Sonderausstellung „Schichtwechsel“ im Fußballmuseum: Vielschichtige Symbiose von Bergbau und Revier-Vereinen

„Wo immer ein leidenschaftlicher, überzeugter Fußballtrainer die Tür aufmacht werden Kinder davor stehen, egal welcher Herkunft, Ethnie und Religion.“ DFB-Präsident Reinhard Grindel

Das Deutsche Fußballmuseum beleuchtet bis Ende Dezember die vielschichtige Symbiose der Bergwerke mit den Revier-Vereinen mit einer Sonderausstellung. Unter dem Motto „Schichtwechsel – FußballLebenRuhrgebiet“ begeben bzw. – um im Bild zu bleiben – graben sich die BesucherInnen zunächst durch elf Stationen der Dauerausstellung. Die markanten Spuren des Fußballs unter Fördertürmen münden im Sonderausstellungsbereich in einer Begegnung mit der Zukunft. Zur Eröffnung kamen viele Prominente.

Von Roland Klecker (Text und Fotos)

Es gebe eine große Diskrepanz zwischen den Top-Vereinen in der Bundesliga und den kleineren, bis hinunter auf Vorort-Ebene, da sind sich die Ehrengäste einig. Zur Eröffnung der Sonderausstellung „Schichtwechsel“ im DFB-Fußballmuseum waren einige illustre Persönlichkeiten geladen um über eine möglichst nachhaltige Entwicklung des Fußballs in Deutschland zu diskutieren.

OB Sierau: „Die Region hat dem Fußball viel zu verdanken“

OB Ullrich Sierau
OB Ullrich Sierau

Die Grußworte von Oberbürgermeister Ullrich Sierau und Christoph Dammermann, Staatssekretär des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes NRW, hoben die besondere Bedeutung für den Fußball im Bereich der Integration und Identifikation hervor.

„Die Region hat dem Fußball viel zu verdanken. Insbesondere unter dem Aspekt der Integration. Nicht nur in der Blütezeit der Steinkohlenförderung – auch heute sorgt er dafür, dass viele Menschen unterschiedlicher Herkunft außerhalb der Arbeit zusammengeführt werden“, sagte der OB.

Danach kamen in der ersten Gesprächsrunde einige Helden von einst zu Wort. Über ihre Erlebnisse in der Vergangenheit und ihre Einschätzung der Gegenwart und Zukunft des Fußballs sprachen Bernhard Dietz, Willi „Ente“ Lippens und Olaf Thon in lockerer Runde mit Manuel Neukirchner vom DFB-Museum.

Kameradschaft im Team: „Diese Zeit möchte ich für kein Geld der Welt missen.“

„Wenn ich an das Kameradschaftliche und Gemeinschaftliche aus meinen Anfängen als Fußballer denke, als viele Spieler auf der Schicht Kumpels und am Wochenende in den kleinen Vereinen der Region Gegner waren, dann empfinde ich auch Stolz, das so miterlebt zu haben. Diese Zeit möchte ich für kein Geld der Welt missen.“ erklärt Bernard Dietz, Urgestein des MSV Duisburg und Kapitän der Europameister-Mannschaft von 1980.

Olaf Thon, Idol von Schalke 04 und Weltmeister von 1990: „Mein Opa hat 40 Jahre auf der Zeche Nordstern in Horst (Gelsenkirchen) gearbeitet und war genauso ein Vorbild für mich wie später Bernard Dietz, der mich als erfahrener Spieler zu Beginn meiner Karriere auf Schalke geformt hat. Dafür bin ich auch heute noch dankbar.“

Unterhaltsame Erinnerungen von Willi „Ente“ Lippens im Fußballmuseum

Willi „Ente“ Lippens
Willi „Ente“ Lippens

Willi „Ente“ Lippens, bis heute Rekordtorschütze von Rot-Weiss Essen und einer der unterhaltsamsten Spieler seiner Zeit, hatte wie so oft den größten Redeanteil: „Am Anfang verdiente ich 80 Mark im Monat und wohnte in einer kleinen Bude unterm Dach des Stadions an der Hafenstraße. Dafür msuste ich schon 30 Mark bezahlen, so dass Mitte des Monats die Kohle knapp wurde. Die Frau des Platzwarts hat mich dann immer runter geholt und durchgefüttert, so dass ich gut über die Runden kam“, berichtet Lippens.

„Das war schon was besonderes: Raus aus der Wohnungstür, ein paar Stufen runter und dann stand ich ganz allein mitten im Stadion. Da hab ich mir dann immer vorgestellt dass es voll sei und mir alle zujubeln würden. Das war verrückt, hat mich aber wahnsinnig motiviert. Tore wollte ich schießen, aber den Leuten im Stadion immer auch noch etwas mehr bieten und habe deshalb den einen oder anderen Spaß gemacht“, so die Essener Legende.

Zu seinen fast schon legendären Begegnungen mit dem „Terrier“ Berti Vogts: „Ich hab immer gerufen ,Berti, fass!‘ Der hatte ja so kurze Beine, da brauchte ich nur mein verlängertes Rückgrat raus zu strecken, da kam er ja nicht rum“, so Lippens.

Einmal habe er den Ball im Spiel einfach liegen gelassen und sei weiter gelaufen, und der Berti hinterher. Dann sei er zurückgelaufen zum Ball und Vogts wusste gar nicht wie ihm geschah. Das waren Aktionen auf dem Platz, die man in der heutigen so hoch professionalisierten Bundesliga einfach nicht mehr gebe.

„Wir müssen die Zeiten der Montanindustrie hinter uns lassen und uns in vielen Bereichen neu aufstellen“

In der zweiten Gesprächsrunde, der folgenden Podiumsdiskussion griff Clemens Tönnies, Aufsichtsratsvorsitzender von Schalke 04, diesen Unterschied auf: „Heute wird sehr effektiv und sehr ernst gespielt. Die Spieler sind hochkonzentriert, müssen perfekt funktionieren, top trainiert sein und dazu auch noch talentiert. Das findet man nicht mal eben vor der Tür.“

„Wir können uns der Globalisierung auch im Fußball nicht verschließen. Mehr als auf die regionale Herkunft und Identität kommt es auf Einstellung und Charakter an. Und da werden es in unserer Region auch in Zukunft Spieler bei den Fans immer einfacher haben, denen das Wort ‚malochen‘ nicht fremd ist, egal woher sie stammen“, betont Clemens Tönnies.

„Ich wünsche mir für die Struktur dass dieses Ruhrgebiet erfolgreich bleibt und in den Bereichen wo es nötig ist der Fußball gefördert wird. Wir müssen nach vorne blicken, die Zeiten der Montanindustrie hinter uns lassen und uns in vielen Bereichen neu aufstellen“, so der Schalker.

„Das ehrenamtliche Engagement in unseren Vereinen ist durch nichts zu ersetzen“

DFB-Präsident Reinhard Grindel (li.).
DFB-Präsident Reinhard Grindel (li.).

DFB-Präsident Reinhard Grindel: „Das ehrenamtliche Engagement in unseren Vereinen ist durch nichts zu ersetzen. Überall dort, wo es Menschen als Bereicherung für sich selbst empfinden, die Werte des Fußballs wie Kameradschaft, Teamfähigkeit, Vertrauen und Verlässlichkeit zu vermitteln, wird der Zulauf der Kinder und Jugendlichen fortbestehen. Das ist die unverzichtbare Basis für die Zukunft unseres Fußballs.“

Weiter rief er das große Engagement der vielen tausend Ehrenamtlichen und Helfer in Erinnerung, über Vereinsmütter die Trikots waschen und die Würstchenstände betreiben bis hin zu den sportlichen Bereichen. Das sei aktive Integrationsarbeit und ein Grundstein dafür dass es keine Nachwuchssorgen: „Wo immer ein leidenschaftlicher, überzeugter Fußballtrainer die Tür aufmacht werden Kinder davor stehen, egal welcher Herkunft, Ethnie und Religion“, so Grindel.

Dem stimmte auch Gundolf Walaschewski zu. Der Präsident des Westfälischen Fußball- und Leichtathletikverbands plädierte dafür besonders die kleinen Vereine zu stärken, die Strukturen an der Basis zu unterstützen. Dies hätten schließlich die Erzählungen der Fußball-Idole gezeigt.

„Die Top-Vereine können ihre Spieler von überall her einkaufen. Die haben auch das Geld für eine gute Jugendarbeit. Aber die meisten Spieler kommen doch immer noch in erster Linie vom Bolzplatz, von den Vorort-Vereinen. Da wo alle mit Herzblut und Leidenschaft spielen, wo es den Spielern nicht ums Geld geht sondern nur um den Fußball“, so Walaschewski.

„Gerade im Ruhrgebiet wird die Ursprünglichkeit des Fußballs gelebt, gesprochen und wertgeschätzt“ 

Reinhard Rauball beschloss die Runde mit einem Resümee: „Wir müssen darauf achten, dass die Strahlkraft des Fußballs auch weiterhin diejenigen erreicht, die ihn über viele Jahrzehnte geprägt und großgemacht haben. Gerade im Ruhrgebiet wird die Ursprünglichkeit des Fußballs gelebt, gesprochen und wertgeschätzt.“

Im Anschluss wurde die neue Ausstellung eröffnet. Ganz in der Atmosphäre einer Kohlegrube sind die Gänge und Ausstellungsräume verdunkelt, nur punktuell beleuchtet von orangerotem Licht. Besucher können die Exponate der Ausstellung mit Taschenlampen erkunden.

Einige große Bildschirme zeigen Bilder und Videos aus allen Zeiten der Fußballgeschichte in Ost- und Westdeutschland und seit der Wiedervereinigung. Einen großen Teil nimmt auch der Bereich des Frauenfußballs ein. Besonders war die Begleitung durch einige Damen vom Frauenfußballverein Fortuna Dortmund, die Anekdoten aus der schwierigen Geschichte zum Besten gaben und damit der kompetenten Führung durch den Kurator des Museums, Dr. Martin Wörner eine zusätzliche Würze gaben.

Das Higlight der Sonderausstellung ist im Zukunftsraum zu finden. Hier können die BesucherInnen ihre Visionen oder Wünsche zur Zukunft des Fußballs im Revier anstatt in Worten in Schraffuren zu Papier bringen. Auf einem großen Tisch in Form des Reviers sind Reliefs aller Art angebracht, mit denen sich bei einiger Fantasie ganze Bildergeschichten erzählen lassen. Die Blätter schmücken dann die Wände des Zukunftsraums. So werden die Wünsche der Besucher ein interaktiver Teil der Ausstellung und man geht mit dem guten Gefühl, etwas hinterlassen zu haben.

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