Ein „sehr sehr turbulentes Jahr“ liegt nach eigener Einschätzung hinter dem Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus (AKgR) – ein erfolgreiches Wahl- und Jubiläumsjahr vor ihm. 15 Jahre besteht der Dortmunder Zusammenschluss. Die entscheidende Frage: Ist das (k)ein Grund zum Feiern – weil es ihn noch immer geben muss?!
Lob für BlockaDO für Engagement gegen Thor Steinar: „ Es war gut, dass sie sich so reingekniet haben“
Bei allen Nazi-Umtrieben in Dortmund, fällt die Erfolgsbilanz doch sehr deutlich zu Gunsten der Demokrat*innen aus. „Der Widerstand ist breit und gut aufgestellt – die Arbeitsteilung hat gut funktioniert“, betont die DGB-Vorsitzende Jutta Reiter, eine der Sprecher*innen des AKgR.
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Lob gab es – nach jahrelanger Kritik – für die konsequente Verfolgung von Straftaten, die mehrfach mit Inhaftierung bzw. U-Haft endete. „Die Nazis haben jahrelang den Rechtsstaat lächerlich gemacht“, erinnerte Reiter. Jetzt klicken immer häufiger die Handschellen.
Nicht nur wichtige Akteure, auch herausragende Symbole hätten sie verloren, sagte sie bezogen auf das Überstreichen der Nazikiez-Fassade. Großes Lob gab es zudem für das Bündnis BlockaDO: „Es verdient den tiefen Respekt, dass BlockaDO jeden Montag eine Mahnwache gegen den Naziladen Thor Steinar gemacht hat. Es war gut, dass sie sich so reingekniet haben“, sagte Reiter.
Auch der Stadt zollte die AKgR-Sprecherin Respekt, die auch die juristischen Möglichkeiten ausgeschöpft hatten, so dass der Laden aus Brandschutz- und ordnungsrechtlichen Gründen seit November 2019 geschlossen wurde und noch immer geschlossen ist.
Stärkung der Runden Tische in den Stadtteilen – Notfalltaschen gegen Provokationen
Ebenfalls bemerkenswert sei das gemeinsame Vorgehen aller Bündnisse nach den Morden von Halle gegen die Naziaufmärsche in der Nordstadt gewesen. Mehr als 2000 Menschen waren dem gemeinsamen Aufruf gefolgt. Kritik, dass man zunächst nicht gegen die Neonazis in der Nordstadt demonstriert habe, wies sie zurück.
Reiter erinnerte daran, dass sich der Arbeitskreis als stadtweites Bündnis verstehe und nur aktiv werde, wenn bei Nazi-Mahnwachen mehr als 100 Teilnehmende erwartet werden oder diese von stadtweiter Bedeutung seien. Man wolle deren Aktivitäten nicht unnötig aufwerten.
Zudem setze der Arbeitskreis auf die Stärkung der Runden Tische in den Stadtteilen. Daher hatte der Arbeitskreis sogenannte Notfall-Taschen erstellt, mit denen Gruppen oder Einzelpersonen Hilfsmittel und Hinweise an die Hand bekommen, wie man auch relativ spontan auf Nazi-Provokationen reagieren und auch Ungeübte Kundgebungen anmelden könnte. Im konkreten Fall der Nordstadt habe man auch die Gründung eines Runden Tischs initiiert, der sich mittlerweile konstituiert hat.
Neben der aktionistischen Schiene hatte sich der Arbeitskreis auch inhaltlich mit dem Thema befasst und unter anderem an der juristischen „Würdigung“ der antisemitischen Wahlplakate der Partei „Die Rechte“ gearbeitet. So gab es einen Workshop mit Jurist*innen zum Thema, berichtet Pfarrer Friedrich Stiller, ebenfalls Sprecher des Arbeitskreises.
Diese Parolen dürfe man nicht nur juristisch bewerten. „Wir haben auch die gesellschaftliche Wahrnehmung deutlich gemacht. Wir brauchen einen anderen juristischen Blick. Noch haben sich die Gerichte nicht damit befasst“, erinnerte Stiller daran, dass das Landgericht erst in diesem Jahr über die 2018 skandierte Parole „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit“ verhandelt.
„Die Neonazis haben weiter an Gewicht verloren, dennoch besteht weiter ein großes Bedrohungspotenzial“
Der Arbeitskreis zog auch eine Bilanz der Nazi-Aktivitäten: Die Nazis seien wieder sehr aktivistisch gewesen, hätten aber nur schwache Erfolg erzielen können. Immer weniger Leute seien auf die Straße gegangen, die überregionale Teilnahme habe abgenommen, der Demomarathon in der Nordstadt sei vorzeitig beendet worden.
Die Verhaftungen und der Verlust der „Nazikiez-Graffiti“ seien schwere Schläge gewesen. Nun soll noch die polizeiliche Videobeobachtung in Emscher- und Tusneldastraße kommen, außerdem das Verbot von „Combat 18“: „Wir begrüßen das Verbot von C18. Es war lange überfällig. Der Staat muss konsequent gegen rechte Gewalt vorgehen, wie wir es seit langem fordern“, heißt es dazu vom Arbeitskreis.
„Die Neonazis haben weiter an Gewicht verloren, dennoch sind sie aber nicht zu unterschätzen. Es gibt weiter ein großes Bedrohungspotenzial“, bilanziert Stiller. Interessant gewesen sei, dass sie selbst überregional bedeutsame Möglichkeiten zur Provokation – Stichwort Deutscher Evangelischer Kirchentag – nicht genutzt hätten.
„Sie haben das Jahr über eigentlich viel gemacht, waren aber in den Wirkungen beschränkt“, so Stiller weiter. Der Arbeitskreis rechnet gerade im Kommunalwahljahr 2020 mit weiteren aktionistischen Auftritten und Provokationen. Denn die Partei „Die Rechte“ muss, um den Status einer Partei zu behalten, bei Wahlen antreten.
Taktisches Verhalten im Wahljahr – NPD und „Die Rechte“ kooperieren – Provokationen erwartet
Dabei verhalten sie sich taktisch: Waren sich die Neonazis mit der NPD in Dortmund vor der letzten Wahl nicht grün, agieren sie jetzt als Gruppe und gehen auch auf Ruhrebene eine Listenverbindung ein. Den Grund sieht Reiter weniger inhaltlich, sondern wahltaktisch. Denn die NPD trete in Dortmund nicht mehr in Erscheinung. Ihr Ratsvertreter Axel Thieme trete daher auch im Herbst auf der Liste der Neonazi-Partei auf.
„Das ist ein Zeichen der Unsicherheit. Das hätte sich die NPD früher nie bieten lassen. Und auch die Radikalität hätte sie sich verboten. Aber sie sehen, dass die Erfolge nicht in den Himmel wachsen“, analysiert Friedrich Stiller. „Sie verderben die Stimmung, aber erzielen keine Erfolge“, fasst der Pfarrer – Leiter des Referates für gesellschaftliche Verantwortung des Evangelischen Kirchenkreises – die Ratsstrategie der Gruppe zusammen.
Wirkungsvollstes Mittel gegen die Neonazis im Rat sei eine hohe Wahlbeteiligung. Einen bestimmten Anteil wird es immer geben. Da sie flächendeckend in allen Stadtbezirken antreten wollen, wird der Arbeitskreis gegen Rechtsextremismus wieder Angebote zur Vorbereitung der Straßenwahlkämpfer*innen der demokratischen Parteien anbieten, wie man vor Ort damit umgehen und dem begegnen kann.
Stiller: „Die Dortmunder AfD ist eher unauffällig – sie kriegen wenig auf die Beine.“
„Obwohl ihr Radius nicht größer wurde – das Drohpotenzial bleibt unverändert. Einschüchterungen und Gewalt sind ein Mittel der Politik für sie“, warnte Stiller vor frühzeitiger Entwarnung oder Verharmlosung. Er appellierte dafür , dass die Zivilgesellschaft aufmerksam bleibe und Menschen oder Veranstaltungen, die ins Visier der Neonazis geraten, gegenseitig geschützt werden müssten.
„Vor allem die Mischszene sollte uns sorgen: Mischszenen aus Neonazis und Hooligans, die auch verwirrte Bürger ansprechen kann“, so Stiller. Noch gebe es Phänomene wie die Steeler Jungs in Essen noch nicht. „Aber wir dürfen nicht unvorbereitet sein, wenn es auch hier passieren sollte.“
Zudem müssten sich die Bündnisse der Tatsache stellen, dass Rechtspopulismus eine größere Bedrohung im Blick auf die Reichweite ist. „Die AfD ist rechtspopulistisch, dass ist keine Frage. Die Grenzlinie zu Rechtsextremismus ist die Frage zur Gewalt als Mittel. Dagegen ist die AfD bürgerlich. Im Gehabe, bei den Themen und im Umgang mit dem Flügel sind sie eindeutig nicht bürgerlich. Sie schüren Ressentiments, hetzen gegen Geflüchtete“, so Stiller.
„Die Dortmunder AfD ist eher unauffällig – sie kriegen wenig auf die Beine.“ Aber wir müssten aufpassen, wie sich die Grenzverwischung nach Rechts entwickele. „Im Rat merkt man, wes Geistes Kind sie sind – und sind eindeutig nicht unsere“, betont der Sprecher des Arbeitskreises.
Antifaschistisches Engagement als Thema für die breite Mitte der Gesellschaft
Doch bei allen Herausforderungen: Der Arbeitskreis will 2020 auch feiern. Er besteht seit 15 Jahren – im August 2005 gegründet. „Mit sehr vielen Akteuren, die auch heute noch dabei sind.“ Das Zehnjährige hatte der Arbeitskreis vor lauter Arbeit vergessen zu begehen.
15 Jahre – (k)ein Grund zum Feiern? Schließlich sei es bedauerlich, dass die Arbeit noch nötig ist. Das Entscheidende: Damals wie heute sei klar gewesen, dass dieses Engagement nicht nur ein Thema für „den linken Rand der Gesellschaft, sondern für die Mitte der Gesellschaft“ sei und sein müsse. Im Herbst soll es eine Jubiläumsfeier, eine Fachveranstaltung und einen Tag der Demokratie geben.
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