Nordstadt hautnah: Ein Rundgang mit Quartiershausmeister Andreas Horst im Schleswiger Viertel

Andreas Horst (vorne) im Friseursalon Anas mit Besitzer-Paar Mariam und Kanem Reefaai und Friseur Danny, v. r.
Andreas Horst (vorne) im Friseursalon Anas mit Besitzer-Paar Mariam und Kanem Reefaai und Friseur Danny, v. r.

„Heute ist nicht viel los“, bemerkt Andreas Horst zu Beginn seines täglichen Rundgangs durch das Schleswiger Viertel. Horst ist hier nun gut seit einem Jahr Quartiershausmeister. Wenn er feststellt, dass nicht viel los ist, bedeutet das in der Regel,  dass die meisten illegalen Müllablagerungen schon beseitigt sind. „An dieser Stelle stand gestern noch ein Einkaufswagen vollgestopft mit Müll, den hat die EDG wohl heute in der Frühe abgeholt“, sagt er und zeigt ein Foto auf seinem Handy.

Quartiershausmeister ist der kurze Draht zwischen Anwohner, Hauseigentümer und städtischen Behörden

In einem der Hinterhöfe fotografiert Andreas Horst eine Müllablagerung
In einem der Hinterhöfe fotografiert Andreas Horst eine Müllablagerung

Andreas Horst dokumentiert jedes Müllvorkommnis in seinem Viertel fotografisch und schriftlich, führt Statistiken über Ort und Dauer der Ablagerungen.

„Ich ruf dann bei der EDG an und meistens wird es am selben Tag noch abgeholt“, lobt er die Zusammenarbeit mit dem städtischen Entsorger. Seit er seinen Dienst aufgenommen hat, ist das Schleswiger Viertel sauberer geworden. Er ist ein Vermittler zwischen Anwohnern, Hauseigentümern, städtischen Ämtern und Betrieben.

„Wo es sauber ist, da schmeißt man auch so schnell nicht wieder etwas hin“, erklärt er menschliche Verhaltensweisen. Andreas Horst ist Handwerker, er ist Praktiker, er möchte schnell Ergebnisse sehen. Den Müll im Viertel klassifiziert er in drei Kategorien, den Hausmüll, den gewerblichen Müll, der durchaus auch von Gewerbetreibenden im Viertel deponiert wird und der externe Müll. Das sind in der Regel Möbelstücke, die von Auswärtigen im Viertel abgeladen werden, wie er beobachten konnte: „So viele Sofas kann es hier gar nicht geben.“

Das Schleswiger Viertel ist der Arbeitsplatz von Quartiershausmeister Andreas Horst

In der Alsenstraße liegt ein Mann auf zwei ausrangierten Polstern und schläft auf offener Straße. Die Armutsmigration aus Süd-Osteuropa zeigt sich hier besonders deutlich.

Das Schleswiger Viertel ist ein Viertel voller krasser Gegensätze: Auf der einen Seite sind da ermutigende Entwicklungen: Es gibt einige Häuser, die eingerüstet sind und auf eine Renovierung warten. Auf der anderen Seite das Elend, das sich in überbelegten Häusern mit Matratzenlagern nur wenige Meter weiter manifestiert.

Andreas Horst ist Nordstädter seit seiner Geburt

Andreas Horst vor dem Wandbild am Schleswiger Platz
Andreas Horst vor dem Wandbild am Schleswiger Platz

An der Ecke Nord-Missundestraße grüßt ein Trupp Handwerker, der sich zur Frühstückspause vor dem Haus auf der Treppe niedergelassen hat von weitem. Das Haus soll eine Einrichtung für Tagesmütter werden.

„Andreas ist der Beste hier“, lobt Dimitri Stofast den Quartiershausmeister. „Weißt du, es gibt Leute, die arbeiten nur des Geldes wegen und lassen den Hammer pünktlich zum Feierabend fallen, andere machen ihre Arbeit einfach gerne; zu letzteren gehört Andreas“, ist der Bauhandwerker voll des Lobes. „Und er hat Lebenserfahrung“, ergänzt Dimitri.

Zudem hat er eine emotionale Bindung zu seinem Arbeitsplatz: Der 52-jährige ist in der Nordstadt geboren und am Nordmarkt aufgewachsen. Vierzig Jahre seines Lebens hat er hier verbracht. Der gelernte Funkelektroniker hat sein Geld als Servicetechniker für Schwimmbadanlagen verdient – zuletzt sechs Jahre in der Selbstständigkeit.

Eine Krankheit, verbunden mit den Folgen einer ärztlichen Fehlbehandlung, sorgten dafür, dass er ein halbes Jahr aussetzen musste. Wieder zurück im Berufsleben sorgte eine weitere Erkrankung für die Erkenntnis, nicht wieder in seinem alten Job tätig werden zu können.

Das Konzept für den Arbeitsplatz im Viertel wurde während der Zeit beim Quartiersmanagement entwickelt

Schild an der Hauswand soll ein Qualitätsmerkmal werden
Schild an der Hauswand soll ein Qualitätsmerkmal werden

Andreas Horst landete in Hartz IV. Seine Perspektive: eine Arbeitsgelegenheit (AGH). Als AGH-Kraft für 1,50 € die Stunde wurde er im Büro des Quartiersmanagement beschäftigt. Hier entwickelte er das Konzept für den Quartiershausmeister. Den Arbeitsplatz finanziert das Job-Center zu 60 Prozent, die restlichen vierzig Prozent steuern der Arbeitgeber Stadtteil Schule e. V. und die Hauseigentümer im Viertel dazu.

Für die hat er sich ein Logo einfallen lassen. „Mitglied der IG Schleswiger Viertel“ steht auf dem Schild aus Plexiglas, das an einigen Hausfronten angebracht wurde. „Das funktioniert so wie ein Qualitätssiegel“, erklärt er. Interessierten Mietern soll es anzeigen, hier eine Wohnung unter verantwortungsvoller Eigentümerschaft zu beziehen.

Quartiershausmeister bietet unkonventionelle Hilfen für Gewerbetreibende, Hauseigentümer und Anwohner

Weiter auf der Nordstraße steht Kanem Reefaai vor dem neu eröffneten Friseursalon Anas. Vor einem Monat hat seine Frau Mariam das Geschäft eröffnet. Das Ehepaar lädt auf einen Kaffee in den Salon. Das Paar hatte Probleme wegen ungeklärter Mietverhältnisse. Das Haus stand unter Zwangsverwaltung durch eine Bank.

Sprachliche Barrieren sorgten für ein Dilemma, das Andreas Horst lösen konnte. Zusammen mit dem Ehepaar suchte er die Bank zum Gespräch auf und vermittelte in dem Konflikt. So konnte der Leerstand eines weiteren Ladenlokals im Viertel vermieden werden.

Auf dem Weg zum Schleswiger Platz trifft er einen jungen Mann, der mit einem Brief winkt. „Ich hab die Schnauze voll von dieser Gegend“, sagt er. „Ich kündige meine Wohnung und ziehe weg!“ Viermal ist sein Auto aufgebrochen worden, der Keller des Studenten im Haus blieb auch nicht vor Einbrüchen verschont.

„Schade“, bedauert Andreas Horst den Auszug, „solche Leute braucht das Viertel“, und denkt im Geiste an den Verlust eines wichtigen Spielers im Gefüge des imaginären „FC Schleswiger Viertel“. Zwanzig Jahre lang hat der ehemalige Juniorenspieler der Borussia eine Jugendmannschaft im gehobenen Bereich, sprich zweite Liga, trainiert.

Neue Pläne für die Gestaltung des Schleswiger Platzes unter Beteiligung der Anwohner

Andreas Horst im Gespräch mit einer Polizeistreife
Andreas Horst im Gespräch mit einer Polizeistreife

Am Schleswiger Platz angekommen, berichtet er von Plänen das Rasenstück, das zur Zeit den Hunden als Toilette dient, in eine Außengastronomie zu verwandeln. Der Besitzer eines Balkangrill um die Ecke hat Interesse bekundet.

Für das neu zu verlegende Pflaster an der Stelle hat er eine Idee. „Jeder Bewohner könnte so einen Stein selbst gestalten“, beispielsweise mit seinem Namen. Mit einer wetter- und -trittfesten Versiegelung könnte so für eine Identifikation mit dem Wohnumfeld gesorgt werden.

„Ich bin noch auf der Suche nach einem solchen Material“. Eine Polizeistreife hält. Aus dem Fahrzeug steigt Uwe Müller und sein Kollege vom Schwerpunktdienst. Man tauscht sich aus über die neuesten Neuigkeiten aus der Gegend, redet über Fußball. „Es ist wichtig für mich, mit den Beamten gesehen zu werden, schon für meine eigene Sicherheit“, sagt Horst.

Prostitution ist neben dem Müll eines der großen Probleme rund um den Schleswiger Platz. Auch da wirkt die Anwesenheit des Quartiershausmeister störend – manchmal, nicht hauptsächlich. Als eine regionale Tageszeitung einmal über seine Arbeit mit der Schlagzeile „Quartiershausmeister vertreibt Freier aus der Nordstadt“, berichtete, war ihm die Aufmerksamkeit des Boulevards gewiss.

Ein Fernsehteam zog enttäuscht ab, als Andreas Horst ihnen „ad Hoc“ nichts Spektakuläres bieten konnte.

Die Verbesserung von sozialer Kontrolle, Identifikation und der Gemeinschaft im Quartier stehen im Vordergrund

So geht er alltäglich alleine seine Runden durch das Quartier und ist Ansprechpartner für viele Menschen. Fünf Stunden am Tag ist er auf der Straße unterwegs. Den Rest seiner Arbeitszeit verbringt er mit der Dokumentation der Geschehnisse des Tages.

Apropos, da war noch die Hauseigentümerin, bei der in der Nacht zu Samstag, die Polizei, laut Aussage ihrer Mieter, im Haus war. Da will Andreas Horst noch mal nachfragen. Da war noch der Mann, der sich darüber beschwerte, dass gerade eben noch jemand Müll aus dem Fenster geworfen hat. Und da war noch der türkische Gemüsehändler, der das Haus, in dem sich sein Geschäft befindet, gekauft hat – stolz zeigt er dem Quartiershausmeister die frisch gestrichenen Fassade nebst neuen Fenstern… Ganz schön viel los an dem Tag, an dem eigentlich nicht viel los ist!

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