Kostenübernahme: Dortmund fordert neben Bundesrat und Bundestag noch eine dritte Kammer der Kommunen

Ratssitzung der Stadt Dortmund. Archivbild: Alex Völkel

Ein Plädoyer für eine dritte Kammer auf Bundesebene hielt OB Ullrich Sierau, als er die Genehmigung des Dortmunder Haushaltes durch die Bezirkregierung kommentierte. Seine Idee: Neben dem Bundestag und dem Bundesrat müsse es eine Kammer geben, in der Kommunen die geplanten Gesetze und ihre Folgen für sie bewerteten.

Kommunen baden die Folgen von Bundes- und Landesentscheidungen aus

Daniela Schneckenburger
Daniela Schneckenburger

„Wir brauchen eine fachbezogene Kammer, die spiegelt, welche Auswirkungen Bundes- und Landesentscheidungen für Kommunen haben – auch prozedural“, begründet Sierau den ungewöhnlichen Vorschlag.

Der Grund: Immer häufiger müssen die Kommunen die Folgen von Gesetzen ausbaden, die von Bund oder Land beschlossen werden. Der aktuelle Fall ist das Unterhaltsvorschussgesetz.

Im der Sache wird das Gesetz von allen Beteiligten begrüßt. Denn es sieht vor, die Deckelung der Vorschusszahlungen auf sechs Jahre aufzuheben sowie Altersgrenze dafür von 12 Jahren abzuschaffen. Dies begrüßt die Stadt.

Allerdings werden sich dann die vom Jugendamt zu bearbeitenden Fallzahlen mehr als verdoppeln. In Dortmund gibt es bisher 4300 Fälle. Bei einer Verdoppelung braucht es rechnerisch 18 Stellen mehr. „Die muss man erst mal haben, unabhängig von der Finanzierung“, rechnet Dezernentin Daniela Schneckenburger vor.

Unterhaltsvorschussgesetz bedeutet Mehraufwand und Mehrkosten

PK Verwaltungsvorstand und Polizei Ullrich Sierau_5950 - NSB
Ullrich Sierau

Stein des Anstoßes: Dieses von SPD-Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig wurde im Dezember 2016 beschlossen und sollte zum 1. Januar 2017 in Kraft treten. „Was das für die Kommunen bedeutet, darüber hat wohl niemals jemand gedacht“, kritisiert Sierau.

Jetzt wurde der Start auf den 1. Juli verschoben. Und selbst das ist knapp, um das zusätzliche Personal zu bekommen und einzuarbeiten. Ganz abgesehen von den Mehrbelastungen: Rund sieben bis acht Millionen Euro Mehrkosten kommen auf die Stadt Dortmund zu, ohne das es Deckung dafür gibt.

„Ich bin dagegen, dass wir für die bundesrechtliche Regelung bezahlen. Das ist eine Sache zwischen Bund und Ländern. Und die machen sich wieder einen schlanken Fuß“, kritisiert der Dortmunder OB.

Kritik an Steuervorschlägen aus Arnsberg und dem Schweigen zu Flüchtlingen

Regierungspräsidentin Diana Ewert
Regierungspräsidentin Diana Ewert

Erstaunlich findet er auch die Vorschläge und Kommentare, die Regierungspräsidentin Diana Ewert den Dortmundern bei der Genehmigung mit auf den Weg gegeben hat (wier berichteten bereits). So sollten unter anderem Grund- und Gewerbesteuer erhöht und das Gespräch mit dem RVR gesucht werden.

Bemerkenswert findet er zudem, dass hingegen das Thema Flüchtlinge mit keinem Wort erwähnt wird. „Das ist eine Mehrbelastung, die massiv ist und zweistellige Millionenbeträge abgefordert hat“, so Sierau – ebenfalls ein Thema, wo die Kommunen Bund und Länder viel stärker in der Pflicht stehen. Auch jetzt noch sind viele finanzielle Risiken nicht absehbar – von den Kosten der Integration ganz abgesehen.

Lob gab es allerdings für die schnelle Genehmigung des Haushaltes: So früh lag sie bisher noch nie vor.  „Für uns ist das ein großer Segen, weil wir im Baubereich so viel zu tun haben, dass eine späte Genehmigung das tangiert hätte“, kommentiert Kämmerer Jörg Stüdemann den Brief aus Arnsberg. „So gehen wir jetzt mit Volldampf an die Arbeit.“

Dies bedeutet ein Konjunkturprogramm für die regionale Wirtschaft – der Haushalt sieht Investitionen der öffentlichen Hand im dreistelligen Millionenbereich vor, die zudem noch viele private Investitionen nach sich ziehen könnten.

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Reaktionen

  1. Jupp Posipal

    Eine dritte, kommunalorientierte Entscheidungskammer löst nicht den grundlegenden Webfehler heutiger gesellschaftlich-politischer Strukturen, sondern erhöht höchstens die Bürokratie und weitere Verzögerungsinstanzen.
    Förderer der politischen Willensbildung sind u.a. Parteien, die aufgrund erreichter Wahlerfolge ihre spezifisch aufgestellten Kandidaten in entsprechend legislativ agierenden Entscheidungsgremien (z.B. Stadtrat, Landtag und Bundestag) entsenden und dort notwendige Beschlüsse fassen.
    Wenn jetzt von einem Teil dieses Personenkreis immer mehr Gesetze und Verordnungen mit erheblichen Umverteilungen zu Lasten andere föderalistischer Organisationsebenen mehrheitlich (!) verabschiedet werden, sollten eigentlich vorher die jeweils zuständig gewählten Parteirepräsentanten (unter der gleichen Farbe) erst einmal unter sich ausmachen, wie grundlegende politische Ziele der eigenen Truppe über alle legislativen Ebenen „gemeinsam“ stringent und zielführend verfolgt werden!
    Denn eine der Hauptaufgabe eines politisch nachhaltigen und verantwortlichen Handeln ist der hoffentlich ausgewogenen Kompromiss, bzw. eine sachorientierte Entscheidung die sicherlich nicht immer alle Erwartungen vollumfänglich abdecken kann. Mal hat der eine, mal der andere Beteiligte gewisse Vorteile; insgesamt sollte sich das aber nicht über Jahrzehnte verteilt ausgleichen!
    Allerdings ist das Aussitzen, Verschieben (hier in Richtung von explodierenden Verpflichtungen für Kommunen) oder Verdrängen von weiter oft noch wachsenden Problemen ein gefährliches Anzeichen für eine nicht mehr dem Bürgerwohl verpflichtend agierende Demokratie (offensichtlich schon innerhalb heute „gepflegter“ Parteistrukturen; erst recht in der interessierenden Öffentlichkeit).
    Eine immer wieder postulierte Geschlossenheit (also möglichst parteiintern geräuschfreie Diskussion ohne Debatten im großen Stil) zementiert faktisch solche Abgrenzungstrends, und blockiert somit eine dringend und unverzichtbare Grundsatzklärung, wo das (Steuer-)Geld herkommen soll, bzw. neu zu verteilen wäre, damit die jeweilige legislative Handlungsebene welche Kernaufgaben (ohne weitere sofort sich einstelende bzw. schon explodierende sowie strukturelle Verschuldung) überhaupt dauerhaft erfüllen kann.
    Völlig unabhängig von politisch gefärbten bzw. persönlich ausgetragenen Grabenkämpfen (d.h. medienorientierte Selbstdarstellungen oder Volksverdummung ohne wirkliche Substanz) würde unzweifelhaft recht schnell klar werden, das über kaum noch einnahmegedeckte öffentliche Haushalte (Steuerverteilung nach dem St. Florians- oder Klientelprinzip) beispielsweise der beklagenswerte Zustand vieler kommunaler Infrastrukturen, z.B. mit den teilweise hirnlosen Subventions- oder Zuschussverteilungsmentalität auf Landesebene; sowie den Steuergeschenken bzw. Ungerechtigkeit der jeweiligen Bundesregierung pekunär irgendwie zusammenhängen.
    Deshalb hilft auch keine dritte Kammer als institutionelle Klagemauer, wenn leider heutige Politikertypen sich um derartige Grundsatzfragen auch an anderen entscheidenden Stellen bzw. Zukunftsthemen herumdrücken, um ja nicht persönlich über Gebühr aufzufallen (und indirekt die eigene Karriere zu gefährden). Es reicht ständige Zuversicht, mit gelegentliche medienwirksam vorgetragenen Einzelforderungen, unter begleitender, zumeist personenbezogener Diskreditierung der jeweiligen Opposition. Nach einem Regierungswechsel geht es genauso andersrum, verbunden mit einer schlagartigen Demenz bezüglich eigener Forderungen vor der Wahl .
    Die etablierten Strukturen haben so das heutige Staatswesen finanziell abgewirtschaftet, und die andererseits erstarkten Populisten (hauptsächlich wegen nicht wirklich wahrgenommen Einzelprotesten oder still anwachsender Verärgerungen) geben ihm des Rest.
    Armes Deutschland !

  2. Fraktion Linke & Piraten

    Haushaltsgenehmigung mit kritischen Aussagen

    Der Haushalt der Stadt ist genehmigt. Doch in ihrer Begründung spart die Regierungspräsidentin nicht mit Kritik und widerspricht sich doch am Ende selbst. „Die Begründung der Haushaltsgenehmigung liest sich streckenweise wie eine meiner Haushaltsreden“, meint Utz Kowalewski, Fraktionssprecher von DIE LINKE & PIRATEN.

    „Die Regierungspräsidentin beschreibt die Vergeblichkeitsfalle, in der Dortmund und auch andere Kommunen seit Jahren verharren. Jede noch so empfindliche Kürzungsrunde im Stadthaushalt führt nicht etwa zu einem geringeren Defizit, sondern lediglich zur Beibehaltung des Status quo. Weil Bund und Land immer mehr Aufgaben auf den Schultern der Kommunen abladen, kann das auch gar nicht anders sein. Das Konnexitätsprinzip wird bereits in Serie verletzt. Daher ist auch die Zeit, in der Dortmund noch einen genehmigungsfähigem Haushalt haben wird, ähnlich endlich wie in anderen Kommunen – nicht umsonst ist Dortmund die letzte Kommune im Ruhrgebiet, die sich nicht in der Haushaltssicherung befindet“, so Utz Kowalewski.

    „Es ist aber nicht möglich, auf Dauer gegen eine strukturelle Unterfinanzierung der Kommunen anzusparen. Vergeblichkeitsfalle nennt sich das. Inzwischen hat die Stadt rund ein Drittel ihres Eigenkapitals seit Einführung der doppelten Buchführung verzehrt. Und es ist nur eine Frage der Zeit, wann auch Dortmund einen Zustand wie Oberhausen erreichen wird und als überschuldet zu gelten hat. Linke & Piraten haben immer kritisiert, dass die mittelfristige Finanzplanung, mit der der Kämmerer die Finanzplanung für 2017 und die Folgejahre schön gerechnet hat, reine Poesie ist. In dieser Kritik fühlen wir uns nun bestätigt“, sagt Kowalewski.

    So könne man im Schreiben der Bezirksregierung schwarz auf weiß nachlesen, dass die Verschuldung in Dortmund noch weiter ansteigen werde. „Wir reden hier nicht von ein paar Millionen, sondern von Verbindlichkeiten in Höhe von 2,5 Milliarden Euro. Da darf man schon mal Schluckbeschwerden bekommen“, so Kowalewski. Vor allem, wenn man auch von offizieller Seite bestätigt bekomme, dass eine Trendwende in Dortmund nicht zu erkennen sei. „Wenn diese Entwicklung sich so fortsetzt, wird die Stadt Dortmund bald keine Haushaltsgenehmigung mehr erhalten“, so Kowalewski.

    Überraschend sei die Kritik aus Arnsberg nicht, so der Fraktionsvorsitzende. Dennoch gefalle es den Linken & Piraten gar nicht, dass die Behörde als millionenschere Lösungsvorschläge neben einer Grundsteuer-B-Erhöhung – die jeden einzelnen Mieter und Hausbesitzer treffe – auch „dringend“ Aufwandsreduzierungen bei den freiwilligen Leistungen aufführe. „Denn hier unterliegt die Regierungspräsidentin einer massiven Selbsttäuschung. Nicht die Kommunen tragen die Hauptschuld an ihrer Unterfinanzierung, sondern vor allem das Land NRW und der Bund. Hier müsste sich die Kritik der Bezirksregierung durchaus an die ihr übergeordneten Stellen richten – allen voran an den Landesfinanzminister.

    „Wir müssen verhindern, dass die Dortmunderinnen und Dortmunder vor Ort bluten, während sich in Berlin der Finanzminister in seiner schwarzen Null sonnt und die Kommunen unterversorgt im Regen stehen lässt. Daher braucht es sowohl im Land als auch im Bund eine starke LINKE, die hier die Stimme zugunsten der Kommunen erhebt“, so Kowalewski abschließend.

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