch islamistisch motivierte Anschläge ist weiter abstrakt hoch. Das geht aus dem Verfassungsschutzbericht 2024 hervor, den Innenminister Herbert Reul am Mittwoch, 9. April 2025, vorgestellt hat. Auf mehr als 350 Seiten hat der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung umfassend beschrieben.
Innenminister Herbert Reul: „In Solingen hat der Islamismus sein hässlichstes Gesicht gezeigt. Dort haben wir gesehen, wie schnell aus einer abstrakt hohen Terrorgefahr schnell eine konkrete Tat werden kann. Auch Rechtsextremisten haben es auf unsere Demokratie abgesehen. Extremisten mobilisieren junge Leute und erreichen im Netz enorme Reichweiten. Die Konflikte der Welt spielen sich nicht nur auf anderen Kontinenten ab, sondern finden immer auch in Nordrhein-Westfalen statt. Das Internet ebnet ihnen den Weg. Dass wir in Freiheit und Frieden, demokratisch und rechtsstaatlich leben, ist nicht selbstverständlich. Der Verfassungsschutz hat auch 2024 rund um die Uhr Extremismus und Terrorismus bekämpft und sich für unsere Demokratie eingesetzt. Mehr denn je sind wir gefragt, für unsere Demokratie einzustehen.“
Die Straftaten im Bereich der politisch motivierten Kriminalität sind im vergangenen Jahr erneut gestiegen. Rund 11.000 Straftaten wurden registriert [10.772], bei denen die Tatmotivation politisch war. Zum Vorjahr war das eine Zunahme um 42 Prozent [2023: 7.596]. Etwa 23 Prozent [2.450] der Straftaten wurden mit dem Tatmittel „Internet“ begangen. Rund 30 Prozent mehr als im Jahr zuvor [1.859]. In rund 19 Prozent aller politisch motivierten Straftaten handelte es sich um Hasskriminalität.
Der Verfassungsschutz stellt fest, dass der Rechtsextremismus verstärkt Jugendliche und junge Erwachsene anspricht. Die rechtsextremistische Szene ist insgesamt jünger und moderner geworden. Um seine Ideologie zu verbreiten, setzt der Rechtsextremismus auf die Strategie der Entgrenzung und mobilisiert viele Menschen insbesondere über die sozialen Medien.
Innenminister Herbert Reul: „Der Rechtsextremismus bleibt die größte Bedrohung für unser demokratisches Zusammenleben. Rechtsextremisten halten sich durch Hass und Hetze am Leben. Wir sehen, dass er sich modernisiert hat – heute weniger Glatze und Springerstiefel, dafür Sneaker und Active Clubs. Das ist nur alte Ideologie in neuem Gewand. Davon dürfen wir uns aber nicht täuschen lassen.”
2024 wurden im Bereich Rechtsextremismus 5.461 Straftaten erfasst [2023: 3.549]. In 78 Prozent der Fälle handelte es um Propagandadelikte [3.511] und Volksverhetzung [839]. Die Anzahl der Gewaltdelikte durch rechtsmotivierte Tatverdächtige stieg mit 154 Straftaten gegenüber dem Vorjahr [2023: 116] um 33 Prozent an.
Die Gefahr islamistisch motivierter Anschläge ist weiterhin abstrakt hoch. Die allein handelnden Täter, die sich ohne soziale Kontakte online radikalisieren, stellen weiterhin eine große Herausforderung für die Sicherheitsbehörden dar. Die Lage in Nahost kann Radikalisierungsprozesse zusätzlich befeuern. Im Bereich des extremistischen Salafismus lag das Personenpotenzial bei etwa 2.700 Personen. Rund 600 davon wurden als gewaltorientiert eingestuft.
Innenminister Herbert Reul: „Der islamistische Terrorismus bleibt die größte Gefahr für Leib und Leben. Der Verfassungsschutz unternimmt alles, um diese Gefahr zu bannen. Das Internet wird mehr und mehr zum Hochleistungsmotor für Radikalisierung. Hass-Prediger haben Online-Propaganda auf TikTok, Instagram oder Telegram perfektioniert. Damit ist der Islamismus weiter auf dem Vormarsch.”
Der Verfassungsschutz stellte mehr Versuche im Bereich Spionage und Cyberangriffe fest. Auch gezielte Desinformation und illegitime Einflussnahme durch ausländische Akteure besonders im digitalen Raum spielten eine zunehmende Rolle.
Innenminister Herbert Reul: „Die Versuche von außen Einfluss zu nehmen, sind in dem Maße gestiegen, in dem die Konflikte in der Welt sich verschärft haben. Vor allem Russland hat seine nachrichtendienstliche Methodik verändert und tritt zunehmend robuster auf. Dabei geht es darum, auszuspähen, Informationen zu beschaffen und unsere Demokratie zu destabilisieren. Der Verfassungsschutz unternimmt alles, um diese Angriffe abzuwehren.”
Auch Antisemitismus ist weiter präsent. Besonders durch die Eskalation des Nahost-Konflikts hat der Hass auf Jüdinnen und Juden in der Gesellschaft in den vergangenen Jahren zugenommen. 2024 Jahr wurden 695 antisemtische Strafaten erfasst [2023: 547]. Viele Taten davon waren Sachbeschädigungen oder Volksverhetzungen.
Innenminister Herbert Reul: „Übergriffe auf jüdische Mitmenschen, Synagogen und Gedenkstätten sind keine Seltenheit mehr. Die Geschichte lehrt uns, jeglicher Form von Antisemitismus entschieden entgegenzutreten. Das ist unsere besondere Verpflichtung.”
Im Bereich Linksextremismus wurden rund 1.200 Straftaten erfasst [1.187]. Viele davon waren Widerstandsdelikte. Linksextremisten führten zum Teil gewaltsame Proteste durch. Verzeichnet wurden 86 Gewaltdelikte. Ziel dieser Aktivitäten war es, über anschlussfähige politische Brennpunktthemen zivildemokratischen Protest zu radikalisieren und linksextremistische Ideologie in das bürgerliche Spektrum zu tragen.
Im Bereich auslandsbezogener Extremismus geht der Verfassungsschutz auch weiter konsequent gegen Gruppierungen vor, die Terror und Antisemitismus befürworten.
Innenminister Herbert Reul: „Mit dem Verbot des Vereins „Palästina Solidarität Duisburg“ im Mai 2024 haben wir alle juristischen Möglichkeiten genutzt, um klare Kante gegen Extremismus zu zeigen.”
Der Verfassungsschutz hat als Frühwarnsystem alle Extremismusbereiche im Blick. Er unterstützt auch als sogenannte „mitwirkende Behörde” andere Behörden, zum Beispiel durch Sicherheitsüberprüfungen. Der Verfassungsschutz berät darüber hinaus Unternehmen, wie sie sich besser vor Cyberangriffen schützen können. Auch im Bereich Wirtschaftsschutz und Prävention ist der Verfassungsschutz aktiv und richtet sich bei seinen Veranstaltungen, Vorträgen und Beratungen thematisch mit Blick auf die Zielgruppen konsequent an den aktuellen Herausforderungen aus.