Dortmunder SPD-Fraktion feierte ihren 70. Geburtstag: „Die Sorgen der Menschen stehen stets im Mittelpunkt“

Zahlreiche (Ehren-) Gäste kamen zum 70. Geburtstag der SPD-Fraktion.
Zahlreiche (Ehren-) Gäste kamen zum 70. Geburtstag der SPD-Fraktion. Fotos: Alex Völkel

Von Joachim vom Brocke

Es war schon fast ein großes Familienfest. In der Bürgerhalle des Rathauses feierte die SPD-Fraktion ihren 70. Geburtstag. Das Motto hieß: „Gestern – Heute – Morgen“. Prominenter Gast, Festredner und wahrlich kein Unbekannter in Dortmund: Franz Müntefering, der ehemalige SPD-Parteivorsitzende.

Kabarettistin Lioba Albus: „70 Jahre sind ja heute kein Alter, allenfalls Best Ager“

Kabarettistin Lioba Albus moderierte und gab Kostproben ihres Könnens.
Kabarettistin Lioba Albus moderierte.

Viele Freunde und Weggefährten, darunter etliche ehemalige Mandatsträger, waren gekommen. Nicht nur um Rückblick auf sieben Jahrzehnte erfolgreicher sozialdemokratischer Kommunalpolitik zu halten, sondern zugleich das Versprechen mitzunehmen, dass die „Menschen mit ihren Bedürfnissen und Sorgen nach wie vor im Mittelpunkt stehen werden“, wie es Fraktionsvorsitzender Norbert Schilff auch für die Zukunft versprach.

Mut kam schnell von der Kabarettistin Lioba Albus, für die 70 Jahre kein Alter bedeute, allenfalls ein „Best Ager, wie es heute so schön heißt“ (bestes Alter). In seiner Begrüßung erinnerte Fraktionschef Norbert Schilff an den 13. Oktober 1946, als erstmals nach dem Krieg der Rat frei gewählt wurde.

„Wir sind stolz darauf, in der Stadt schon immer die tragende Kraft gewesen zu sein“. Von Anfang sei es unter der Devise „Die Stadt zuerst“ vorrangiges Ziel gewesen, Dortmund voran zu bringen. „Viele Generationen von Sozialdemokraten“, so Schilff dankbar, „haben sich dafür eingebracht und dabei mitgeholfen“.

 „Die Stadt steht heute gut da, doch wir müssen uns weiter kräftig ins Zeug legen“

v
Der Dortmunder SPD-Fraktionschef Norbert Schilff begrüßte die Gäste im voll besetzten Bürgersaal.

Insgesamt engagieren sich in Dortmund 130 000 Menschen ehrenamtlich in den verschiedensten Bereichen, auf den unterschiedlichsten Gebieten.

Gleichwohl möchte Norbert Schilff die kommunalpolitische Arbeit vor Ort attraktiver machen und forderte vor allem junge Leute zum Engagement auf. So seien allein montags in den offenen Fraktionssitzungen „manchmal bis zu 70 Leute vor Ort, die ihre Kenntnisse und Erfahrungen mit einbringen“.

Die SPD habe in den zurückliegenden 70 Jahren Dortmund geprägt: „Die Stadt steht heute gut da mit aktuell über 600 000 Einwohnern und 320 000 versicherungspflichtig Beschäftigten“, freute sich Schilff und versicherte, „dass wir uns weiter kräftig ins Zeug legen werden“.

Norbert Schilff erinnerte zudem an Fritz Henßler, den ersten SPD-Fraktionsvorsitzenden und späteren Oberbürgermeister von Dortmund.

Müntefering: „Kohle und Stahl Garanten auf Weg zum Wohlstand“

Der ehemalige SPD-Parteivorsitzende Franz Müntefering hielt die Festrede.
Der ehemalige SPD-Parteivorsitzende Franz Müntefering hielt die Festrede.

„Wir waren nach dem Krieg in der britischen Zone auf der Seite mit dem reichen Onkel“, erinnerte Franz Müntefering an die Nachkriegszeit, die er als Sechsjähriger in Sundern erlebt habe. In Dortmund waren in den Aufbaujahren „Kohle und Stahl die Garanten auf dem Weg zum Wohlstand“.

Viele Menschen seien damals ins Ruhrgebiet auf der Suche nach Arbeitsplatz und Wohnung gekommen: „Flüchtlinge wurden sie von uns genannt, als Vertriebene haben sie sich selbst gesehen“. Das Ruhrgebiet habe tonnenweise Kohle ins damals arme Bayern geliefert. Es sei darum gegangen, „den Wohlstand gut und gerecht zu verteilen“.

Für den Nachwuchs heute seien Ausbildung und Bildung besonders wichtig. Zum bevorstehenden Wahljahr 2017 appellierte Franz Müntefering an das Grundverständnis der Demokraten; denn auch „Streit habe es bei Demokraten immer gegeben“.

Es komme darauf an, die Handlungskraft der Kommunen zu stärken, „denn die Städte und Gemeinden werden in der globalisierten Welt an Gewicht gewinnen“. Er wünsche sich eine „solidarische Gesellschaft in der es menschlich zugeht“.

Ehemalige führende Dortmunder PolitikerInnen erinnern sich an ihre Zeit

Der inzwischen 91-jährige Rolf Schäfer war  von 1973 bis 1984 SPD-Fraktionsvorsitzender.
Der inzwischen 91-jährige Rolf Schäfer war von 1973 bis 1984 SPD-Fraktionsvorsitzender.

Wenig Arbeit hatte Kabarettistin Lioba Albus beim Podiumsgespräch mit ehemaligen Politikern. Denn die Politik-Senioren brauchten kein Stichwort, erzählten von selbst. Ganz besonders beeindruckte der inzwischen 91-jährige Rolf Schäfer, Fraktionsvorsitzender von 1973 bis 1984.

Schäfer schilderte seinen Weg in die SPD im September 1945, als er seinen Vater mit in eine Versammlung begleiten musste: „Es war damals eine jämmerliche Zeit“, blickte Rolf Schäfer zurück, der sich noch gut an den ersten Auftritt von Wilhelm Hansmann nach seiner Rückkehr aus seiner Immigration erinnerte.

Gerti Zupfer bewies viel Durchsetzungskraft 

Führende SPD-Mitglieder früherer Jahre gaben Einblicke in die Arbeit.
Führende SPD-Mitglieder früherer Jahre gaben Einblicke in die Arbeit.

Oder Gerti Zupfer, die 1979 im Rat startete und in ihren sechs Wahlperioden die Gleichstellung von Frau und Mann vorangetrieben hat. „Damals waren nur wenige Frauen im Rat, insgesamt vielleicht fünf oder sechs“, erzählt sie.

Gerti Zupfer hat Durchsetzungskraft bewiesen, was seinerzeit nicht überall offene Zustimmung fand. Doch 1984 bis 1989 bekam Dortmund ein Frauenbüro und ein Gleichstellungskommission.

Ex-OB Langemeyer als „Mr. Phoenixsee“

Als „Mr. Phoenixsee“ wurde Dr. Gerhard Langemeyer von Lioba Albus begrüßt. Doch das wollte der Ex-Oberbürgermeister so nicht gelten lassen: „Die ersten Ideen, die mir von Mitarbeitern vorgelegt worden waren, fand ich sehr gut und gelungen und stand voll dahinter, doch sie landeten zunächst im ‚Giftschrank‘“.

Es sei noch zu früh gewesen, Verhandlungen mit Thyssen-Krupp über das Gelände in Hörde liefen noch und die See-Pläne sollten nicht zum Wahlkampfthema werden. Insgesamt jedoch sei der Phoenixsee gelungen – mit 800 Arbeitsplätzen und allein fünf Millionen Euro Einnahmen aus der Grundsteuer.

Prüsse: „Wahlwiederholung 2012 war überflüssig“ – Schilff protestierte als Juso gegen Rathausneubau

Die SPD feierte sich und die Arbeit für die Stadt Dortmund.
Die SPD feierte sich und die Arbeit für die Stadt Dortmund.

„Die Arbeit hat mir viel Spaß gemacht“, meinte Ernst Prüsse, Fraktionschef von 1999 bis 2014, der seit 1989 dem Rat angehörte. Bei seinem Amtsantritt ging für die SPD die Wahl verloren; sie war nicht mehr die stärkste Fraktion. Erst später gab es eine Kooperation mit der CDU. Als „wahrhaft überflüssig“ nannte Prüsse die Wahlwiederholung von 2012, die damals von anderen Ratsfraktionen angefochten und per Gerichtsbeschluss aufgehoben worden war.

Zum Schluss saßen sich OB Ullrich Sierau und Norbert Schilff gegenüber. Ullrich Sierau zeigte sich zufrieden darüber, den Strukturwandel gut hinbekommen zu haben und wünschte sich für die Zukunft „eine soziale Stadt, die für alle da ist“. Norbert Schilff will weiter Überzeugungsarbeit leisten.

Wenn sein Vorgänger Ernst Prüsse als „Strippenzieher“ in die Geschichte eingegangen ist, wolle er gerne „der Brückenbauer“ sein. Letztlich bekannte Schilff, dass er einst als Jungsozi heftig gegen den Rathausneubau (1989 eröffnet) protestiert habe und es heute sein „Lieblingsgebäude“ sei.

Mehr Informationen:
  • Zum 70. Geburtstag der SPD-Fraktion gibt es eine 64-seitige, reich bebilderte Broschüre mit vielen historischen Daten und Beiträgen.
  • Musikalisch umrahmt wurde die Feier in der Bürgerhalle des Rathauses vom Chor ProVokal unter der Leitung von Bettina Lecking.
Print Friendly, PDF & Email

Reaktionen

  1. Carsten Klink (Ratsmitglied DIE LINKE)

    „Die SPD habe in den zurückliegenden 70 Jahren Dortmund geprägt: „Die Stadt steht heute gut da mit aktuell über 600 000 Einwohnern und 320 000 versicherungspflichtig Beschäftigten“, freute sich Schilff“

    Dortmund ist eine Hochburg der Kinderarmut: In Dortmund müssen 27.787 Kinder und Jugendliche von Sozialleistungen leben. Das sind 30,3 Prozent. Also fast jedes dritte Kind. Vor fünf Jahren waren es 27,5 Prozent. Tendenz weiter steigend.

    Offizielle sind im Oktober 2016 in Dortmund 34.324 Menschen ohne Arbeit. Addiert man die Statistiktricks (Menschen über 58 Jahre, die in den letzten 12 Monaten kein Jobangebot bekommen haben, krankgeschriebene, kurzfristig arbeitsunfähige Arbeitslose, Personen aus dem Bereich Aktivierung und Berufliche Eingliederung sowie Teilnehmer an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen, darunter fallen auch sogenannte 1-Euro-Jobs) hinzu, sind 47.762 Menschen in Dortmund ohne Arbeit. Die tatsächliche Arbeitslosenqute liegt also bei 15,3 Prozent.

    Die Zunahme der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten erfolg in der Regel im Niedriglohnsektor. Das Arbeitsvolumen erhöht sich seit Jahrzehnten nicht. Somit arbeiten zwar mehr Menschen, aber sie verdienen nicht mehr.

    Die Schuldnerquote der Überschuldeten in der Stadt Dortmund liegt laut einer aktuellen Studie der Creditreform bei extremen 14,46 Prozent. Tendenz auch hier: steigend. Nur Duisburg steht bei den Großstädten mit über 400.000 Einwohnern bundesweit noch schlechter da.

    „Die Stadt steht heute gut da.“
    Kann man so sehen, ist dann nur nicht richtig.

Reaktion schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert