Mitbegründer der Städtepartnerschaft Dortmund-Netanya: Alt-Oberbürgermeister starb kurz vor dem 105. Geburtstag

Dr. Abraham Bar Menachem ist im Alter von 104 Jahren gestorben. Fotos: Alex Völkel
Dr. Abraham Bar Menachem (2009) ist im Alter von 104 Jahren gestorben. Fotos: Alex Völkel

Von Alexander Völkel

Ein wichtiger Freund und Förderer der deutsch-israelischen Beziehungen und der Städtepartnerschaft zwischen Dortmund und Netanya ist tot: Netanyas Alt-Oberbürgermeister Dr. Abraham Bar Menachem starb kurz vor seinem 105. Geburtstag.

Abraham Bar Menachem wurde am 16. Mai 1912 als Alfred Gutsmuth geboren

Er war lange Zeit Oberbürgermeister des selbsterklärten „Diamanten am Mittelmeer“, gründete die erste deutsch-israelische Städtepartnerschaft mit seiner Geburtsstadt Gießen und förderte intensiv auch die Verbindung von Dortmund und Netanya.

Abraham Bar Menachem wurde am 16. Mai 1912 in Gießen-Wieseck geboren. Damals allerdings hieß er noch Alfred Gutsmuth. Der Name steht auch auf seiner Doktorarbeit, die er als 21-Jähriger Ende 1933 im Fach Rechtswissenschaften an der Uni in Gießen einreichte.

Möglich war das nur, weil zwei seiner Professoren ihn durch die Prüfungen drückten. „Das erste Staatsexamen durfte ich nicht machen. Juden war das schon verboten“, berichtete er vor einigen Jahren Dortmunder SchülerInnen, die auf Einladung des Deutsch-Israelischen Länderkreises der Auslandsgesellschaft Netanya und auch Bar Menachem zu Hause besucht.

Er wollte damals die Uni in Gießen nach sieben Semestern verlassen. „So lassen wir Sie aber nicht gehen“, betonten seine Professoren. Sie ließen ihn statt des Staatsexamens gleich die Doktorarbeit schreiben. Er rutschte so durch eine kleine Lücke des sich immer enger zuziehendes Netzes der nationalsozialistischen Gesetze.

Bis zu seinem Tod war Bar Menachem ihnen dafür dankbar. Für ihre mutige Haltung wurde den beiden Professoren anschließend die Lehrerlaubnis entzogen.

Flucht vor den Nazis aus Deutschland über Holland nach Palästina

Für den jungen Sozialdemokraten gab es keinen anderen Weg, als seine Heimat zu verlassen. Der Beginn eines erlebnisreichen Lebens. Er ging nach Holland, wo er sich in einem Werkdorf mit anderen jungen Juden auf die Aliah, die Auswanderung nach Palästina vorbreitete.

Er lernte Tischler, arbeitete hart, half Ende der 1930-er Jahre beim Aufbau eines Kibbuz in der Negev-Wüste, wurde dessen Vorsteher, und später Koordinator der Kibbuz-Bewegung im Negev.

Später war er Gewerkschaftssekretär und 13 Jahre Bürgermeister und Oberbürgermeister von Netanya. Alle Tiefen und Höhen durchlebte er. Existenzielle Not, die Bedrohung durch die britische Mandatsmacht und die Kriege mit den arabischen Nachbarn.

Die Bande nach Deutschland waren damals längst durchtrennt. Selbst zur Sprache „Jahrzehntelang habe ich kein Deutsch mehr gesprochen“, erzählte Bar Menachem. Auch nicht mit seiner Frau Johanna, die er im Kibbuz im Negev kennen lernte.

Sie stammte aus Berlin und wanderte als Zehnjährige 1933 mit ihrer Familie nach Palästina aus. Sie überstanden daher die Nazi-Greuel, viele ihrer Verwandten aber nicht.

Dr. Abraham Bar Menachem mit seiner Frau Johanna im Jahr 2004 in ihrer kleinen grünen Oase in Netanya.
Dr. Abraham Bar Menachem mit seiner Frau Johanna im Jahr 2004 in ihrer kleinen grünen Oase in Netanya.

Deutsch-israelische Versöhnung: „Bitterer Vergangenheit zum Trotz“

„Erst die Begegnung von Adenauer und Ben Gurion gab mir den Anlass, das zu überdenken.“ Sie begannen wieder deutsche Bücher zu lesen. Allerdings dauerte es noch bis 1964, ein Jahr vor der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen der beiden Länder, bis er zum ersten Mal nach dreißig Jahren wieder deutschen Boden betrat. Schweren Herzens flog er nach Frankfurt, reiste nach Gießen und besuchte das unversehrt gebliebene Grab seiner Eltern.

„Bitterer Vergangenheit zum Trotz“ lautet der Titel seiner Biographie. Lebenserinnerungen eines deutschen Juden – und eines überzeugten Israelis. „Für mich besteht kein Widerspruch zwischen stetem Gedenken an die Vernichtung von sechs Millionen Juden durch Deutsche und der Versöhnung mit dem deutschen Volk“, betonte der frühere Oberbürgermeister.

Bar-Menachem wurde aufgrund seines Lebenswerkes 1987 das Ehrenbürgerrecht der Universitätsstadt Gießen verliehen. Zuvor war er 1982 mit der Hedwig-Burgheim-Medaille und 1983 mit dem Verdienstkreuz Erster Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet worden.

Nun ist er – nach einem langen und ereignisreichen Leben – gestorben. Er folgt seiner Frau Johanna, die bereits vor einigen Jahren starb. Mit Abraham Bar Menachem ist ein Freund und Förderer der deutsch-israelischen Beziehungen und der Städtepartnerschaften gestorben. Die Nordstadtblogger trauern mit der Familie und sagen Danke für interessante Begegnungen und ein jahrzehntelanges Engagement.

 

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Reaktionen

  1. Valentin

    Danke für diesen Artikel. Ich kann mich noch gut an unseren Besuch 2009 bei ihm erinnern, als ich sehr beeindruckt von diesem alten Mann war, der so viel erlebt hatte.

  2. Stadt Dortmund

    Trauer um Dr. Abraham Bar Menachem

    Der Alt-Oberbürgermeister von Dortmunds israelischer Partnerstadt Netanya, Dr. Abraham Bar Menachem, ist vor seinem 105. Geburtstag verstorben. Er war wichtiger Unterstützer und Förderer der deutsch-israelischen Beziehungen und prägte mit seinem großen Engagement die Partnerschaft zwischen Netanya und Dortmund. Oberbürgermeister Ullrich Sierau, der ihn sehr schätzte und ihm unter anderem im Mai 2012 bei einer Delegationsreise nach Netanya persönlich zu seinem 100. Geburtstag gratulierte, nahm die Nachricht vom Tod Abraham Bar Menachems mit großer Betroffenheit auf.

    Er schickte mehrere Kondolenzschreiben an die Familie und an Netanyas Oberbürgermeisterin Miriam Fierberg-Ikar nach Israel.

    In beiden Schreiben betonte OB Ullrich Sierau unter anderem:

    „Mit Abraham Bar Menachem verliert Netanya einen großen Politiker und Dortmund einen guten Freund. Auch im Namen der Bürgerschaft der Stadt Dortmund spreche ich allen Bürgerinnen und Bürgern Netanyas mein tief empfundenes Mitgefühl aus.

    Seine Biografie war eng verbunden mit dem schrecklichsten Kapitel der deutschen Geschichte: der Diktatur der Nationalsozialisten von 1933 bis 1945. Trotz dieser traumatischen Erfahrungen war das Handeln Dr. Abraham Bar Menachems stets geprägt vom Geist der Verständigung und Versöhnung: Ohne sein unermüdliches Engagement und seinen festen Willen, Brücken zwischen den Menschen zu bauen, könnten wir heute nicht mit Stolz auf rund 36 Jahre Städtepartnerschaft zwischen Dortmund und Netanya zurückblicken.

    Er war gemeinsam mit Dortmunds ehemaligem Oberbürgermeister Günter Samtlebe einer der Gründungsväter dieser Freundschaft, die so viele deutsch-israelische Begegnungen – vor allem zwischen jungen Menschen – möglich gemacht hat. Bis heute nimmt die Erinnerungskultur großen Raum im städtepartnerschaftlichen Austausch mit Netanya ein. Für sein Engagement wurde er unter anderem auch mit dem Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland sowie mit dem Ehrenring der Stadt Dortmund ausgezeichnet.

    Ich bin sicher, dass Dr. Abraham Bar Menachem in den Herzen der Menschen sowohl in Israel als auch in Dortmund seinen festen Platz haben wird. Denn das, was er zu Lebzeiten erreicht und angestoßen hat, wird auch mit seinem Tode nicht vergehen. Dortmund wird das Andenken von Dr. Abraham Bar Menachem in ehrender Erinnerung behalten.“

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