FOTOSTRECKE: Die Kundgebung zum 1. Mai war wertvoll wie selten – Aber die Massen bleiben dem politischen Teil fern

1. Mai 2016 Solidaritätsdemonstration Innenstadt Westfalenpark
Zeit für mehr Solidarität war das Motto der Demo zum Tag der Arbeit. Foto: Leopold Achilles

Von Susanne Schulte

„Proletarier aller Länder – vereinigt euch!“ Diesen Aufruf haben die TeilnehmerInnen der Mai-Kundgebungen in Dortmund wohl seit Jahren nicht vom Hauptredner der Veranstaltung gehört. André Hemmerle aus dem Vorstand der Nahrungsmittel-Gewerkschaft in Frankreich schloss mit diesem Satz seine Rede im Westfalenpark.

Hauptredner André Hemmerle aus Frankreich berichtete von Erfolgen der Solidarität in seinem Land

1. Mai 2016 Solidaritätsdemonstration Innenstadt Westfalenpark
Die Demo führte vom Platz der alten Synagoge zum Westfalenpark. Foto: Leopold Achilles

Vorher hatte er mit Beispielen aus seinem Land erzählt, wie Solidarität Arbeitsplätze erhalten und den Kapitalismus, wenn auch nur punktuell, bremsen kann.

Er berichtete unter anderem von dem 136 Tage währenden Streik in einem Betrieb von Uni Lever im Süden Frankreichs. Die Firmenleitung wollte die Produktion in Polen aufnehmen. Der Streik hatte Erfolg.

Jetzt haben die Beschäftigten den Betrieb als Kooperative übernommen, kaufen für die Tees die Pflanzen aus der Umgebung, was dort der Landwirtschaft wieder hilft.

In so einem wichtigen Wirtschaftszweig wie der Nahrungsmittelindustrie, so Hemmerle, der seine Rede auf Deutsch vortrug, sollten die ArbeitnehmerInnen die Produktionsbedingungen bestimmen und nicht das Kapital, das nur an zweistellige Renditen dächte.

„Man preist uns das soziale Europa. Nichts ist sozial in diesem Europa.“

Jutta Reiter, André Hemmerle und Manfred Sträter im Westfalenpark.
Jutta Reiter, André Hemmerle und Manfred Sträter im Westfalenpark. Foto: Alex Völkel

30000 Arbeitsplätze in der Nahrungsmittelindustrie seien seit 2008 vernichtet worden, die Zahl der Arbeitslosen in Europa sei seit 2008 um 70 Prozent gestiegen. „Man preist uns das soziale Europa. Nichts ist sozial in diesem Europa.“

Das Europa der Völker sei ein Europa des Kapitals. Eine Europa, dass Flüchtlinge an die Türkei verkaufe, Menschen, die sich durch das Eingreifen Europas in ihren Ländern auf den Weg in ein sicheres Leben machen müssten.

War in Frankreich bereits 1936 die 40-Stunden-Woche eingeführt worden, sollten die Beschäftigten heute wieder Zwölf-Stunden-Tage arbeiten, die Kündigungen sollten für die Arbeitgeber erleichtert werden, die Abfindungen gekürzt. Dafür bekämen die Geschäftsführer von Peugeot das doppelte Jahresgehalt, wenn sie Arbeitsplätze vernichteten.

In Deutschland heißen die Firmen anders, aber die Bedingungen und die Aussichten für die ArbeitnehmerInnen sind die gleichen. So freuten sich dann auch Jutta Reiter, die DGB-Vorsitzende, und Manfred Sträter, der heimische NGG-Vorsitzende, über zwei historische Gewerkschaftsplakate aus dem Nachbarland, die André Hemmerle als Gastgeschenk mitgebracht hatte. Darunter die Forderung nach der 40-Stunden-Woche aus den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts.

Nach der Rede wurde über Politik nur noch an den Ständen der vielen Gruppen und Parteien geredet

1. Mai 2016 Solidaritätsdemonstration Innenstadt Westfalenpark
Die Solidaritätsdemonstration führte von der Innenstadt zum Westfalenpark. Foto: Leopold Achilles

Angesichts der heutigen Arbeitsbedingungen und der vielen Menschen ohne Arbeit war die Teilnahme an der politischen Veranstaltung zum 1. Mai aber gering.

„Wären die vielen Rentner nicht dabei und die kurdischen Gruppen, könnte man den Zug vergessen“, meinte denn auch ein Gewerkschafter, der treu seit Jahrzehnten dabei ist.

Im Park dann, beim Familienfest, waren es schon deutlich mehr Menschen. Doch die Politik war hier zweitrangig. Es wurde gegessen und getrunken, gequatscht und gesungen.

Wer sich jedoch informieren wollte, konnte über jede anstehende politische Entscheidung sachkundige Informationen bekommen: Über TTIP und über Energiegewinnung, über folternde Staaten und über weitere Schikanen für Menschen, die Sozialhilfe beziehen müssen.

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Reaktionen

  1. ver.di NRW

    Frank Bsirske zum Tag der Arbeit: Gesetzliche Rente muss wieder das Erfolgsmodell der Alterssicherung werden

    „Für einen schnellen und deutlichen Kurswechsel in der Rentenpolitik“ hat sich der Vorsitzende der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), Frank Bsirske, heute in seiner Rede zum „Tag der Arbeit“ bei der DGB-Kundgebung in Krefeld ausgesprochen.

    „Nach jahrzehntelanger Arbeit haben alle Menschen das Recht, ein anständiges Leben in Würde führen zu können. Deshalb muss die gesetzliche Rente wieder das Erfolgsmodell der Alterssicherung für die Menschen in Deutschland werden“, sagte Bsirske. Das sei eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die keinen Aufschub duldet“.

    Schon in wenigen Jahren drohe mehr als elf Millionen Menschen hierzulande die Altersarmut. Betroffen seien Beschäftigte bis zu einem Verdienst von 2.500 Euro. Dem könne man nur durch eine Stabilisierung und Anhebung des Rentenniveaus auf mindestens 50 Prozent entgegen wirken. „Gegen den Grundpfeiler gesetzliche Rente sind die Betriebsrenten nur eine Säule und die Riester-Rente nicht einmal ein Stöckchen“, so Bsirske. Die Riester-Rente sei eine Fehlkonstruktion, die man unter Berücksichtigung der bisherigen Ansprüche von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern beenden müsse. Staatliche Mittel für die Riester-Rente seien in der gesetzlichen Rentenversicherung besser aufgehoben.

    „Die Finanzierbarkeit einer höheren Rente ist allein eine Frage des politischen Willens und der Solidarität“, erklärte Bsirske. Über eine stärkere Besteuerung von Kapitalerträgen könne man die Anhebung der gesetzlichen Rente finanzieren. Eine Erhöhung der Rentenbeiträge bei einer angemessenen Beteiligung der Arbeitgeber sei kein Tabu. Es gehe darum, massenhafte Altersarmut in einem der reichsten Länder der Welt zu verhindern. Der Gewerkschaftsvorsitzende warnte die Politik davor, „den notwendigen Kurswechsel klein zu reden“. Ansonsten drohe ganzen Regionen mit einem hohen Anteil von Beschäftigten im unteren Lohnbereich die Verarmung. Bsirske setzte sich für eine reformierte gesetzliche Rentenversicherung ein, in die auch Selbständige und Freiberufler einzahlen. „Es ist Zeit für mehr Solidarität“, sagte der Gewerkschafter.

    „Die soziale Gerechtigkeit in Deutschland ist in den letzten Jahren kräftig unter die Räder gekommen“, kritisierte Bsirske. „Unser Land ist heute ungerechter und ungleicher“. Der Umbau der sozialen Sicherungssysteme habe Armutslöhne und unsichere Jobs wachsen lassen. Folge sei eine Aushöhlung der Tarifsysteme mit der Wirkung, dass Tarifverträge für 40 Prozent der Beschäftigten nicht mehr gelten. „Die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns und die erleichterte Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen waren wichtige Schritte. Jetzt müssen wir das Tarifsystem weiter stärken, den Mindestlohn schnell erhöhen und Minijobs, ungleich bezahlte Zeitarbeit, unfreiwillige Teilzeitarbeit und Werkverträge durch reguläre Beschäftigung ersetzen“, forderte der ver.di-Vorsitzende.

    Der Politik warf Bsirske vor, „dem asozialen Treiben von Steuerhinterziehern lange Zeit tatenlos zugesehen“ zu haben. Es wäre die Aufgabe von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, „Rechtsgeschäfte mit anonymen Briefkastenfirmen schlicht zu verbieten“. Dies sei eine richtige Idee von Altbundeskanzler Helmut Schmidt gewesen. „Die Oberschichtenkriminalität ist mitverantwortlich für durchlöcherte Straßen, gesperrte Brücken, geschlossene Bibliotheken und fehlende Kita-Plätze,“ sagte Bsirske. Unterstützt würden die Steuerkriminellen unter anderem von 28 deutschen Geldhäusern, die Panama-Briefkästen an ihre Kunden vermittelten.

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