Keine Luft zum Atmen: Rechte Gewalt in Deutschland – Vortrag und Diskussionen zu Neonazis in Dortmund

Neonazi-Ausschreitungen überschatteten den Wahlabend in Dortmund
Neonazi-Ausschreitungen überschatteten den Wahlabend in Dortmund.

Nein, von Ruhe an der Nazifront kann man in Dortmund nun wirklich nicht sprechen.  Von den braunen Kameraden weht ein Pesthauch her, so altbekannt wie neu entfacht.

Zahlreiche Störmanöver und Übergriffe der Neonazis in Dortmund

Gewalttätige Hooligans und Neonazis waren bei der "HoGeSa"-Aktion in Köln dabei. Foto: Marcus Arndt
Gewalttätige Hooligans und Neonazis waren bei der „HoGeSa“-Aktion in Köln dabei. Foto: M. Arndt

Ob sie den Rat mit grotesken und infamen Anfragen bombardieren, etwa nach der Zahl der in Dortmund lebenden Juden fragen, um ihre politische Arbeit zu „optimieren“ und dann schon mal durch ihr Störfeuer während des Dorstfelder Gedenkens an die NS-Pogromnacht am 9. November zeigen, was sie darunter verstehen.

Ob sie gegen die Flüchtlinge hetzen, denen unsere Stadt und Zivilgesellschaft Zuflucht bietet; ob sie demokratische Politiker und Journalisten mit sog. „Weihnachtsbesuchen“ bedrohen und einschüchtern wollen.

Ob sie sich auf den fürchterlichen Hooligan- und anderen rechten Massen-Demos (in schönstem Schrumpeldeutsch: Hogesa, Pergida, Tralala) wie in Köln, Hannover, Dresden tummeln.

 Der Berliner Journalist Olaf Sundermeyer ordnete die Themen ein

Das neue Buch von Olaf Sundermeyer.
Olaf Sundermeyer referierte. (Foto: privat)

Da tat es gut, dass  der Journalist Olaf Sundermeyer im Bezent e.V. in der Dortmunder Münsterstraße zum Thema „Rechte Gewalt in Deutschland“ las und die jüngsten braunen Sumpfblüten in die lange Geschichte des deutschen Rechtsextremismus einordnete.

Die Zuhörerzahl war eher überschaubar. Aber das sorgte für eine ungezwungene Atmosphäre, sodass Sundermeyer immer wieder auch aus dem Nähkästchen seiner brandaktuellen antinazistischen Recherchearbeit plauderte und eine recht muntere Diskussion entstand.

Kernelemente rechtsextremer Ideologie

Der Autor sah die zentralen Befunde aus seinem 2012 erschienenen Buch „Rechter Terror in Deutschland“ auch heute weitgehend bestätigt: Rechtsextremisten sind Überzeugungstäter, sie vertreten eine Ideologie, „die von der Ungleichwertigkeit der Menschen ausgeht und Gewalt als Mittel der Politik sieht.

Im Zentrum stehen rassistische und nationalistische Ideen. Das Menschenbild der Aufklärung wird genauso abgelehnt wie das westliche Gesellschaftsmodell und die Idee der Demokratie. An die Stelle einer pluralistischen und selbstbestimmten Gesellschaft soll ein autoritärer Staat treten, dessen Bewohner nach „natürlichen“ Ideen ausgewählt und dessen innere Organisation nach „natürlichen“ Führerprinzipien gestaltet wird.“ Neben den Migranten soll im „völkisch reinen“ Staat auch kein Platz für Obdachlose, Homosexuelle, Juden und Moslems, alternative Jugendliche, Linke sein.

Zunehmende Gewaltbereitschaft aus eingebildeter Notwehrsituation gegen die Einwanderungsgesellschaft

Am 4. April 2006 wurde Mehmet Kubasik in seinem Kiosk in der Mallinckrodtstraße ermordet. Archivfoto: Alex Völkel
Am 4. April 2006 wurde Mehmet Kubasik in seinem Kiosk in der Mallinckrodtstraße ermordet. Archivfoto: Alex Völkel

Nun nehmen die Rechtsextremisten aber durchaus wahr, dass sich die grundlegenden Trends der gesellschaftlichen Entwicklung diametral in die entgegengesetzte Gesellschaft bewegen: Deutschland zum Beispiel entwickelt sich „seit einigen Jahren zu einem demokratischen Einwanderungsland europäischen Zuschnitts“ und nicht zu einem „völkischen Staat“.

Ihre Reaktion: Damit „wächst die Angst der Rassisten vor Überfremdung weiter.“ Ihre Ungeduld steigt, der Glaube an eine Eroberung der staatlichen Schaltstellen über die Parlamente nimmt ab, angesichts der permanenten Misserfolge an den Wahlurnen und weil für eine parlamentarische Langzeitstrategie sowieso keine Zeit mehr sei. Ein zentraler Grund, weshalb etwa die NPD am Ende ist und andere, gewalttätige Wege attraktiver scheinen.

Sie sehen sich in einer laut Sundermeyer „permanenten Notwehrsituation“ und – man hält den Atem an – „handeln in ihrer Wahrnehmung aus Notwehr, wenn sie einen türkischstämmigen Kioskbesitzer erschießen, ein Asylbewerberheim anstecken, eine Rohrbombe auf einem jüdischen Friedhof zünden, ein alternatives Wohnprojekt mit Hakenkreuzen beschmieren oder bei einem SPD-Wahlkreisbüro die Fensterscheiben einschmeißen.“ Mord und Terroraktionen seien dabei nur die letzte Stufe der Eskalation, das Aggressionspotential wurzelt in der Ideologie, die auch die nicht gewaltbereiten Nazis teilen.

Rechtsextreme sagen den aufnahmebereiten „Gutmenschen“ den Kampf an

CSD-Teilnehmer und Antifaschisten protestierten gegen Neonazis.
Die „Gutmenschen“ sind im Visier der Neonazis.

Denn neben der direkten Bedrohung durch „Überfremdung“ sehen sie sich auch durch linke und so genannte „politisch korrekte Gutmenschen“ herausgefordert, die der verhassten multikulturellen Gesellschaft Vorschub leisten und sich zugleich ihrem politischen Kampf in den Weg stellen.“

Deshalb mordete der norwegische Neonazi Breivik in 2011 dutzende sozialdemokratische Jugendliche, die an einem Ferienlager teilgenommen hatten.

Der Hass der Rechtsextremisten richtet sich gegen das „System, zu dem außer dem Staat vor allem die Wirtschaft gehört, der sich alles unterordnet, die Medien, auch die Parteien, Verbände, Kirchen und Gewerkschaften.“ So schrieen die Rechtsextremen Ende Oktober in Köln den berichtenden Journalisten denn auch den hasserfüllten Slogan „Deutsche Presse in die Fresse“ entgegen.

Neonazis sehen sich als angebliche Vollstrecker des geheimen Volkswillens

Starker Protest von Deutschen und Migranten wies die Neonazis in der Nordstadt in ihre Schranken.
Verschiedene Parteien gehen am rechtsextremen Rand auf Stimmenfang. Foto: Alex Völkel

Dabei behaupten die Nazis, sie sprächen mit ihrem Rassismus, ihrer Intoleranz und Menschenfeindlichkeit eigentlich nur aus, was die Mehrheit eigentlich dächte und ihre Gewalt geschehe in deren Namen. Man müsse die „Volksgenossen“  nur aufrütteln, mit „gutem Beispiel“ vorangehen, dann würde das Volk diesen selbsternannten „Führern“ schon folgen.

Dabei denken die Nazis gern an die 90er zurück, an die fremdenfeindlichen Pogrome in Rostock-Lichtenhagen und anderswo, wo der Schulterschluss zu gelingen schien. Und Honig würden sie gern aus den aktuellen fremdenfeindlichen Massenaufmärschen in deutschen Großstädten und vor Flüchtlingsheimen saugen.

Wenn es wie in Dresden gelingt – bei einem muslimischen Bevölkerungsanteil im schönen Freistaat Sachsen von gerade einmal 0,1% – mehrere tausend Menschen gegen eine drohende „Islamisierung“ auf die Straße zu bekommen, dann wittern die deutschen Neonazis wieder Morgenluft, versuchen mitzumischen und zu lenken.

Fremdenfeindlicher Alltagsrassismus nimmt zu, Hardcore-Nationalsozialismus aber ab

300 Menschen nahmen am Treffen der Gruppe "Hooligans gegen Salafisten" in Dortmund teil.
Hunderte nahmen am Treffen von „Hooligans gegen Salafisten“ in Dortmund teil.

Ob aber die Nazis hier wirklich einmal eine Führungsrolle übernehmen können, bezweifelt Sundermeyer. Er verweist auf eine brandaktuelle Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die zwar von einer zunehmenden, aber (noch) nicht gewaltbereiten Fremdenfeindlichkeit zu berichten weiß, jedoch einen Rückgang der rechtsextremen Kernüberzeugungen und Verherrlichung des historischen Nationalsozialismus konstatiert.

Auch bei den neuen fremden- und speziell islamfeindlichen Massenmärschen und –kundgebungen werde vor allem eine vorgeblich unschuldige „Besorgnis“ von Normalbürgern vor „Überfremdung“ und dem Untergang der „abendländischen Identität“ geheuchelt. Ein offenes Bekenntnis zum ideologisch verbohrten und barbarischen Neonazismus (bei aller Gewaltbereitschaft rechter Hools) hingegen sei eher verpönt.

Schlechte Zeiten für Dortmunds Rechte – Die Rechte ist der NWDO, ist keine Partei

Neonaziaufmarsch in Dortmund
Mit diesem Neonaziaufmarsch in Dortmund protestierten sie gegen das NWDO-Verbot.

Also schlechte Nachrichten für die Dortmunder Neonazi-Partei „Die Rechte“, die sich in ihrem „25-Punkte“-Programm und auch in ihrem politischen Handeln („Die Straße frei den gelben Batallionen“ hieß etwa das Motto beim sog. „Rathaussturm“ Ende Mai, in leichter Abwandlung des Refrains der NS-Partei-Hymne „Horst-Wessel-Lied“) allzu deutlich an der historischen NSDAP ausrichte.

Weiter sei die Flucht der NWDO-Aktivisten in die Partei „Die Rechte“ allzu durchsichtig. Es fehlten dieser neuen Gruppierung zudem wichtige Parteimerkmale, sie schotte sich gegen den Rest der Gesellschaft ab, tage nie öffentlich, sondern geheim, besitze keine Diskursfähigkeit, da sie nur senden wolle, aber nicht empfangen.

In diesem Zusammenhang mochte sich der Journalist Sundermeyer einen kleinen Seitenhieb auf die Dortmunder Medienlandschaft nach dem faktischen Untergang der Westfälischen Rundschau nicht verkneifen: Dass es in Dortmund nur noch eine Tageszeitung gebe, können den Internetauftritten der Rechten in einem bestimmten Leserspektrum durchaus eine gewisse Resonanz bescheren.

Offene Fragen zur Verstrickung Dortmunder Neonazis in die NSU-Morde

NSU-Gedenkstein in der Mallinckrodtstraße für Mehmet Kubasik.
Der NSU-Gedenkstein in der Mallinckrodtstraße für Mehmet Kubasik. Foto: Alex Völkel

Gefährdet sieht Sundermeyer die Dortmunder Rechte aber auch durch den vom Landtag NRW neu eingesetzten Untersuchungsausschuss zu den NSU-Morden. So hofft er auf Antworten, wieso Neonazis aus dem fernen Thüringen im Jahre 2006 ausgerechnet in Dortmund gemordet haben und ausgerechnet den Kioskbesitzer Mehmet Kubasik und zwar in einem Viertel der Nordstadt, das mit rechtsradikalen Kneipen gepflastert und Wohnsitz stadtbekannter Neonazigrößen war.

Sundermeyer verweist hier auf langjährige, sehr enge Kontakte der Dortmunder Neonaziszene zu dem im Münchener NSU-Prozess angeklagten NPD-Funktionär Ralf Wohlleben und dem heutigen NPD-Landesvorsitzenden Patrick Wieschke, die nur unzureichend ausgeleuchtet seien.

Dortmunds Zivilgesellschaft, Politik und Polizei – ein bundesweites Vorbild im Antinazi-Kampf

Wichtiger als diese selbstgemachten Kalamitäten sind für Sundermeyer aber die vielfältigen Aktivitäten der Gegenseite, der Zivilgesellschaft, Politik und Polizei, die, nach langen Anlaufschwierigkeiten, den Neonazis in Dortmund mittlerweile „kaum Platz zum Atmen“ ließen.

800 Linksautonome und Antifaschisten zogen vom Hauptbahnhof ins Kreuzviertel. Foto: Alex Völkel
Linksautonome und Antifaschisten haben oft ein ambivalentes Verhältnis zur Polizei.

Sundermeyer, der in Berlin lebt, berichtet von Abgeordneten, die von ihrem Senat wissen wollen, warum man in Berlin nicht ebenso den dortigen neonazistischen „Nationalen Widerstand“ verbieten könne. Dortmund und NRW hätten es doch vorgemacht.

Schönes Zeichen für den Dortmunder Erfolg und die Stabilität der deutschen Demokratie insgesamt sei auch, dass die hiesigen Nazis oft in Krisenstaaten wie Griechenland oder Bulgarien ausweichen müssten. Denn nur dort könnten sie sich freier bewegen und sich einbilden, dass ihr Traum vom bevorstehenden Sturz des ihnen verhassten Systems eine Realisierungschance habe.

Lob für die Polizei sorgte für Widerspruch im Publikum

Dieses starke Lob auch für die Polizei rief aber Widerspruch aus dem Publikum hervor: Der ehemalige DGB-Vorsitzende Eberhard Weber, ein Veteran im Kampf gegen die Neonazis, bemängelte das Polizeiverhalten rund um den sog. „Rathaussturm“.

Eine Diskutantin, mutmaßlich aus dem Antifa-Spektrum, behauptete, die Polizei habe bei der Nazi-Kundgebung am 23. Mai in der Dortmunder Innenstadt und anschließend vor der vom Avanti-Bündnis besetzten Magnuskirche in der Nordstadt mit Absicht so schwache Kräfte bei den Nazis gehabt, um eine Eskalation zwischen diesen und den linken Gegendemonstranten herbeizuführen und dann die Antifa zu diskreditieren und zu kriminalisieren.

Zwischen berechtigter Kritik und abstrusen Verschwörungstheorien

Starker Protest von Deutschen und Migranten wies die Neonazis in der Nordstadt in ihre Schranken.
Starker Protest  wies die Neonazis in der Nordstadt in ihre Schranken.

Sundermeyer, der sich auch mit den gegen rechts aufgestellten Polizeiapparaten gut auskennt, verwies die Provokationsthese ins Reich der unbewiesenen Verschwörungstheorien. Die Polizei habe grundsätzlich kein Interesse an Radau, sondern wünsche „Ruhe“.

Deshalb komme es gelegentlich vor, dass sie Anwohner zwinge, ihre Transparente, mit denen sie vorbeimarschierenden Nazis die Meinung geigten, wieder abzuhängen. Und deshalb werde auch bei Hakenkreuzschmierereien nicht immer gleich ein Fass aufgemacht. Es passierten Fehleinschätzungen und Pannen, diese hätten aber eher organisationssoziologische und –psychologische Ursachen.

Auf die anstehenden Gerichtsverhandlungen rund um den Rathaussturm sei er aber sehr gespannt. Es sei zu hoffen, dass die hiesige Polizei aus dort möglichweise gemachten Fehlern ebenso schnell und gründlich lerne, wie die Hannoveraner Polizei bei der dortigen Hogesa-Kundgebung aus dem Versagen ihrer Kölner Kollegen zwei Wochen zuvor.

Hausaufgaben für die Zivilgesellschaft – Integration der Migranten in den Kampf gegen Nazis und rechte Gewalt

Bezent e.V. hatte eingeladen, eine migrantische Arbeiterorganisation. Die „Fremden“ sind nun aber die von den Nazis am heftigsten angefeindete und bekämpfte Gruppe (ihre „gutmenschlichen“ Helfershelfer erst in zweiter Linie).

Sundermeyer selbst stellte die Frage, warum sie kaum in den zivilgesellschaftlichen Bündnissen gegen Nazis vertreten ist. Die Antworten waren nicht befriedigend. Tauchen Moschee- und jüdische Gemeinden etwa ab, um die Nazis durch laute Gegenwehr nicht noch zusätzlich zu reizen? Vertrauen sie den „biodeutsch“ dominierten staatliche Organen und Personen in Polizei und Justiz nicht recht – und vielleicht zurecht? Oder gehen sie den „Huckarder Weg“ und zeigen den Nazis einfach mal die Instrumente migrantischer Selbstverteidigung, die diese dann doch lieber nicht zu spüren bekommen möchten?

Klar war allen Diskutanten, dass die Migranten in den Kampf gegen Rechtsextremismus und rechte Gewalt viel stärker eingebunden werden müssen. Eine Aufgabe für beiden Seiten, die migrantische Community wie die Mehrheitsgesellschaft. Nur dann entsteht jene offene und solidarische Gesellschaft der freien und gleichen Bürger, die das wirkliche Gegenbild zu der rassistischen Ausgrenzungs- und Unterdrückergesellschaft sein wird, von der die hasserfüllten Nazis und andere Rechte träumen.

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