Zur Pogromnacht vor 77 Jahren: Ergreifendes Gedenken gegen das Vergessen auf dem Platz der alten Synagoge

Gedenken an die Pogromnacht im Foyer der Oper und auf dem Platz der alten Synagoge. Kranzniederlegung
Gedenken an die Pogromnacht im Foyer der Oper und auf dem Platz der alten Synagoge. Fotos: Klaus Hartmann

Von Mariana Bittermann

Vor 77 Jahren fand vom 9. auf den 10. November 1938 die Pogromnacht stand. Tausende jüdische Synagogen, Geschäfte und Friedhöfe wurden zerstört. Mehrere hundert Menschen wurden ermordet oder in den Selbstmord getrieben. Wie jedes Jahr fand am Jahrestag eine Gedenkveranstaltung im Foyer des Opernhauses statt.

Eindringliche Mahnung: Es ist wichtig, die Vergangenheit nicht zu vergessen

Die alte Dortmund Synagoge: Wilhelm Schmieding sprach bei der Einweihung im Jahr 1900 stolz von einer „Zierde für die Stadt“ und wünschte sie sich „für Jahrhunderte erbaut“.
Die Dortmunder Synagoge aus dem Jahr 1900 wurde bereits vor der Pogromnacht abgerissen.

„Shalom Aleichem“ stand in großen Buchstaben am Opernhaus. Dort, wo früher eine der größten Synagogen Deutschlands stand. Schon vor der Progromnacht 1938 wurde sie zerstört. Der Anblick des „Judentempels“ störte die Gestapo nämlich.

77 Jahre später versammelten sich etwa 70 Menschen trotz schlechtem Wetter auf dem Vorplatz, denn mehrere Kinder- und Jugendclubs aus Dortmundern Theatern haben zum Auftakt der Gedenkveranstaltung ein kleines Programm zusammengestellt.

„Es ist wichtig ein Zeichen für Toleranz zu setzen und zu zeigen, dass man die Vergangenheit nicht vergisst“, erklärt Mattis, der mit anderen FSJK’lern zusammen für die musikalische Begleitung sorgt.  „Die Angst ist ja da, dass irgendwas passiert“, erklärt FSJKler Thiemo.

„Da vorne kommt schon die Polizei, um aufzupassen, und wir dürfen unsere Taschen nirgendwo ablegen. Dass so eine Angst da ist, ist traurig. Desto wichtiger ist es aber, die Vergangenheit nicht zu vergessen, damit sie sich nicht wiederholt. Und das wollen wir wie die meisten von uns doch nicht.“

Gemeinsame Maxime: Keinen Millimeter Raum für Rassismus

Gedenken an die Pogromnacht im Foyer der Oper und auf dem Platz der alten Synagoge. Oberbürgermeister Ullrich Sierau
Oberbürgermeister Ullrich Sierau

Im Anschluss an die Auftaktveranstaltung auf dem Vorplatz ging es weiter in das Foyer des Opernhauses, wo die eigentliche Gedenkveranstaltung stattfand. Eröffnet wurde sie von Oberbürgermeister Ullrich Sierau.

In seiner Rede schwang viel Betroffenheit mit angesichts der großen Zahlen von Menschen, die im Zuge des Pogroms gestorben sind, aber auch angesichts der Tatsache, dass viele Menschen aus der Mitte der Gesellschaft einfach wegsahen oder mitliefen.

Auch auf die Entwicklungen der letzten Monaten bezog sich Sierau: Dass es immer noch Menschen gebe, die die Geschehnisse im Dritten Reich verleugneten und verharmlosten sei „erschreckend genug“. Man dürfe jetzt den Menschen, die die steigende Zahl an Flüchtlingen als Grund sehen, Rassismus zu verbreiten, „keinen Millimeter Raum lassen“.

„Zweitzeugenprojekt“ versucht, die Geschichten der Überlebenden weiterzutragen

Es wurde jedoch auch auf viele Projekte hingewiesen, die gegen das Vergessen arbeiten, wie zum Beispiel der Heimatsucher e.V.: Mit ihrem „Zweitzeugenprojekt“ werden die Geschichten von Schoah-Überlebenden an Schüler weitergetragen.

Zwei junge Frauen, die sich in diesem Projekt engagieren, stellten ihre Arbeit vor. Beide kamen aus Krefeld angereist, wo sie am Morgen Schulklassen die Geschichte von Rolf Abrahamson erzählt hatten.

Geschichte von Holocaust-Überlebenden beeindruckt Schülerinnen und Schüler

Gedenken an die Pogromnacht im Foyer der Oper und auf dem Platz der alten Synagoge. Heimatsucher e. V. Sarah Hüttenberend, links
Heimatsucherinnen: Sarah Hüttenberend, links, und Vanessa Eisenhardt

Rolf war während des Pogroms 13 Jahre alt. Das Haus der Familie wurde in dieser Nacht angezündet und der Vater halb tot geprügelt. Dieser schafft es später noch, mit dem großen Bruder in die USA zu fliehen. Rolf und seine Mutter aber wurden nach Riga in ein Ghetto deportiert.

Ab 1944 war Rolf dann ganz alleine. Seine Mutter wurde nämlich erschossen, weil sie nicht mehr arbeiten konnte. Bis zur Befreiung ist Rolf in insgesamt fünf Konzentrationslagern gewesen. Noch heute habe er schwer mit der Vergangenheit zu kämpfen.

Allerdings sei er auch ein Mensch, der es liebt, Witze zu erzählen. Das fänden viele Schüler besonders beeindruckend, nach all dem, was er durchgemacht hat. Am Ende des Workshops bekommen die Kinder die Möglichkeit, Rolf einen Brief zu schreiben.

„Ihre Geschichten werden uns nie verlassen“, schreibt ein Schüler, „auch wenn sie und die anderen uns eines Tages verlassen müssen, ihre Geschichten werden bleiben.“

Trotz Sorge vor Antisemitismus muss Flüchtlingen geholfen werden

Gedenken an die Pogromnacht im Foyer der Oper und auf dem Platz der alten Synagoge. Hanna Sperling, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Westfalen-Lippe
Hanna Sperling, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Westfalen-Lippe

Auch Hanna Sperling, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde Westfalen-Lippe hält an diesem Abend eine Rede. Sie erzählt auch davon, dass in jüdischen Gemeinden die Verunsicherungen wachsen, da viele der Flüchtlinge aus Kulturen stammen, in denen man schon von klein auf mit antisemitischer Propaganda indoktriniert wird.

„Und trotz unserer Sorgen vergessen wir eines niemals – diese Menschen sind Flüchtlinge. Wir sehen, dass viele nichts bei sich haben und um ihr nacktes Überleben kämpfen. Auch viele traumatisierte Kinder sind dabei.“

Sie appellierte daran, Integration zu fördern und gegen Rechts einzustehen. „Gelingt uns das, haben wir die richtigen Lehre aus der Geschichte gezogen.“

Kranzniederlegung für die Opfer des Holocausts

Gedenken an die Pogromnacht im Foyer der Oper und auf dem Platz der alten Synagoge. Rabbiner Avichai Apel singt das Gebet
Rabbiner Avichai Apel

Zum Abschluss trug Rabbiner Achivai Apel ein Gebet vor, bevor es nach draußen zur Kranzniederlegung auf den Platz der alten Synagoge ging.

Dieser Kranz sollte an die zahlreichen Opfer gedenken, aber mehr noch als in den Jahren davor eine Mahnung sein, dass diese finstere Kapitel deutscher Geschichte sich nicht wiederholen darf und das uns als Gesellschaft hier noch viele Aufgaben bevorstehen.

Die zentrale Gedenkveranstaltung in der Dortmunder City war nur eine von vielen Gedenkveranstaltungen, die am Wochenende bzw. am Jahrestag selbst stattfanden.

Neonazi-Provokationen in Dorstfeld

In mehreren Stadtbezirken gab es eigene Gedenkveranstaltungen, in die teilweise auch die Reinigungsaktionen der Stolpersteine eingebunden waren. Hier waren es vor allem Jugendliche, die sich im Sinne einer gelebten Erinnerungskultur engagierten.

Auch in Dorstfeld gab es wieder eine Veranstaltung. Wie in den Vorjahren auch, versuchten die Neonazis, diese zu stören, was ihnen allerdings nicht gelang. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ließen sich nicht einschüchtern, die Polizei schritt gegen die Störer ein.

Zuvor waren bereits einige Stolpersteine von Unbekannten beschmiert worden.

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