Medizinisches Cannabis als „Wundermittel“ in der Schmerztherapie? Experte aus Dortmund hat Zweifel

Medizinisches Cannabis aus den USA. Fotos: Wikipedia
In den USA wird Cannabis – hier als medizinisches Marijuana –  schon länger eingesetzt. Fotos: Wikipedia

Kiffen auf Rezept? Kaum ein Thema polarisiert derzeit so sehr in der Medizin wie der Gebrauch von Cannabis. Seit Beginn des Jahres ist es nämlich per Gesetz erlaubt, Cannabis auf Rezept zu bekommen und so als Therapiemittel Schmerzpatienten leichter zugänglich zu machen. Dabei ist die Studienlage immer noch eher ernüchternd. „Es gibt wenig gute Studien über die Wirksamkeit von Cannabis, aber so viel kann sicher gesagt werden: Cannabis ist kein Wundermittel“, erklärt Dr. Carsten Meyer, Direktor der Klinik für Schmerzmedizin im Klinikum Dortmund.

Nervenschmerzen nach Verletzungen oder Diabetes Mellitus kaum gelindert

Dementsprechend warnt der Experte vor allzu hohen Erwartungen: „Cannabis kann die bisherigen schmerzmedizinischen Ansätze nicht ablösen, wohl aber sicherlich ergänzen.“ Insbesondere bei Nervenschmerzen nach Verletzungen oder Diabetes Mellitus gibt es nur wenige Hinweise auf einen positiven Einfluss von Cannabis. Am besten wirken Cannabinoide noch bei Schädigung bzw. bei Erkrankungen des Rückenmarks, die mit und ohne Spastiken auftreten.

„Muskelschmerzen inkl. Erkrankungen wie Fibromyalgie reagieren selten bis gar nicht auf die Einnahme von Cannabis. Somit bleibt die Therapie mit Cannabis Einzelfällen vorbehalten, die mit dem behandelnden Arzt sorgfältig abgewogen werden sollten“, sagt Dr. Meyer. Statistiken zufolge wirkt Cannabis bei gerade einmal jedem 10. bis 14. Patienten.

„Da erwarte ich von einem Mittel schlichtweg mehr, wenn es als Wundermittel in der Öffentlichkeit diskutiert wird“, so Dr. Meyer. Entsprechende Medienberichte und Politiker-Statements („Endlich darf Cannabis helfen“ – „Ein längst überfälliger Schritt“ – „Das einzige Therapiemittel, das ein Leben noch erträglich machen kann“)

Dr. Meyer: „Anwendung kann nicht als Wendepunkt der Schmerzmedizin gesehen werden“

Dr. Carsten Meyer ist Direktor der Klinik für Schmerzmedizin im Klinikum Dortmund.
Dr. Carsten Meyer ist Direktor der Klinik für Schmerzmedizin im Klinikum Dortmund.

Entscheidet man sich für eine Therapie mit Cannabis, gibt es die Möglichkeit der Einnahme von Blüten bzw. der Verschreibung von Fertigpräparaten, wobei auf Grund der Dosierung, Wirkung und Nebenwirkungen sowie der Kalkulierbarkeit die Fertigpräparate vorzuziehen sind.

Auch bei kontrolliertem Anbau unterliegen die Blüten einer wesentlich stärkeren Konzentrationsschwankung. Des Weiteren sind einige Nebenwirkungen wie Herz-Rhythmus-Störungen, Abhängigkeit, Konzentrations- und Schlafstörungen zu beachten. Somit ist Cannabis im Kosten- Nutzen-Vergleich im Gegensatz zu allen anderen Schmerzmedikamenten nicht überzeugend besser.

„Die Anwendung ist im Einzelfall zu diskutieren, kann zum aktuellen Zeitpunkt aber nicht als Wendepunkt der Schmerzmedizin gesehen werden“, fasst Dr. Meyer zusammen. Schmerzpatienten sollten vor allem bei komplexen und lang anhaltenden Schmerzerkrankungen Zentren aufgesucht werden, die im interdisziplinären Team sowohl die Schmerzen als auch deren Folgen für den einzelnen beleuchten und umfänglich therapieren.

Hintergrund: Wie wirkt Cannabis im Körper?

Im Körper gibt es ein System, welches Schmerz unterdrückt und auf körpereigene Opioide sowie Cannabinoide basiert. Vor allem schützen die körpereigenen Cannabinoide das Gehirn vor überschießenden Reaktionen. Reize werden verändert verarbeitet und emotional anders bewertet.

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Reaktionen

  1. Axel Junker

    Niemand mit seriösem Hintergrund (Dr. Carsten Meyer) hat je behauptet, dass Cannabis ein „Wundermittel“ sei. Wenn man sich allerdings einmal mit den medizinwissenschaftlichen Ergebnissen beschäftigt, die regelmäßig von der „Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin“ (ACM) veröffentlicht werden, so kann man schnell zu der Überzeugung gelangen, dass der medizinische Nutzen von Cannabis vielfach dem pharmazeutischer Stoffe überlegen ist und – obgleich als „Betäubungsmittel“ benannt – seit mehr als 6000 Jahren (nämlich der ersten urkundlichen Erwähnung von Cannabis) bislang nicht eine einzige letale Überdosierung oder auch tödliche Folgewirkung zu verzeichnen ist.

    Kann man das von Diclo, Ibu, Tilidin & Konsorten auch sagen?

  2. Ronja Oden

    Interessant, dass selbst ein Arzt sagt, dass Cannabis die bisherigen Methoden in der Schmerztherapie ergänzen kann. Bei einer Freundin von mir wirkt CBD-Öl recht gut gegen ihre Rückenschmerzen, sie hat es auch bereits in der Arzt-Praxis angesprochen. Leider ist es aber eben, wie im Artikel erwähnt, kein Wunderheilmittel, was bei jedem wirkt.

  3. Nora

    Cannabis ist immer ein kontroverses Thema. Gut zu wissen, dass Muskelschmerzen gar nicht auf Cannabis reagieren. Ich möchte eine Lösung gegen meine chronischen Muskelschmerzen finden. Ich habe oft kontroverse Meinungen zum Thema gehört und möchte gerne mehr darüber erfahren.

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