Zu wenig Ausbildungsplätze, zu viele BewerberInnen in Dortmund – Umdenken bei Firmen und Jugendlichen gefordert

Der Übergang von Schule in Ausbildung stellt eine große Herausforderung dar. Foto: Arbeitsagentur
Der Übergang von Schule in Ausbildung stellt eine große Herausforderung dar. Foto: Arbeitsagentur

Von Thomas Engel

Schieflage auf dem Dortmunder Ausbildungsmarkt: Zu wenig Ausbildungsplätze, zu viele BewerberInnen – auf diese kurze Formel lässt sich die Jahresbilanz zum Ausbildungsjahr bringen. Es stimme etwas nicht mit den Chancen für junge Menschen, eine Ausbildungsstelle zu finden, die ihnen eine Perspektive biete, kritisiert der DGB.

Das Problem: Die Ausbildung von Fachkräften im bewährten dualen Systen

Das Verhältnis zwischen der Zahl von BewerberInnen und den ihnen zur Verfügung stehenden Ausbildungsplätzen ist deutlich ungünstiger geworden. Heißt: Immer weniger Jugendliche können überhaupt einen Ausbildungsplatz finden. Sozialer Sprengstoff nicht ausgeschlossen.

Dagegen sehen die Agentur für Arbeit, die Industrie und Handelskammer (IHK) sowie die Handwerkskammer Dortmund (HWK) die vorgelegten Zahlen in einem etwas anderen Licht. Versuche allenthalben, positive Entwicklungen zu entdecken. Schwarzmalerei gilt nicht. Aber auch hier kann letztlich wenig schöngeredet werden.

Zunächst die wohl unbestrittenen Fakten zum Thema: Im Verhältnis zu 2015/16 stieg die Zahl der BewerberInnen für einen Ausbildungsplatz 2016/17 (bis zum jeweiligen Ende des Berichtsjahres Ende September) von 4.658 auf 4.871 (= +4,6 Prozent). Diesem Mehr an jungen Menschen, die eine Ausbildungsstelle suchten, steht eine Verringerung der für 2017 gemeldeten Ausbildungsplätze von 3.603 auf nur noch 3.365 (= -6,6 Prozent) gegenüber.

Viele junge Leute drehen Schleifen auf den Berufskollegs, um am Ausbildungsplatzziel festzuhalten

Jutta Reiter ist die Vorsitzende des DGB Dortmund.
Jutta Reiter, Vorsitzende des DGB Dortmund

Nicht schön. Könnte besser sein, muss besser werden. Denn: Mehr BewerberInnen ringen in Dortmund folglich um weniger Plätze für eine Berufsausbildung: Auf eine(n) BewerberIn entfallen statistisch 0,69 Stellen – der schlechteste Wert in den vergangenen (mindestens) zehn Jahren. Nach den bis dorthin zurückreichenden Zahlen, die von der Agentur für Arbeit zur Verfügung gestellt wurden.

Für Jutta Reiter, Vorsitzende des DGB Dortmund, ist dies schlicht „skandalös“. Zumal viele der BewerberInnen von Berufskollegs kämen und „bereits schon eine Runde“ im Ausbildungszirkel gedreht hätten, also an ihrem Ausbildungsziel festhielten. Sie meinen es also ernst, haben aber, statistisch gesehen, nicht die allerbesten Chancen.

Mit 0,69 Stellen auf eine(n) BewerberIn steht Dortmund im Verhältnis zu Nordrhein-Westfalen (= 0,81) eher ziemlich schlecht, im Vergleich zum restlichen Ruhrgebiet (= 0,67) nur leicht besser da. Wenig tröstlich.

Andere Zahlen aus anderen Zusammenhängen, andere Perspektiven

Martina Würker, Chefin der Agentur für Arbeit in Dortmund.
Martina Würker, Chefin der Agentur für Arbeit in Dortmund.

Martina Würker, Vorsitzende der Geschäftsführung der Arbeitsagentur, weist beim gemeinsamen Pressegespräch mit IHK und HWK hingegen darauf hin, dass es seitens der Arbeitgeber die Tendenz gäbe, weniger Ausbildungsstellen zu melden. Zudem seien gegenüber dem Vorjahr weniger BewerberInnen „unversorgt“ (118 statt 148) und mehr Stellen unbesetzt geblieben (85 statt 48).

Allerdings ist zu beachten, dass den 85 unbesetzten Stellen in Dortmund offiziell 1506 Ausbildungssuchende ohne Lehrstelle gegenüberstehen, die aber als solche nicht unbedingt erfasst werden. So gibt es 2016/17 2293 sog. „AltbewerberInnen“, also offenbar Jugendliche, die sich nicht zum ersten mal um einen Ausbildungsplatz bemüht haben. Wer davon nun einen gefunden hat, bleibt unklar. Allzu viele können es nach den nun veröffentlichten Zahlen jedenfalls nicht gewesen sein.

Ebenfalls weichen nach den von der Arbeitsagentur vorgelegten Zahlen weniger junge Menschen auf eine Alternative aus (573 statt 597 im Vorjahreszeitraum). Dies bedeutet: Weil ohne Ausbildungsplatz entscheiden sie sich für einen Freiwilligendienst oder den Berufseintritt als unqualifizierte Arbeitskräfte. Auch nicht gerade der Königsweg – aus der Not eine Tugend zu machen. Ob es nun 24 junge Frauen und Männer mehr oder weniger sind.

Zukünftiger Fachkräftemangel: Unternehmen müssen strategisch denken

Einig waren sich die Fachleute: Es muss mehr in Ausbildung investiert werden – und dies vor allem mit Blick auf Nachhaltigkeit. Faktisch nämlich gehen immer mehr Ausbildungsplätze verloren. Hans-Jürgen Meier von der IG Metall Dortmund bestätigt dies. Ein Problem sei, dass die Kosten für eine Ausbildung im Shareholder Value eben nicht vorgesehen sind.

Es klang hindurch: Kurzfristiger Gewinn, gerne – Nonchalance gegenüber langfristigen Investitionen. Es ginge aber um ein strategisches Engagement, um Fachkräfte auf hohem Niveau nach dem einmaligen deutschen dualen Ausbildungssystem zu sichern. Alternativen nicht in Sicht.

Insbesondere sei der schleichende Abbau von Ausbildungsplätzen ein Problem, die Schließung von Ausbildungsstätten. Und: Wo es starke Gewerkschaften gäbe, könnten Übernahmeverpflichtungen oder angemessene Ausbildungsvergütungen tarifvertraglich gesichert werden. Anders sähe dies aber in kleineren Betrieben aus, beispielsweise im Handwerk, wo im vierten Ausbildungsjahr häufig bis zu 300€ weniger als in der Industrie gezahlt würden. Dem sei Rechnung zu tragen.

Investitionen in die Ausbildung sind Investitionen in die Zukunft

Es müsse eine vorausschauende Personalpolitik geben, so Dirk Vohwinkel, Leiter der Ausbildungsberatung der IHK Dortmund. Gerade vor dem Hintergrund, dass im Raum Dortmund im nächsten Jahrzehnt über 40.000 Fachkräfte wegen Eintritts in den Ruhestand fehlen werden. Also woher nehmen, wenn nicht stehlen?

Martina Würker, Arbeitsagenturchefin in Dortmund, pflichtet bei: „Rund 41.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte werden in den kommenden zehn Jahren in der Stadt Dortmund in den Ruhestand treten. Gleichzeitig werden weniger Jugendliche für eine betriebliche Ausbildung zur Verfügung stehen.“

Und schlussfolgert: „Ausbildung wird deshalb immer wichtiger, um den eigenen Betrieb zukunftssicher aufzustellen. Jede besetzte Ausbildungsstelle ist eine Investition in die Zukunft des Unternehmens. Fehlen uns heute Auszubildende, fehlen uns morgen qualifizierte Fachkräfte. Ausbildung ist und bleibt der Schlüssel zum Erfolg, auf beiden Seiten.“

Passungs- und andere Probleme. Es geht um Variabilität auf beiden Seiten

Offene Lehrstellen, viele BewerberInnen: „Wir raten den Bewerbern aber auch mal über den Tellerrand hinauszusehen und sich für Berufe rechts und links ihres Wunschberufes zu interessieren“, erläutert Dirk Vohwinkel. „Den Betrieben empfehlen wir, auch einen zweiten Blick auf die Bewerber zu wagen, selbst wenn die eingereichten Bewerbungsunterlagen nicht optimal erscheinen. Die Schulzeugnisse sollten nur ein Puzzleteil bei der Auswahl des geeigneten Auszubildenden sein.“

Gefordert wird also seitens der Arbeitsmarktakteure auch ein Umdenken der Betriebe. Weg von eher abstrakten, im Sinne von berufspraktisch möglicherweise irrelevanten Schulnoten – hin auf solche Fähigkeiten, die für die zukünftige Tätigkeit wirklich wichtig sind: Wer in seinem zukünftigen Beruf kommunizieren können muss, braucht nicht so sehr eine Note „gut“ in Mathematik, sondern: die Kunden müssen ihm gerne zuhören.

„Die Entwicklung des Ausbildungsmarktes im Handwerk ist ausgeglichen. Bis zum Jahresende rechnen wir mit einem moderaten Plus“, sagt HWK-Geschäftsführerin Olesja Mouelhi-Ort. Erfreulicherweise gäbe es bei den neu abgeschlossenen betrieblichen Lehrverträgen schon jetzt einen Zuwachs um knapp drei Prozent zu verzeichnen. „Die Betriebe in unserem Kammerbezirk bilden wieder mehr aus. Das ist die richtige Antwort auf die Fachkräfteproblematik, denn wer heute selbst ausbildet, hat morgen qualifizierte Mitarbeiter.“

Nur für Dortmund sähe es im Moment nicht ganz so gut aus; im Vergleich zum Vorjahr seien bislang lediglich 655 neue Lehrverträge abgeschlossen worden (-29 / -4,2 Prozent). „Da hätten wir uns zum jetzigen Zeitpunkt schon ein besseres Ergebnis gewünscht, doch bis Dezember ist ja noch Einiges möglich.“

Arbeitslosenquote im Allgemeinen, Jugendarbeitslosigkeit im Besonderen: leichte Entspannung

Die Arbeitslosenquote im Oktober 2017 in Dortmund im Vorjahresvergleich. Grafik: AfADO
Die Arbeitslosenquote im Oktober 2017 in Dortmund im Vorjahresvergleich. Grafik: AfADO

Es gab auch ein paar gute Nachrichten: Die Arbeitslosenquote in Dortmund liegt augenblicklich bei, besser: sinkt auf 10,8 Prozent. Mit 33.385 Arbeitssuchenden die niedrigste seit 30 Jahren. Und dies sei nicht nur saisonalen Effekten geschuldet oder durch Verschiebung in Qualifizierungsmaßnahmen, so Martina Würker.

Auch die Entwicklung bei der Jugendarbeitslosigkeit könne sich sehen lassen: 9,2 Prozent oder 2929 Jugendliche seien in Dortmund ohne Arbeit. Auch die Unterbeschäftigung sei mit -0,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr rückläufig.

Zu einem Problem könne es werden, wenn Flüchtlinge aus den Sprach- und Integrationskursen auf den Arbeitsmarkt drängten. Zwar hätte dies bislang noch kompensiert werden können, aber dies beträfe die in Deutschland Angekommenen aus dem Jahre 2015. Das Ende der Fahnenstange, 2016 etc, ist also noch nicht erreicht.

Es geht auch um Bundespolitik: Was dürfen wir hoffen?

Diesbezüglich nicht viel, so die Gewerkschaftler. Ob mit oder ohne Regierungsbeteiligung der Sozialdemokratie: eine Berufsausbildungsumlage zur Finanzierung der Gesamt-Ausbildungskosten stünde in weiter Ferne. Nur so aber könnte das duale Ausbildungssystem langfristig stabilisiert und ein drohender Fachkräftemangel abgewendet werden.

Denn, und dies sei eine gewaltige Herausforderung, nicht nur für die Gesellschaft, sondern vor allem für die Akteure an vorderster Linie: Wofür bilden wir eigentlich noch aus? D.h.: Wofür investieren wir?

Wer möchte es heute noch wagen, vorherzusagen, wie zukünftige Arbeitsplätze, sollte es sie mit Menschen überhaupt noch geben, konkret aussehen werden? Welche Qualifikationen müssen Arbeitnehmer dann mitbringen? Stichwort: Verzahnung der industriellen Produktion mit moderner Informations- und Kommunikationstechnik. Industrie 4.0. Allein, den Kopf in den Sand zu stecken, nützt nichts. Es kann sonst nur schlimmer werden.

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Reaktionen

  1. Anonymous

    Alles Lüge in der Top 10 wo angeblich alle ihren Traumberuf sehen und alle eine Ausbildung machen möchte will mich das JobCenter seit jahren hinein zwingen. Obwohl ich was völlig anderes zukunftssicheres machen möchte (MINT Bereich wegen der Digitalisierung und da es mich seit eh und je interessiert).

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