SERIE Nordstadt-Geschichte(n): Die Luther-Festspiele am Fredenbaum zum 400. Geburtstag des Reformators

Der Saalbau Fredenbaum an der Münsterstraße um 1905. (Sammlung Klaus Winter)
Der Saalbau Fredenbaum an der Münsterstraße um 1905. (Sammlung Klaus Winter)

Von Klaus Winter

Im Jahre 1889 wurde am Fredenbaum etwa dort, wo sich heute das Big Tipi erhebt, ein gewaltiger Saalbau errichtet, der über Jahrzehnte hinweg Veranstaltungsort für große Konzerte und Ausstellungen, Messen, Shows, Feiern u. a. sein sollte und einen Ruf erlangte, der sich weit über die Stadtgrenzen hinaus verbreitete. Der Saalbau Fredenbaum verfügte über Raumkapazitäten, die die des Reichstags in Berlin und des Gürzenichs in Köln deutlich übertrafen, und ihm sogar den Ruf einbrachten, ein „Wunder Westfalens“ zu sein.

Für das mehrtägige Schauspiel-Projekt wurden Vorstand und Kommissionen gebildet

Zu der Zeit als der Saalbau Fredenbaum entstand, fand ein Werk des Dramatikers Hans Herrig (1845-1892) im Deutschen Reich große Beachtung. Es handelte sich dabei um „Luther. Ein kirchliches Festspiel“, verfasst anlässlich des 400. Geburtstages des Reformators. Das Stück war in Worms uraufgeführt worden und erschien zu Herrigs Lebzeiten in mehr als zwanzig gedruckten Auflagen.

Herrigs „Luther“ war im Herbst 1888 mit großem Erfolg in Bochum aufgeführt worden. Auch Dortmunder waren angereist, um das Schauspiel zu sehen. Sie waren derart beeindruckt, dass der Beschluss gefasst wurde, das Festspiel nach Dortmund zu holen. Tatsächlich trafen sie dazu rasch umfangreiche Vorbereitungen und traten im Juni 1889 mit ihren Plänen an die Öffentlichkeit: Im nagelneuen Saalbau Fredenbaum sollten vom 10.-20. Oktober die Luther-Festspiele gezeigt werden.

Rund 1500 Gäste fanden im Saalbau Fredenbaum (Bild um 1900) bei der Veranstaltung Platz.
Rund 1500 Gäste fanden im Saalbau Fredenbaum (Bild um 1900) bei der Veranstaltung Platz.

Mitte Juli 1889 nahmen die Vorbereitungen für die Dortmunder Aufführungen bei einer Versammlung evangelischer Männer „aller Stände“ konkrete Formen an. Für das mehrtägige Schauspiel-Projekt wurden ein Vorstand sowie diverse Kommissionen, die sich jeweils um einen Aufgabenbereich wie Bühne, Chor, Verkehr etc. zu kümmern hatte, gewählt. Von Beginn der Vorbereitungen an stand fest, dass die Dortmunder Bevölkerung als Darsteller und Sänger in das Stück eingebunden werden sollten. Auf die Mitwirkung von Kräften, die sich bei anderen Luther-Festspielen bewährt hatten, wollte man verzichten.

Der Saalbau Fredenbaum war als Veranstaltungsort eine gute Wahl 

Die Resonanz auf die beabsichtigte aktive Einbeziehung der Stadtbevölkerung in das Festspiel war überwältigend! Einen Chor mit 200 Stimmen hatte man aufstellen wollen. Zur ersten Probe versammelten sich bereits 300 Sänger und Sängerinnen – und der Chor wuchs in der Folge noch auf 500 Personen an! Bei dieser Zahl wurde ein Aufnahmestopp verhängt und der Chor in zwei gleichstarke aufgeteilt, die bei den Vorführungen abwechselnd auftreten sollten.

Inserat im Dortmunder Generalanzeiger am 04.10.1889.
Inserat im Dortmunder Generalanzeiger am 04.10.1889.

Im nagelneuen Saalbau Fredenbaum musste erst einmal umgebaut werden, denn für die vielen Akteure wurde eine größere Bühnenfläche benötigt als vorhanden. Es wurden Kulissen gemalt, Dekorationen aufgestellt und 160 „elektrische Flammen“ installiert. Der Kostenaufwand für diese Arbeiten lag bei rund 5.000 Mark.

Der Vorverkauf wurde frühzeitig eröffnet. Anfang September –Wochen vor der ersten Aufführung – war die Eröffnungsveranstaltung bereits ausverkauft. Die Verantwortlichen beschlossen wegen der regen Nachfrage die Zahl der Vorführungen von fünf auf neun zu erhöhen, zumal man auch mit einem Publikumsandrang aus den umliegenden Gemeinden rechnete.

Die ersten Proben verliefen erfolgreich und bewiesen, dass mit dem Saalbau Fredenbaum als Veranstaltungsort eine gute Wahl getroffen worden war. Die Akustik wurde als sehr gut beurteilt. Im vollbesetzten Saal war auch in den hinteren Reihen jedes Wort zu verstehen. Bei der Kostümprobe am 3. Oktober füllten mehr als 3.000 Schüler und sonstige Zuschauer den Saal.

Um „gefährliches Gedränge“ zu vermeiden, wurden Verhaltensmaßregeln veröffentlicht

Aufgrund des erfolgreichen Vorverkaufes rechnete man mit einem sehr hohen Verkehrsaufkommen am Fredenbaum und auf der Münsterstraße. Um „gefährliches Gedränge“ zu vermeiden, wurden in den Tageszeitungen Verhaltensmaßregeln veröffentlicht, wie man die Aufführungen gut erreichen und hinterher wieder verlassen könnte. Auch für den reibungslosen Ablauf im Saal wurden Regeln vorgegeben: So wurden die Damen gebeten, vor Eintritt in den Saal die Hüte abzunehmen, um den hinter ihnen sitzenden Personen nicht die Sicht auf die Bühne zu nehmen.

Über die Premiere berichtete die Presse: „ […] man darf ohne Ruhmredigkeit sagen, daß der Erfolg ein völlig und unbestrittener war, denn die Darstellung hat vom Anfang bis zum Ende die große Zuschauermenge machtvoll gefesselt und erhoben. Darüber herrschte nur eine einzige Stimme, und das will viel heißen, da die Mittel, mit welchen das Herrigsche Festspiel arbeitet, ungeheuer einfache und keineswegs geeignet sind, durch äußere Einwirkungen über innere Schwächen wegzutäuschen. Es gibt Luther-Spiele, welche erheblich wirkungsvoller in Szene gehen, als das hier vorgeführte, allein es erscheint uns als ein Gewinn und ein hoher Ruhm für die Beteiligten, daß trotzdem ein Eindruck gewonnen wurde, wie der gestern erzielte.

Der leichte Zweifel, der über die darstellerischen Leistungen aus dieser Kritik hervorklingt, findet sich auch bei der Besprechung einer weiterer Vorstellungen wieder: „Der Eifer und Hingebung, mit welcher sie an die Lösung ihrer Aufgabe herantraten, verdienen die größte Anerkennung, und man nimmt da, wo das Können vielleicht nicht immer ganz ausreicht, dankbar den guten Willen für die That.

Es hieß aber auch: „Die Darsteller arbeiten sich immer mehr und besser in ihre Rollen hinein, sodaß man von Abend zu Abend den Fortschritt merken kann. Immer sicherer wird das Spiel und immer tiefer und verständnißvoller erfaßt jeder seine Rolle und bringt sie so zum Ausdruck.

Berichterstattung der Dortmunder Zeitung am 17.10.1889.
Berichterstattung der Dortmunder Zeitung am 17.10.1889.

Das Publikum bei jeder Vorstellung im Saalbau Fredenbaum dicht an dicht

Das Zuschauerinteresse blieb auf hohem Niveau. Dicht an dicht saß das Publikum bei jeder Vorstellung im Saal. Die von den Verantwortlichen gehegte Befürchtung, der Zuspruch würde allmählich nachlassen, erwies sich als unbegründet. Es wurde entgegen aller zuvor geäußerten Absichten sogar noch eine weitere Vorführung angeboten.

Am 24. Oktober fand die vorletzte Aufführung der Luther-Festspiele statt. Zu den Zuschauern gehörten prominente Gäste: Oberlandes-Gerichts-Präsident Staatsminister a. D. Exzellenz Dr. Falk aus Hamm, Regierungs-Präsident Winzer aus Arnsberg sowie die Spitzen der meisten Staatsbehörden des Stadt- und Landkreises. Nach der Vorstellung versammelten sich zahlreiche Mitwirkende, die Ehrengäste und weitere Zuschauer im Wintergarten des Saalbaus Fredenbaum zu einem Festessen

Hans Herrig, der sonst fünf Prozent der Bruttoeinnahme jeder Vorstellung seines Luther-Spiels an Tantiemen erhielt, begnügte sich hier mit einem geringeren Betrag, da der Überschuss zur Finanzierung des Neubaus einer Kirche im nordwestlichen Stadtteil – gemeint ist die Paulus-Kirche an der Schützenstraße – verwendet werden sollte. Welcher Betrag dem Kirchbau-Projekt zugeführt werden konnte, ist nicht überliefert.

Der Saalbau Fredenbaum an der Münsterstraße aber hatte mit den mehrtägigen Luther-Festspielen seine erste große Herausforderung gemeistert. Viele weitere sollten noch folgen!

Eine Langfassung des Beitrags von Klaus Winter ist in der aktuellen „Heimat Dortmund“ zum Thema 500 Jahre Reformation erschienen.

Neueste Ausgabe der „Heimat Dortmund“ thematisiert die Geschichte der Reformation in verschiedenen Facetten

 

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Reaktionen

  1. Detlef Brzostek

    Vielen Dank an Klaus Winter für seine großartige Arbeit. Die Serie Nordstadt-Geschichte(n) ist Pflicht-Lektüre für jeden Dortmunder und ein besonderes Vergnügen für jeden „eingeborenen Nordstädter“. Wie wir alle wissen, kann man das Heute nur verstehen, wenn das Gestern kennt.

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