Flüchtlingssituation: Dortmunder Ratsmitglieder üben scharfe Kritik an NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD)

Ratssitzung Dortmund Oktober 2014
Viele Ratsmitglieder forderten Land und Bezirksregierung zum handeln auf.

Der Rat der Stadt Dortmund hat das Land und den Bund in einer Resolution aufgefordert, die Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) in Hacheney mit den erforderlichen personellen Ressourcen auszustatten und weitere Einrichtungen im Land zu eröffnen, um ein geregeltes Asylverfahren zu ermöglichen.

OB kritisiert das „Schwarze-Peter-Spiel“ bei der Verantwortlichkeit

Rechtsdezernentin Diane Jägers (CDU) machte eindringlich auf die Probleme in der Erstaufnahmeeinrichtung Hacheney aufmerksam.
Rechtsdezernentin Diane Jägers (CDU) machte eindringlich auf die Probleme aufmerksam.

Zuvor hatte die Dortmunder Rechtsdezernentin Diane Jägers (CDU) ausführlich die Situation vor Ort geschildert. 27 Prozent aller in Deutschland ankommenden Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge werden durch die Dortmunder Einrichtung durchgeschleust.

Die Dortmunder Parteien sparten auch nicht mit Kritik an NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD). „Das Schwarze-Peter-Spiel ist wenig hilfreich und der Sache nicht angemessen“, betonte Oberbürgermeister Ullrich Sierau und dankte den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Einrichtung, die sich „richtig reingekniet haben“.

Rechtsdezernentin Diane Jägers: „Ein geordnetes Verfahren funktioniert kaum noch“

„Es kommt nicht überraschend, dass wir in Hacheney zulaufen: Deutschland hat die Aufnahme-Strukturen nach dem Asyl-Kompromiss massiv zurückgefahren“, erinnerte Rechtsdezernentin Diane Jägers in einem umfangreichen Bericht zur Situation der Erstaufnahmeeinrichtung des Landes in Hacheney.

Früher hatte jeder Regierungsbezirk eine EAE und es gab in NRW 19 Aufnahmeeinrichtungen  – aber nur bis zum Jahr 2007. Am Ende Jugoslawienkriegs gab es nur eine EAE in Düsseldorf – heute zwei (in Dortmund und Bielefeld).

„Mittlerweile klopfen Hunderte unangemeldet an der Pforte in Dortmund an, um einen Asylantrag zu stellen“, verdeutlichte Jägers die Situation. „27 Prozent aller bundesweit auflaufenden Asylbewerber und Bürgerkriegsflüchtlinge laufen durch Dortmund. Doch das geordnete Verfahren funktioniert kaum noch“, betonte Jägers.

Dortmunder SPD-Fraktion kritisiert das Weggucken der Landesregierung

Dirk Goosmann, SPD Ratssitzung Dortmund Oktober 2014
Auch SPD-Ratsherr Dirk Goosmann kritisierte „seinen“ NRW-Innenminister.

Dirk Goosmann (SPD) erinnerte daran, dass die Stadt schon mehrfach auf die Anforderungen reagiert habe und erinnerte an die Umfunktionierung der Hauptschule Derne als Notqueratier, um Herr der Lage zu werden. „Schon damals haben wir dringend ans Land appelliert und um Hilfe gebeten, um die Engpässe zu beseitigen.“

„Es kann nicht sein, dass man beim Land sehenden Auges bei steigenden Zahlen so tut, als wäre nichts gewesen. Auch die Berichte haben nicht zu einem Umdenken im großen Stil geführt.“ Goosmann bat die Anwohner um Verständnis. „Und ich möchte mich bei den Menschen entschuldigen, die am meisten unter der Situation leiden. Die Flüchtlinge sind mit untragbaren Bedingungen konfrontiert“, so der SPD-Politiker: „Wir müssen uns ein Stück weit dafür schämen, wie die Zustände sind!“

Grüne: Flüchtlinge brauchen Schutz – nicht nur vor Wachleuten

Ulrich Langhorst, Grüne Ratssitzung Dortmund Oktober 2014
„Der Zustand für die Flüchtlinge ist unzumutbar“ sagte Ulrich Langhorst von den Grünen.

Die Berichte von Diane Jägers zeigten sehr beeindruckend und plastisch, vor welchen Herausforderungen die Mitarbeiter vor Ort stehen stünden, machte Ulrich Langhorst (Grüne) deutlich.

„Ich bin froh, dass wir in in einer Stadt wohnen, die von Offenheit und Toleranz geprägt ist und für menschenwürdige Versorgung und ein faires Asylverfahren eintritt.“

Aber die Bemühungen reichten nicht: „Die Zahlen werden auch in Zukunft weiter steigen. Die Bezirksregierung ist in der Pflicht, ausreichend Plätze zur Verfügung zu stellen“, so Langhorst. „Der Zustand ist für Flüchtlinge als auch Mitarbeiter unzumutbar. Wir brauchen mehr Erstaufnahmeneinrichtungen – ich schließe mich ihrer Forderung an“, sagte der Grüne zur Dezernentin.

„Wir brauchen eine weitere Entlastung des städtischen Haushalts und einen Betreiber der Einrichtungen, der Standards und Personalschlüssel aufrecht erhält.“  Denn die Bilder aus Burbach seien unerträglich: „Das erinnert an Abu Ghraib und Guantanamo. Die Flüchtlinge können zurecht Schutz erwarten und nicht, dass sie vor Sicherheitsdienst beschützt werden müssen“, so Langhorst.

FDP: „Wir werden unseren eigenen Vorstellungen nicht mehr gerecht“

Ratssitzung Dortmund Oktober 2014
„Wir werden unseren eigenen Vorstellungen von Menschenwürde nicht mehr gerecht, so Lars Rettstadt (FDP).

„Es ist ein schwieriges Thema –  auch deshalb, weil wir unseren eigenen Vorstellungen von Menschenwürde selber nicht gerecht werden“, betonte Lars Rettstadt. „Wir müssen den Menschen ein vernünftiges Verfahren ermöglichen und ihnen ihre Menschenwürde zurückgeben.“

Die Probleme seien vorhersehbar gewesen und es hätte daher nicht dazu kommen müssen: „Es ärgert mich und macht mich fuchsteufelswild, dass das Land seit zwei Jahren Bescheid weiß und nichts passiert“, betonte der FDP-Politiker. „Die Menschenwürde ist unantastbar. Lassen sie uns weiter sorgen, dass es dabei bleibt.“

„Dass Jäger dann Jägers vorwirft, Stimmungsmache zu betreiben, stellt Sache auf den Kopf. Dafür sollte sich dieser Innenminister bei in entschuldigen“, sagte Rettstadt. Detlef Münch (FBI) legte noch einen drauf: „Frau Jägers, sie haben Weitsicht bewiesen und Herr Jägers seine Inkompetenz.“

Rechtsextreme im Sicherheitsdienst: „Das ist ein klares Organisationsversagen“ kritisiert die Linke

Fatma Karacakurtoglu (Linke), Ratssitzung Dortmund Oktober 2014
Fatma Karacakurtoglu (Linke) forderte, die Asylrechtsdebatte neu aufzurollen.

„Das Versagen steht außer Frage. Aber nur die Überfüllung zu thematisieren, greift zu kurz“, kritisierte Fatma Karacakurtoglu (Linke). „Wir müssen grundsätzliche Fragen stellen, zum Beispiel das Recht auf Gleichbehandlung, auf Bildung und Ausbildung, auf Zugang zum Arbeitsmarkt und das Recht auf ein menschenwürdiges Leben. Da haben wir Nachholbedarf.“

Die Linken-Politikerin forderte, dezentrale und menschenwürdige Unterbringung als Ziel festzuschreiben. Außerdem übte sie scharfe Kritik daran, dass es Sicherheitsmitarbeiter mit rechtsextremen Gedankengut geschafft hätten, in Flüchtlingsunterkünften angestellt zu werden. „Das ist ein klares Organisationsversagen“, so Karacakurtoglu.

CDU-Kritik: Die Landesregierung nimmt die Situation nicht ernst

Christiane Krause (CDU), Ratssitzung Dortmund Oktober 2014
Christiane Krause (CDU) dankte der Dezernentin für den umfassenden und offenen Bericht.

Christiane Krause (CDU) dankte „ihrer“ Dezernentin für den umfassenden und offenen Bericht.

„In schwierigen Notsituationen wurden in Dortmund immer kurzerhand Schulgebäude und Turnhallen zur Verfügung gestellt. Doch das konnte immer nur die Ausnahme, aber nicht die Regel sein.“

Krause kritisierte, dass seit 16 Monaten von der Stadt die Probleme dem Land vorgetragen würden, ohne das dies dort ernst genommen würde: „Die Situation für Flüchtlinge, Mitarbeiter und Anwohner ist kaum noch tragbar.“ Die Untätigkeit und Handhabung des Themas in Düsseldorf und Arnsberg habe dies vielleicht noch befördert.

Und dann versuche das Land, die Stadt auch noch auszutricksen, weil sie auf die städtische Zuständigkeit für Obdachlosigkeit verweise – es fehlen für die Hilfesuchenden Schlafplätze. „Wir haben aber kein Obdachlosen-, sondern ein Flüchtlingsproblem. Und das Land ist originär dafür zuständig“, so Krause. „Die Einrichtungen müssen gut ausgestattet werden, damit effiziente Arbeit möglich ist.“

Mehr zum Thema und den Problemen gibt es auf Nordstadtblogger.de:

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Reaktionen

  1. Heinrich F.

    Vielen Dank für den Beitrag. Dass das Thema mit so deutlichen Worten im Rat behandelt wurde, wusste ich nicht. Ich war selbst schon in der EAE und kann bestätigen, dass die Zustände dort schlimm sind, obwohl die MitarbeiterInnen der Stadt und Vereine sehr bemüht sind, das beste draus zu machen.

    Außerdem muss man in dem Zusammenhang nicht nur von Dortmund und Bielefeld sprechen, sondern auch von der ZUE in Hemer. Die Zustände dort haben mich auch erschreckt.

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