Zwischen Integration und Traditionen in Dortmund: „Das Rollenverständnis von Frauen und Mädchen bei Roma“

Livia Costica, Ismeta Stojković und Leon Berisa.
Livia Costica, Ismeta Stojković und Leon Berisa standen Rede und Antwort.

„Das Rollenverständnis von Frauen und Mädchen bei Roma“ stand bei einer gut besuchten Diskussionsveranstaltung von Planerladen und der Auslandsgesellschaft NRW im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus im Mittelpunkt.

Romni stehen an diesem Abend in der Nordstadt im Mittelpunkt

Romni: Foto- und Interviewprojekt von Tabea Hahn und Anna Merten in der Dortmunder Nordstadt. Foto: Tabea Hahn & Anna Merten
Romni: Foto- und Interviewprojekt in der Dortmunder Nordstadt. Foto: Tabea Hahn & Anna Merten

Die weiblichen Familienmitglieder heißen in Romanes Romni.  Konkret sollte folgenden Fragen nachgegangen werden: Welche Rolle kommt der Frau in traditionell lebenden Roma-Familien zu?

Inwiefern spielt die Sicherung der Ethnie dabei eine Rolle? Welche Bilder existieren in der Mehrheitsgesellschaft und wie passen diese zur Realität?

Speziell war vorgesehen gewesen auch über das Foto – und Interviewprojekt „Romni“ von Tabea Hahn und Anna Merten (Nordstadtblogger berichteten).

Die beiden Frauen hatten Vertrauen zu in Dortmunder Nordstadt lebenden Romni aufgebaut, diese interviewt und Fotos von ihnen in traditioneller Kleidung gemacht.

Leider standen sie am Abend der Debatte krankheitsbedingt nicht zur Verfügung. Wenngleich die Abwesenheit der Macherinnen des Romni-Projektes ein Manko darstellte, vermittelte die Podiumsdiskussion dennoch interessante Aspekte aus dem Leben der Romni.

Nicht alle Romni tragen noch traditionelle Kleidung

Podiumsgäste waren die rumänische Nordstadtbewohnerin Livia Costica und Schüler Leon Berisa. Die Moderation hatte die gebürtige Serbin Ismeta Stojković aus Köln (Rom e.V.) übernommen.

Livia Costica, die früher in Rumänien einen Marktstand betrieb, lebt seit 2007 in Dortmund, hat vier Kinder und acht Enkelkinder. Sie hat die deutsche Sprache gelernt und Hilfsangebote – etwa von der AWO – angenommen. Momentan ist sie als Putzfrau tätig.

Für sie, das erwähnte sie mehrfach, war traditionelle bunte Roma-Mode mit ihren langen Röcken nie eine Option. Andere Romni hat sie hier in Dortmund angesprochen. Ihnen sogar eigne Kleidung angeboten. Sie lehnten ab.

Wie sich im Verlaufe der Veranstaltung herausstellte, geht es diesen Romni  offenbar um die Bewahrung ihrer Identität. Vielleicht befürchten sie eine Assimilation.  Livia Costica ist dies einerlei. Ob eine Romni Hosen trägt oder einen Minirock, bzw. die westlichen Frauen in Jeans und bauchfrei  herumgehen – da ist sie tolerant.

Bildung und Bildungschancen sind auch unter Roma ein hohes Gut

Livia Costica.
Livia Costica.

Costica stammt vom Lande und hat nur einen niedrigen Schulabschluss. Die Kinder und Enkelkinder strebten aber durchaus höhere Schulabschlüsse an.

Das passt nun schon gar nicht zu den üblichen Klischees, die in den Medien verbreitet, von der Mehrheitsgesellschaft unhinterfragt für bare Münze genommen und sich im Verein mit über die Jahrhunderte als Ressentiments offenbar nicht ausrotten lassen.

Auch bei Ismeta Stojković und ihrer Familie wurde und wird Bildung groß geschrieben. Schon in Jugoslawien, das, seinerzeit „viel für Roma tat“, sei das unter vielen Roma so gewesen.

In Deutschland Fuß zu fassen bedarf großer Kraftanstrengungen

AGNRW - Romni - Rollenbilder von Frauen bei Roma _5027 - NSBDie studierte Philologin – seit 2001 in Deutschland – hat  hier einen schwierigen Weg hinter sich und „bittere Erfahrungen“ wegstecken müssen. Nicht anerkannte Diplome und die deutsche Bürokratie machten es ihr schwer.

Über einen Kontakt zu einer anderen Serbin kam sie schließlich auf eine erfolgreiche Spur. Heute leistet sie wichtige gesellschaftliche Arbeit bei Rom e.V. in Köln und begleitet Roma auf ihren ersten Wegen hierzulande. Eine Arbeit, die sie ausfüllt und glücklich macht.

Leon Berisa ist beim Projekt „Junge Roma Aktiv“ (kurz: JUROMA). mit ähnlichen beratenden Tätigkeiten für SchülerInnen und Jugendliche sowie für deren Integration im Einsatz. In seiner aus dem Kosovo kommenden Familie haben es ebenfalls viele zu hohen Bildungsabschlüssen gebracht.

Familiäre Freiheiten: Söhne dürfen auch heute noch mehr als die Töchter

Leon Berisa
Leon Berisa

Schon die Mutter hat Jura studiert. Seine Schwester ist sogar weiter aufgestiegen als der älteste Bruder.

Aber freilich – das wurde auch deutlich – haben bei den Familien die Jungen schon in der Regel mehr Freiheiten als ihre Schwester.

Sie dürfen länger ausbleiben als diese. Sie gelten eben als diejenigen, die die Familientraditionen fortführen sollen.

Klar, so Livia Costica, wollten die Väter Söhne. Käme aber ein Mädchen, seien auch diese herzlich willkommen. Mit 18 Jahren heiraten die Mädchen meistens und bekämen dann selbst Kinder.

Die Verschiedenheit der Roma-Gruppen in Europa

Roma-Kulturfestival Familienfest und Demo Nordmarkt
Beim Roma-Kulturfestival können die Migranten stolz ihre Kultur und Traditionen präsentieren.

Im zweiten Teil des Abends ließ sich aus Reaktionen des Publikums – darunter auch einige Lehrerinnen, welche in ihren Klassen Romakinder unterrichten – so etwas wie eine gewisse Enttäuschung heraushören.

Denn die auf dem Podium sitzenden Romni entsprechen eben so gar nicht den üblichen Klischees über Roma. Ismeta Stojković ging freundlich lächelnd auf die Wortmeldungen ein. Reaktionen dieser Natur ist sie gewohnt. Sie erklärt, dass die Community der Roma sehr unterschiedlich ist.

Was allein schon mit dem unterschiedlichen Herkunftsländern und oft auch mit verschiedenen Religionen in Zusammenhang stehe, welche die jeweiligen Roma angehören. In Europa lebten, schätzte die Kölnerin, um die 15 Millionen Roma. Da stoße man schon auf Unterschiede. Manchmal schon in der Aussprache des Romanes.

Auch in Deutschland seien ja die Menschen sehr unterschiedlich. Wenn man nur einmal die Bayern mit den Norddeutschen vergleiche. Da gebe es dann auch zuweilen Animositäten, macht ein Besucher deutlich.

Die Aufnahmegesellschaft hat großen Einfluss auf die zugewanderten Roma

AGNRW - Romni - Rollenbilder von Frauen bei Roma _5033 - NSBDa stimmte ein junger Mann, auch er ist nebenbei bemerkt in der Sozialarbeit tätig, zu:  „Oder es geht eben zu wie zwischen den Fans von BVB und Schalke.“ Diskrepanzen blieben also nicht aus.

Zum anderen, so Stojković weiter, übe auch die Aufnahmegesellschaft auf die zugewanderten Roma ein nicht unerheblichen Einfluss aus und bewirke allmähliche Veränderungen bei ihnen. Bildung mache viel aus und die gesellschaftlichen Verhältnisse in denen man lebe.

Bestimmte Erscheinungen seien so gar nicht roma-spezifisch. Inzwischen ginge auch die Anzahl der Kinder zurück. Im Durchschnitt betrage sie nur noch zwei. Kinder pro Familie.

Begegnungen auf Augenhöhe erfordern Geduld und Zuversicht

Zum ersten Mal erlebten Roma etwa aus Bulgarien oder Rumänien – wo sie meist schweren Diskriminierungen unterliegen – in Deutschland eine für sie ungewohnte Herzlichkeit. Was wiederum positive Effekte nach sich zöge.

Sie selbst erlebe in ihrer Schularbeit in Köln, dass es viel bringe, den Roma auf Augenhöhe zu begegnen. Es brauche aber Geduld und Zuversicht.

Vieles, bestätigte Leon Berisa, laufe über die Kinder. Wenn die Kinder zufrieden und glücklich seien, erzählten sie es den Eltern und die fassten dann auch Vertrauen. Schließlich wollten sie ja auch, dass ihre Sprösslinge weiterkämen.

Bildung als Schlüssel zu Zukunftschancen: „Die Sprache ist der Türöffner“ 

Das Schubladen-Projekt feierte beim Roma-Kulturfestival Djelem Djelem Premiere.
Das Schubladen-Projekt  von Djelem Djelem setzte auf Erfahrungsaustausch.

Ismeta Stojković ergänzte: Rom e.V. begleite die Kinder nun bereits ab der Einschulung. Eltern würden mit wichtigen Formularen an Adresse rund um die Schularbeit versorgt. Das nähmen die Eltern an.

Hausbesuche würden gemacht. Eine Sprechstunde für Eltern findet regelmäßig statt. Auf dem Schulhof steht ein Mediator zur Verfügung.

Helfern wie Ismeta Stojković und Leon Berisa versetzt die Kenntnis der Sprache der Eltern und Kinder in die Lage Vertrauen zu ihnen aufzubauen.

Stojković: „Die Sprache ist der Türöffner.“ Die Eltern merkten, dass sie als Roma respektiert werden. So gelänge es sie zu motivieren. Gefühlvoll müsse da vorgegangen werden und individuell auf die Menschen eingegangen werden.

Diskriminierungserfahrungen und Armut führen zu Wanderbewegungen

Das Konzert animierte die zahlreichen Besucherinnen und Besuchern zum Tanzen.
In Dortmund feiern Roma und Deutsche gemeinsam – zumindest beim Djelem Djelem-Festival.

Das Rollenverständnis gerade der Romni stellte sich bei dieser Podiumsdiskussion als ganz unterschiedlich ausgeprägt heraus. Traditionell müsse davon ausgegangen werden, dass die aus Bulgarien und Rumänien zu uns gekommenen Roma sehr bildungsfern sind.

Während die Roma, die damals beispielsweise als Gastarbeiter in den Raum Düsseldorf-Köln (heute lebten ca. 6000 bis 8000 da) gezogen waren, gut ausgebildet und zum Geld verdienen für die Familie daheim gekommen waren.

Heute ziehe es die Roma wegen der Armut, der nicht selten unerträglichen Diskriminierung in ihren Heimatländern (meist seien sie schon dort  mehrfach und ohne Erfolg umgezogen, um dieser zu entgehen) nach Deutschland.

Wie bei anderen Völkern – ja selbst in Deutschland ist es ja nicht so lange damit her – schreite inzwischen auch bei den Romni die Emanzipierung langsam voran. Die Zahl der Roma-Aktivistinnen steige an. Aber der Fortschritt ist eben auch hier eine Schnecke.

Erfolg der Integration hängt auch von den gemachten Erfahrungen ab

Ein besonders starkes Zeichen: Die Roma-Flagge "weht digital" auf dem U-Turm.
Ein besonders starkes Zeichen: Die Roma-Flagge „weht digital“ auf dem U-Turm.

Wenn Integration  der Roma schlecht oder nicht gelänge, habe das manchmal auch mit schlechten Erfahrungen zu tun, die sie gemacht hätten.

Und da ist es wohl mit den bunten Kleidern ebenso wie mit den in den Köpfen der Romni und ihrer Väter und Ehemänner noch immer tief verwurzelten Traditionen.

Vermutlich habe man Angst, diese aufzugeben, weil befürchtet werde, die eigne Identität zu verlieren. Niemand kann eben so leicht aus der Haut. Mancher nie. Oft ein Teufelskreis, den zu durchbrechen nicht einfach ist.

Ismeta Stojković aber gab sich betreffs des Standes der Weiterentwicklungsphase, gerade der Romni, und der zukünftigen Fortschritte, die die zu uns gekommenen Roma insgesamt hoffnungsvoll.

Die Töchter der Roma, stellte  Livia Costica auf eine absichtlich dahin gelenkte Frage aus dem Publikum, klar, seien in der Regel so selbstbewusst den Mann zu heiraten, den sie auch liebten.

Tabus werden sich noch abschleifen – bald auch Roma-Polizisten?

Roma in der Dortmunder Nordstadt, Mallinckrodtstraße
Das Café Plovdiv – augenfälliges Zeichen der Zuwanderung aus Osteuropa. (Archivbild)

Sie jedenfalls könne ihrer Tochter nicht damit kommen, sie solle den oder den Nachbarn heiraten. Dies geschehe eher noch auf den Dörfern der Roma-Herkunftsländer.

Auch Scheidungen würden eigentlich in der Regel problemlos von den Familien akzeptiert.

Freilich begegneten einem immer auch Romni mit langen Haaren, langen bunten Röcken und Blusen, die eben den gängigen Klischees entsprächen. So wie sie im Magazin zum Romni-Projekt abgebildet sind.

Sei es drum: Wenn jemand damit die Tradition bewahren möchte, warum nicht?  Jeder nach seiner Facon. Apropos Tabus: Die werden sich vielleicht auch noch nach und nach abschleifen. Da war man sich in der Auslandsgesellschaft sicher. Warum sollte nicht irgendwann auch ein Rom oder  eine Romni Polizist bzw. Polizistin werden?

Rat: Niemals soziale Probleme auf eine Minderheit projizieren

Vieles im Leben, machte zum Schluss der Veranstaltung die Moderatorin noch einmal geltend, habe in erster Linie mit der  Sozialisation der Menschen zu tun. Ob sie nun Roma oder anderer Abkunft seien.

Wenn Roma nach Deutschland kämen, dann habe das mehrheitlich nicht damit zu tun, dass „sie unser Sozialsystem berauben wollten“. Es sei vielmehr so, dass allein schon die Möglichkeit, ein bescheidenes Leben hier zu führen für Roma quasi eine Art von Luxus darstellt, den sie in ihrem Heimatland nie erreichen könnten.

Es müsse unbedingt vermieden werden, nahmen die Besucher dieser Veranstaltung mit nachhause, soziale Probleme auf eine Minderheit zu projizieren.

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