Sie wäre die erste Frau in Dortmund, die das Amt an der Stadtspitze bekleidet: Daniela Schneckenburger von den Grünen möchte bei den im Herbst anstehenden Kommunalwahlen Oberbürgermeisterin werden. Dafür wurde sie gestern auf einer Mitgliederversammlung ihres Kreisverbandes mit großer Mehrheit nominiert. – Die Partei wittert nach den letzten Wahlerfolgen Morgenluft, sogar eine historische Chance: in der bundesrepublikanischen „Herzkammer der Sozialdemokratie“ gleichsam für einen Infarkt zu sorgen. Mit ihr in vorderster Front und einem Programm, das ökologisch-soziale Themen sowie klare Kante gegen Rechts akzentuiert.
Schockmoment aus Thüringen: FDP-Politiker mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt
Letzteres mit tagespolitischem Bezug. Zwar sollte es beim gestrigen Treffen der Grünen in der kahlen Werkhalle vom Union-Gewerbehof an der Rheinischen Straße exklusiv um die Legitimierung der eigenen OB-Kandidatin gehen. Doch in den Redebeiträgen an diesem Abend kommt immer wieder ein außerkommunales Ereignis zur Sprache, das gerade prominent durch die Medien geht.
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Die von vielen als Dammbruch empfundene Wahl eines Ministerpräsidenten mit den Stimmen der AfD: von Thomas Kemmerich aus dem Thüringer Landtag heraus. Der Mann gehört zur FDP und repräsentiert darüber hinaus mit deren Ergebnis von genau fünf Prozent bei den letzten Landtagswahlen im Oktober nur eine kleine Minderheit des Wähler*innenwillens.
Das habe der Demokratie einen enormen Schaden zugefügt, diagnostiziert Gastredner Felix Banaszak, Landesvorsitzender der NRW-Grünen. Aus der Geschichte lernen, hieße, „dass gerade Konservative und Liberale eine sehr zentrale Verantwortung dafür tragen, diesen Drang nach Rechts aufzuhalten.“ Haben sie aber nicht getan. Die Quittung kam bereits: nach neusten Umfrageergebnissen verlöre die CDU weitere zehn Prozent, die FDP flöge aus dem Landtag.
Klare Kante gegen Rechts: aus einer wehrhaften Stadtgesellschaft heraus
Das Verhalten sei ein Bruch mit einem Grundkonsens, der bislang gegolten habe, quittiert auch Felix Banaszak. Bei allen programmatischen Differenzen, die es zur FDP gäbe: über das Demokratische, den Streit um Mehrheiten, die Anerkennung, dass Kompromisse geschlossen werden müssten, usf. Etwas, was von der AfD und ihren Geistesverwandten im Kern bestritten würde: „die Idee, dass ein anderer recht hat“ bzw. haben könnte.
Für die Frau, um die es bei der Nominierungsveranstaltung ging, für Daniela Schneckenburger ist es „unerträglich“, dass in Thüringen „eine Brandmauer gegen Rechts eingerissen“ worden sei. Und verweist auf die Kommunalpolitik: auch die geriete unter Druck; im Rat der Stadt sei ein Klima der Angst erzeugt worden.
Was sie nicht hinnehmen will: „Ich stehe dafür, dass wir uns als Stadtgesellschaft zur Wehr setzen gegen diese Art von Druck.“ Und fügt hinzu: „Wir sind stark und wir lassen uns diesen Raum nicht nehmen.“
Doch dafür braucht es Mut. Das weiß auch Arndt Klocke, Vorsitzender der Grünen-Fraktion im NRW-Landtag. Gerade vor dem Hintergrund der starken Dortmunder Neonazi-Szene. „Ich finde es absolut mutig, heute zu sagen, ich mache Politik, mache mich als Person öffentlich, stelle mich dahin und liefere mich da aus.“
Eine Politikerin mit reichlichem Reservoir an Erfahrungen in der Kommunal- und Landespolitik
Wer ist die Frau, die es wagt? Wofür tritt Daniela Schneckenburger an? Am Ende ihrer 25-minütigen Vorstellungsrede fasst sie zusammen: Verkehrswende, Energiewende, Bildungsgerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit – und eben klare kannte gegen Rechts. „Das sind die Themen, für die ich stehe.“ Genauso wie auf der grünen Agenda.
Sie habe sich selbst gefragt: Kann ich? Will ich? – „Ja, ich will. Und ich kann auch!“, betont die erfahrene Politikerin und verweist auf ihre langjährige Tätigkeit in der Verwaltungsspitze: seit 2015 ist sie in Dortmund als Dezernentin für Schule, Jugend und Familie zuständig.
Die aus dem baden-württembergischen Bruchsal stammende, studierte Germanistin und Theologin lebt seit 30 Jahren in der Stadt, war Ratsmitglied, später dort auch Fraktionsvorsitzende der Grünen. Ebenso Landesvorsitzende ihrer Partei in NRW und Dortmunder Landtagsabgeordnete. Nun möchte sie Dortmunds Oberbürgermeisterin werden.
Chancen für Wahl einer grünen Oberbürgermeisterin im Herbst stehen nicht schlecht
So schlecht stehen ihre Chancen offenbar nicht. Die Grünen geben sich betont kämpferisch wie optimistisch: dass sie es nach Jahrzehnten sozialdemokratischer Vorherrschaft diesmal schaffen könnten, eine der ihren an die Spitze der Stadt zu hieven. Denn entgegen dem Willen der schwarz-gelben Landesregierung wird nach dem Urteil des NRW-Verfassungsgerichtshofs im Dezember die Stichwahl bei Kommunalwahlen erhalten bleiben.
Das bedeutet: Erringt unter den OB-Kandidat*innen im ersten Wahlgang niemand die absolute Mehrheit, kommt es in einer zweiten Runde zur Entscheidung zwischen den beiden Erstplatzierten. Angesichts ihrer Ergebnisse bei den letzten Wahlen zum EU-Parlament und des Umstandes, dass bisher kein Mitbewerber um den Posten merklich öffentlichkeitswirksam herausgeragt hat, könnte es in Dortmund in der Tat zu einer Überraschung kommen – mit weit über die Kommune hinausgehenden Implikationen.
Und das ist den Grünen freilich klar. Ja, sie wollten Verantwortung für die gesamte Stadt übernehmen, heißt es wiederholt vor den Parteimitgliedern. Die Zeit sei reif für den Wandel. Nach grünem Geschmack, versteht sich. – Doch für den Fall der Fälle dürfte es für eine neue Oberbürgermeisterin namens Schneckenburger auch einige Schwierigkeiten geben.
Schneckenburger: „Sprechen mit denen, mit denen wir sonst nicht gesprochen haben.“
Abgesehen von der Größe der Aufgabe, die neben Ausdauer und Mut Rückhalt erfordere, wie die Sprecherin des Dortmunder Kreisverbandes, Katja Bender, betont, sowie der Herausforderung, möglichen Anfeindungen und gewachsener Politverdrossenheit entgegenzutreten: die grüne OB stünde einer sozialdemokratisch geprägten Verwaltung vor. Da mag an der ein oder anderen Stelle eine gewisse Reibungswärme entstehen.
Ein zentrales Motiv der Grünen ist es, Vielfalt und Demokratie durch mehr Beteiligung von Bürger*innen zu stärken. „Es geht nicht darum, Politik zu machen von oben nach unten; diese Zeiten sind vorbei“, betont ihre Kandidatin um den OB-Posten. Sondern darum, die Menschen abzuholen, alle mitzunehmen. Da sei es nicht mehr der Eine, der da vorne stünde. Sondern es ginge um gemeinschaftliches Handeln, bedeutet sie.
Die Stadtgesellschaft müsse in einen Dialog kommen. Und fordert ihre Partei-Kolleg*innen auf, sollte es denn am 13. September einen Wahlerfolg geben: „Lasst uns rausgehen und sprechen mit denen, mit denen wir sonst nicht gesprochen haben.“ Und nennt an erster Stelle die Unternehmen in Dortmund: „Was brauchen Sie?“ Gleiches gälte für die Sozialverbände.
Umweltpolitik, Verkehrs-, Energie-, Klimawende: es muss sich mehr und schneller bewegen
Dortmund vor dreißig Jahren, das sei die Stadt der Autovorsprungspolitik gewesen. Doch es habe sich viel verändert. Mehr Menschen führen mit dem Fahrrad. Da sei hingegen Luft nach oben – von wegen Kopenhagen, das Dortmund in Sachen Radverkehr werden solle, nämlich richtig fahrradfreundlich. So zumindest die ambitionierten Pläne von Noch-OB Ullrich Sierau Dortmund vor nicht allzu langer Zeit. Eher sei die Stadt wie Calgary (nach einer Untersuchung die autofreundlichste Stadt der Welt).
Ein weiteres strategisches Vorhaben der Verwaltungsspitze: Dortmund soll bis 2050 zu einer klimaneutralen Stadt werden. Das Ziel teilt die Politikerin selbstverständlich, aber das Tempo nicht: „Warum so mutlos?“, fragt sie. „Warum nicht 2035?“ Es bräuchte „Mut zur Veränderung“. – Die umstrittene Errichtung eines neuen Kohlekraftwerks in der Region weist hingegen für Schneckenburger genau in die andere Richtung.
„Datteln 4 ist zum Symbol geworden für das Beharrungsvermögen des Alten.“ Gezeigt werden müsse, dass nicht nur eine Verkehrs-, sondern auch eine Klimawende möglich sei. „Ich bin überzeugt, wir können mehr!“ Es ginge etwa um erneuerbare Energie auch in den Quartieren.
Soziale Problemlagen: besonders beim Wohnraum, der (Kinder-)Armut und Bildungsgerechtigkeit
Für sie steht fest: „Es muss mehr sein als Stadtmarketing“, so die Kandidaten mit einem Seitenhieb auf ihren sozialdemokratischen Konkurrenten, den Wirtschaftsförderer Thomas Westphal (SPD). Ihre Partei wolle da sein für die ganze Stadt – und dafür, sie in eine andere Balance zu bringen. Dies betrifft auch die Sozialpolitik.
Zwar sei für sie Dortmund „gefühlt keine gespaltene Stadt“, bekräftigt Daniala Schneckenburger. „Nichtsdestotrotz haben wir viele soziale Problemlagen.“ Mehrfach, auch bei den grünen Kolleg*innen kommt zur Sprache, bezahlbaren Wohnraum zu sichern. Besonders bedeutend für die Noch-Schul- und Jugenddezernentin ist Chancengleichheit im Bildungsbereich. „Bildungsgerechtigkeit wird für die Kommunen eine ganz entscheidende Frage sein.“
Die Stadt habe ein unheimliches Potential: das sieht sie insbesondere in den vielen jungen Menschen. Hier sei anzusetzen, „egal, welchen Nachnamen sie haben“, schiebt sie Diskriminierungsparadigmen gleich einen Riegel vor. Es müsse alles dafür getan werden, „für beste Bildung in dieser Stadt zu sorgen.“
Klares Votum für Daniela Schneckenburger als Oberbürgermeisterin-Kandidatin
Vor allem eben in jene solle investiert werden, die klein seien. Dafür gibt es für die Grüne einen weiteren guten Grund: 30 Prozent der Kinder im Ruhrgebiet seien arm. Und es gäbe – das weiß sie nur zu gut – eben einen inneren Zusammenhang zwischen Bildungschancen und der materiellen Situation im Elternhaus.
„Was wir als Kommune geben können, sind Chancen“, fasst sie zusammen. Dafür bräuchte es aber möglichst viele Kindertagesstättenplätze. Auch, um für Frauen, die arbeiten wollten, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu sichern – „eine Win-Win-Situation“, so Schneckenburger.
Am Ende das – wie erwartet – klare Votum aus der Versammlung heraus: 92,5 Prozent der 120 anwesenden Parteimitglieder küren – bei fünf Neinstimmen und vier Enthaltungen – Daniela Schneckenburger zu ihrer Kandidatin für die anvisierte Besetzung des OB-Amtes bei den Herbstwahlen.
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