Zur merkwürdigen Dialektik des Recyclings: Ein kleines Plädoyer für eine konzertierte Rettung unserer Barbie-Puppen

Jürgen Bertling (Fraunhofer Institut Umsicht und Leiter des Festival "Innovative Citizen"), Daniela Berglehn (innogy Stiftung) und der Künstler Sam Hopkins (im Vordergrund) vor einer Video-Präsentation in der Ausstellung
Jürgen Bertling (Fraunhofer Institut Umsicht und Festivalleiter), Daniela Berglehn (innogy Stiftung) und der Künstler Sam Hopkins (von links) vor einer Video-Präsentation in der Ausstellung. Fotos: Thomas Engel

Von Thomas Engel

Recycling ist heutzutage ja in aller Munde. Und wie immer bei solchen modischen Massenphänomenen, segelt die Phrasendrescherei in ihrem Windschatten. Ein Ausgestoßener ist, wer nicht aus Müll unbesehen wieder etwas Wertvolles machen möchte. Was aber, wenn ich meine Wasserpistole oder Legoklötzchen von früher behalten will, statt sie gehorsamst dem Moloch des totalen Verwertungszwangs zu überantworten? Geht gar nicht? Doch geht! Zu sehen nun am Dortmunder U.

Innovation, Ökologie und ein paar kritische Gedanken dazu gibt‘s als Gesamtpaket

Sam Hopkins vor seiner Installation am Dortmunder U
Sam Hopkins vor seiner Installation am U.

Ein alter Schiffscontainer: Am Eingang das Embleme der Recycling-Logik in weiß auf schwarzem Tuch, dahinter verschiedene Aufbauten unter Verwendung von Plastikgegenständen, meist museal geschützt in Vitrinen. Ein Video zeigt eine Frau, die, umgeben von natürlichem Wildwuchs in grün, irgendeinem Teil aus Plastik ihre Ehrerbietung erweist. Und an einer Wand droht eine visuelle Anordnung mit dem vielsagenden Titel, es handele sich hierbei um eine „Dokumentation von Razzien“.

Die Wanderausstellung des Konzeptkünstlers aus Nairobi, Sam Hopkins, ist vor dem Dortmunder U gelandet. Bis zum 3. Dezember wird sie dort während der Öffnungszeiten des U‘s zu sehen sein. Vom 30. November bis zum 3. Dezember findet parallel dazu im U das Festival „Innovative Citizen“ unter Leitung von Jürgen Bertling (Fraunhofer Institut Umsicht) statt. Ein Kernthema dort wird sein: „Circular City“/„Upcycling“. Will heißen: Wie aus Müll wieder etwas Nützliches hergestellt werden kann. Passt also.

Nur zur Hälfte allerdings, wenn man mal genauer auf die Installation von Hopkins schaut. Die andere Hälfte ist so etwas wie die Vorahnung von „Brave new World“, schönes Gruselland oder Dystopie pur. Wenn Utopie nach seinem griechischen Ursprung der Ort ist, an dem noch niemand war, dann beschreibt die Dystopie den Ort, zu dem garantiert niemand hin will. – Aber wie das? Wo doch jeder Gutmensch, der was auf sich hält, heutzutage Recycle-Fan ist.

Was an der Installation vom bösen Geist, der da verneint, gedacht werden könnte

Bebilderte Dokumentation erfolgreicher Razzien nach Plastik
Bebilderte Dokumentation erfolgreicher Razzien nach Plastik.

Wollte man das Widerborstige der Ausstellung einfangen, wäre der berühmte Satz von Mephistopheles zu Faust (ein Teil zu sein von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft) lediglich umzudrehen: Die Recycler, Upgrader, Nachhaltigkeitsapostel etc. wollen zwar alle das Gute, aber am Ende könnte leider das nackte Grauen stehen.

Der Künstler deutet dies zart an, wenn er auf Nachfrage von Plastik (dem Stoff, dem Material, dem Zivilisationsklotz, dem Tod der Fische?) als einem „diffusen Konzept“ spricht, zu dem es die verschiedensten Zugangsweisen gäbe. Insofern mutet die Unendlich-Acht als Recycling-Logo vor dem Container schon wie Satire an: Alles ist Teil einer riesigen und gnadenlosen Maschinerie, des Hightech-Recyclingkreislaufes.

Da bleibt kein Platz mehr für individuelle Zugangsweisen: Wenn ich meine schöne alte Legokiste schon vor dem Zugriff der Recycling-Bullen im Keller verstecken muss, geht gar nichts mehr. Und je schneller und perfektionierter die Umwälzungsrhythmen des Recycling-Systems sind, desto weniger existiert im Originalzustand von dem, was seinen Input darstellt: der Müll, hier der Plastik.

„Plastik ist das Gold der Zukunft“ – dort, wo der totale Verwertungskreislauf wütet

Gold wurde wertvoll, weil es in der Natur rar war, ihr aber mit Mühen abgerungen werden konnte. Ihm folgt das Plastik auf dem Fuße, weil es der Verschlingungs- und Recyclinglogik der Öko-Freunde eigentlich nicht entrinnen kann.

Es wird ebenfalls zur Rarität und scheint einem als außergewöhnliches Fundstück im wiederhergestellten Ur-Biotop wie Gold entgegen. Dort, wo es keinen Abfall mehr geben darf, um die Natur vor der Zivilisation zu bewahren, wird das letzte Stückchen Plastik als Zeichen eben dieser Zivilisation zum begehrten Kleinod.

Deswegen stellt sich in der nun eröffneten Ausstellung von Hopkins („Who owns plastic?“) alles wie in einem futuresken Super-Ministerium auf: Über Prunkstücke aus Plastik, als wäre es das Blattgold aus irgendeinem Zarenpalast, bis zu den bebilderten Erfolgsgeschichten an der Wand über die Durchführung erfolgreicher Razzien zur Sicherung des allseits begehrten Edelmaterials, das niemand mehr besitzen darf.

Doch: Es sind die Mächtigen, die das Plastik besitzen und sich damit eindekorieren, als wären es Rembrandts. „It is totally controlled and limited“, erklärt Sam Hopkins knapp. Das ist das Eine. Die Verteilungs- und Gerechtigkeitsfrage.

Immer fröhlich weiter konsumieren, denn wir hinterlassen keine Spuren mehr

Die andere Spitze der Ausstellung lautet, frei übersetzt: In einem perfektionierten Recycling-System gäbe es ebenso wenig Motivationen, den Konsum runterzufahren, wie man auf die Idee käme, einen Dukatenesel auf Diät zu setzen.

Denn am Ende erscheint, wenn nicht Gold, mindestens etwas Trivial-Nützliches wie die Plastiktüte im Supermarkt an der Kasse. Von meinen geliebten Lego-Klötzen keine Spur mehr. Nicht einmal Asche bleibt übrig. So einfach ist das. Deutschland war schon immer gründlich, aber es gibt noch Steigerungen.

Wo ich nichts Böses mehr tun kann, weil alle Spuren meines Tuns sofort recycelt werden, wird das Ganze zum Bösen. Blinder, ausufernder Konsum, gesteuert von Profitinteressen, wird chic und alle sind die Guten, weil niemand mehr eine andere Wahl hat. Huxley’s „Brave new World“ lässt grüßen. – Wie sehr habe ich doch meine alte Wasserpistole geliebt!

Individuelles „Upgrading“ vs. Nivellierung durch den Recyclingzwang

„Recycling may be used or abused.“ – Es wird spannend. Auch der Künstler, der hier vorsichtig spricht, dürfte die vielen Ideen, aus Müll was für alle Menschen Wertvolles zu machen oder „wirklich“ nachhaltig zu wirtschaften, statt lediglich Politikphrasen über das Thema zu strapazieren, kaum unisono ablehnen.

Im Gegenteil. Seine Ideen sind aber insofern außergewöhnlich, als es ihm sehr pointiert um die Erhaltung von Möglichkeiten eines kreativ-innovativen Umgangs mit unserem Plastikabfall geht. Um die Bewahrung subjektiver Näherungsoptionen gegenüber der Gefahr von Nivellierung durch allgegenwärtige Recyclingzwänge.

Der „Perspektivwechsel“, wie es in so mancher Kurz-Rezension über ihn zu lesen ist, vollzieht sich demnach nicht so sehr in Richtung des mondänen klimaschutzpolitischen Patriarchalismus, der alles und jeden recyceln will, sondern blickt mit einfachen Mitteln auf die Geister, die wir mit ihm riefen. Dennoch bleibt es diskret, wie in der Kunst seit langem üblich. Jedenfalls wird niemand einen Jesus mit herausgestreckter Zunge am Kreuz oder ähnliches erleiden müssen.

Die Welt retten und gerne noch ein paar Räume für individuelle Kreationen dazu

Und dort, wo alles politisch korrekt verläuft, gibt es auch für den kritischen Künstler selbstverständlich kein Entkommen mehr. Sonst wäre Hopkins „Ministry of Plastic“ sicherlich nicht zum Kulturprogramm der Weltklimakonferenz COP23 in Bonn geladen worden und hätte vom 6. bis 17. November vor dem Bonner Kunstmuseum gestanden.

Aus Müll wieder etwas Wertvolles zu machen, ist gut, manchmal leider auch zu gut. Individuell gefertigte Kunstwerke, Schmuckstücke, Alltagsnützliches. ohne dass überhaupt etwas verbrannt werden muss: dies sind – mit Verlaub – in der Regel Nischen alternativer Überlebenskünstler mit entsprechender Klientel. Das Imperium ist die Recycling-Industrie. Und das sind nicht nur die bösen Kapitalisten, sondern das ist die geballte Macht des Staates mit UN-Klimakonferenzen und Ziel-Vereinbarungen im Schlepptau.

Denn wer wollte deren Vernunft schon hinterfragen, wenn die Welt vor dem Absaufen gerettet werden muss. Ist ja ein edles Vorhaben. Und trotzdem möchten wir unsere Barbie-Puppen behalten dürfen!

Die Container-Installation auf dem Vorplatz des Dortmunder U (Leonie-Reygers-Terrasse) wurde durch die Unterstützung der innogy Stiftung für Energie und Gesellschaft ermöglicht.

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Reaktionen

  1. Dortmunder U

    „Ministry of Plastic“ wird verlängert: Installation noch bis 16. Dezember am U

    Das „Ministry of Plastic“, eine Installation des Künstlers Sam Hopkins, steht noch eine Weile länger am Dortmunder U: Die Ausstellung auf dem Vorplatz konnte dank der Unterstützung durch die innogy Stiftung um gut zwei Wochen verlängert werden und ist nun zu den Öffnungszeiten des Dortmunder U noch bis zum 16. Dezember zu sehen (Ausnahme: 14. Dezember). Der Eintritt ist frei.

    Die Installation besteht aus einem Schiffscontainer, den Hopkins in eine Außenstelle dieses imaginierten Ministeriums aus der Zukunft verwandelt hat. Der in Kenia und England aufgewachsene Künstler widmet sich in seiner Arbeit der Problematik des Plastikmülls. Dabei verändert er die Perspektive: Der heute omnipräsente Kunststoff ist in der von ihm präsentierten Vision ein rares und begehrtes Gut – quasi das Gold der Zukunft. Die Installation präsentiert die Recycling-Philosophie einer zukünftigen Gesellschaft und stellt Plastikobjekte aus, die zu seltenen Fundstücken stilisiert werden: Aus Müll wird Wertstoff und Wertschätzung.

    Sam Hopkins (Jahrgang 1979) ist ein Künstler und Kurator aus Nairobi (Kenia). In diesem Jahr ist er VISIT-Stipendiat der innogy Stiftung, die künstlerische Projekte mit Bezug zum Themenfeld Energie fördert.

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