Rathaussturm: Neonazi entging bei seiner zwölften Verurteilung knapp einer Haftstrafe wegen Körperverletzung

Neonazi-Ausschreitungen überschatteten den Wahlabend in Dortmund
Neonazi-Ausschreitungen überschatteten den Wahlabend- rechts Lukas B..

Das nächste Verfahren im sogenannten Dortmunder „Rathaussturm“ ist beendet: Der bekannte Dortmunder Neonazi Lukas B. – Aktivist der rechtsextremen Splitterpartei „Die Rechte“ – ist am Freitag nur knapp einer weiteren Freiheitsstrafe wegen Körperverletzung entgangen.

Zwölfte Verurteilung gegen den Neonazi-Aktivisten

Wegen eines gezielten Faustschlags gegen die Piraten-Vorsitzende und Ratsfrau Nadja Reigl am Kommunalwahlabend des 25. Mai 2014 vor dem Rathaus ist er vom Amtsgericht Dortmund zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen von je 30 Euro sowie der Zahlung von 350 Euro Schmerzensgeld verurteilt worden.

Es war bereits die zwölfte (!) Verurteilung, die der 26-Jährige in den vergangenen acht Jahren kassiert hat – darunter wegen gefährlicher Körperverletzung, schwerem und mehrfachem Diebstahl, mehrfacher Leistungserschleichung, Hausfriedensbruchs, Beleidigung und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz.

Verurteilung wegen eines gezielten Faustschlags gegen Piraten-Politikerin

Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Neonazi die Politikerin „gezielt und mit voller Absicht geschlagen hat“, machte Richterin Martina Naujoks in der Urteilsbegründung deutlich.

Lukas B. musste sich wegen Körperverletzung verantworten und wurde verurteilt.
Lukas B. musste sich wegen Körperverletzung verantworten und wurde verurteilt.

„Der Schlag hat sie unvorbereitet getroffen und sie konnte keine Abwehrmaßnahmen ergreifen.“

Die Richterin ist zudem davon überzeugt, dass der Schlag – andere als von Verteidiger André Picker dargestellt, Nadja Reigl nicht nur gestreift, „sondern ganz schön weh getan“ habe.

Entscheidend waren hierfür Videobeweise, die die Tat eindeutig zeigten, wie auch Staatsanwalt Ludger Strunk unterstrich.

Sie zeigten eindeutig eine „tumultartige Szene“ vor dem Rathaus-Eingang. Der Angeklagte hielt sich dabei – mit einer als Keule gehaltenen Sektflasche und dem von den Grünen geklauten Banner – im Hintergrund, wartete auf eine Lücke zwischen seinen Kameraden, schnellte hervor, schlug gezielt zu und zog sich dann sofort wieder zurück. Ein Zeuge wertete dies als feiges Anpirschen – er schlug die Frau von hinten.

„Es kann keinen Zweifel geben, dass der Tatbestand der Körperverletzung erfüllt ist – und nicht in Form eines leichten Wischers“, so Strunk. Er regierte damit auf die Darstellung der Verteidigung, dass sein Mandant die Piratin nur gestreift und keinen „Volltreffer“ gelandet habe.

Politikerin war zuvor von einem zweiten Neonazi geschlagen worden

Allerdings war die Piratenpolitikerin bereits Sekunden zuvor von einem zweiten Neonazi, Torben V., attackiert und ebenfalls ins Gesicht geschlagen worden.

Er hatte Reigl an der Schläfe getroffen – sie war orientierungslos und konnte auch auf dem Ohr nicht hören.

In dieser Situation holte Lukas B. zu seinem Angriff aus und traf auf dieselbe Stelle. Daher kann nicht zweifelsfrei geklärt werden, ob das ärztlich attestierte Hämatom, die Kopfschmerzen sowie die vorübergehende Taubheit vom ersten oder zweiten Schlag herrührten. Dies musste beim Strafmaß berücksichtigt werden.

Ermittlungen gegen zweiten Schläger blieben trotz eindeutigen Beiweisen aus

Das Absurde: Reigl war nach dem Wahlabend mit ihrem Lebensgefährten zur Polizei gegangen, um die Körperverletzung von Torben V. anzuzeigen. Beide konnten dies bezeugen und ihn einwandfrei identifizieren.

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Auch hätte sie zwei weitere Zeugen benennen können. Da sie jedoch als Beschuldigte wegen Landfriedensbruchs bzw. Nötigung geführt wurden, wurde darauf zunächst verzichtet.

Polizei und Staatsanwaltschaft haben auch bis heute nicht gegen Torben V. ermittelt, bzw. ihn wegen Körperverletzung angeklagt. Sowohl der Staatsanwalt als auch der Leiter der Soko Rathaus, Udo Antoniewicz, wollten sich dazu nach der Verhandlung nicht äußern.

Auf die Frage, ob sie denn nun von Amts wegen ermitteln, da der Vorwurf vor Gericht von zwei Zeugen zur Sprache und ein Täter benannt worden ist, sagte Strunk nur, dass „dies nun zu prüfen ist“.

Torben V., bei den ersten Prozessen stets unter den zahlreichen Neonazis im Besucherraum vertreten, war dieser Verhandlung allerdings vorsorglich fern geblieben. Wohl auch, damit er nicht gleich vor Ort und Stelle als Schläger bezichtigt werden könne.

Folgen der beiden Schläge nicht eindeutig zuzuordnen

Wegen dieser unklaren Lage und der nicht eindeutig zuordnenbaren Folgen der beiden Schläge durch zwei Täter folgte die Richterin auch nicht der Forderung der Staatsanwaltschaft.

Diese hatte vier Monate Freiheitsstrafe zur Bewährung gefordert und sich der Forderung des Nebenklage-Anwalts Manuel Kabis auf 800 Euro Schmerzensgeld angeschlossen.

Staatsanwaltschaft sah keine Notwehrhandlung als Rechtfertigung

Staatsanwalt Strunk hatte „vorsorglich“ in seinem Plädoyer darauf abgehoben, dass diese Situation nicht als Notwehrhandlung gewertet werden könne.

Neonazi-Ausschreitungen überschatteten den Wahlabend in Dortmund
Vor dem Rathaus kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Demokraten und Neonazis.

Mehrere Demokraten – darunter auch Reigl – sollen sich in einem späteren Verfahren wegen gemeinschaftlicher Nötigung verantworten. Sie sollen die Neonazis am Betreten des Rathauses gehindert haben.

Strunk beteuerte, dass die Handlung von Lukas B. nicht als Notwehr gewertet werden könne. Ein Faustschlag sei völlig ungeeignet gewesen, gegen eine mutmaßliche Nötigung vorzugehen. Der Angeklagte habe vielmehr die Polizei rufen müssen.

Außerdem habe er nicht den Anschein erweckt, das Rathaus betreten zu wollen. Auch diese zeige das Video. Ihm sei es nur darum gegangen, „eine Kontrahentin zu attackieren und zu verletzten“, so Strunk.

Da der Angeklagte schon zu einer Vielzahl von Geld- und auch schon zu Haftstrafen verurteilt worden sei, forderte der Staatsanwalt eine Freiheitsstrafe auf Bewährung unter Auflagen, womit er sich jedoch nicht durchsetzen konnte.

Nazi-Verteidiger wollte Piratin zur Aussageverweigerung ermutigen

Rechts-Anwalt André Picker hatte zuvor wieder eine ganze Reihe von Winkelzügen versucht und Anträge gestellt.

Auch versuchte er, die Zeugin davon zu überzeugen, doch vom Aussageverweigungsrecht Gebrauch zu machen, da sie sich ja sonst wegen der angeblichen Nötigung selbst belaste.

Sehr wohlwollend nahm er dann aber zur Kenntnis, dass die Aussagen nicht seinen Mandanten belasteten, sondern einen Kameraden.

Dann konstruierte er einen Notstand, kritisierte die Überforderung der Polizei und charakterisierte die „Ratshausblockierer“ als eine Gruppe „von links-orientierten Menschen, von Gutmenschen und von Menschen, die schon immer dagegen waren“.

Diese stellten ihre eigene Überzeugung über das Grundgesetz und wollten bestimmen, wer Rechte habe und wer nicht.

Er schlug zudem eine große Brücke zu finsteren Zeiten, in denen Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden. Als Beispiele führte er die französische Revolution und die DDR sowie andere Regime an.

„Wehret den Anfängen“: Picker warnt vor Weimarer Verhältnissen

Zum Abschluss warnte er mit dem Slogan „Wehret den Anfängen“, dass es nicht zu Zuständen komme, wie man sie zur Endzeit der Weimarer Republik erlebt habe. Einige Demokraten quittierten diesen Exkurs mit Kopfschütteln, einige mit Gelächter.

Lukas B. mit seinem Verteidiger André Picker.
Lukas B. mit seinem Verteidiger André Picker.

Denn dass der Verteidiger die Parolen der Antifaschisten für seine Zwecke instrumentalisiert und umdeutet, waren sie bisher nur von seinen Mandanten gewohnt.

Wenn jemand die Freiheits- und Grundrechte von Menschen beschneide oder angreife, dann wohl doch die Neonazis von der Partei „Die Rechte“, kommentierten aufgebrachte Besucher vor dem Gerichtssaal das frivole Geschichts-Gepicker.

Auch Polizeipräsident Gregor Lange hatte in den vergangenen Monaten mehrfach das Auftreten der Parteimitglieder in „SA-Manier“ kritisiert. Dass Picker das NS-Regime nicht in seinen Beispielen anführte, setzte dem Ganzen die Krone auf.

Weiterer Vorwurf: Antifaschist vor dem Stadion Rote Erde bedroht

Bei diesem Zusammenhang ging fast unter, dass sich Lukas B. noch wegen eines weiteren Vorwurfs verantworten musste.

Er hatte am 16. Mai 2015 vor dem Stadion Rote Erde  – in Begleitung von mehreren Dutzend Kameraden und Borussenfront-Aktivisten – einen 17-Jährigen Antifaschisten bedroht und ihn gezwungen, seinen „Good Night White Pride“-Pullover auf links zu ziehen.

Außerdem musste der verängstigte Schüler in eine laufende Kamera sprechen und schwören, dass er nie wieder solche Pullover zum Fußball anziehen werde.

Allerdings wurde dies nicht geahndet – das Verfahren wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft zu Gunsten einer anderen Verurteilung eingestellt. Der Neonazis war jüngst auch vom Amtsgericht Düsseldorf zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt worden. Diese Bedrohung wurde dort nachträglich „eingepreist“.

Davon, dass B. seit seinen Gewaltattacken beim „Rathaussturm“ irgendetwas von seiner aggressiven Militanz eingebüßt hätte, kann mithin keine Rede sein.

INFO:

Das nächste Verfahren zum „Rathaussturm“ gegen einen weiteren Neonazi findet am Donnerstag, 20. August, um 9.30 Uhr vor dem Schöffengericht (Saal 1201/Amtsgericht) statt. Dann muss sich Daniel G. verantworten.

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Reaktionen

  1. Tidirium

    Solche Berichte verursachen mir Übelkeit. Warum werden diese menschnverachtenden und von Selbsthass zerfressenen Menschen nicht zu Therapie verdonnert und mindestens zu Haftstrafen verurteilt? Wieviele Menschen müssen noch unter diesen Hemmungslosen leiden? Widerlich.

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