Die Prostituierten setzen Zeichen: „Zwangsprostitution, Menschenhandel, Kinderprostitution – Nein Danke!“

Linienstraße mit Bordellen
Seit 1904 gibt es in der Linienstraße Bordelle. In 16 Häusern arbeiten 200 Frauen. Archivbild: Alex Völkel

Von Heike Becker-Sander

Das großformatige Plakat an der tristen grauen Wand des Eckhauses Linienstraße/Steinstraße in der Nordstadt ist nicht zu übersehen. „Willkommen in der Linienstraße Dortmund“ steht über der „Nein Danke!-Botschaft“, daneben ein Frauengesicht mit lockendem Lächeln. Alles klar?! Ein Plakat, das gleichzeitig Ablehnung und Werbung dokumentiert, ist eher ungewöhnlich – vor allem an diesem Ort.

Die rund 200 Frauen, die in den 16 Häusern der Bordellstraße arbeiten, haben das Plakat finanziert

Das Plakat haben die Frauen aus der Linienstraße auf eigene Kosten angeschafft. Foto: Bettina Brökelschen
Das Plakat haben die Frauen aus der Linienstraße auf eigene Kosten angeschafft. Foto: Bettina Brökelschen

Forscht man nach, was es mit der Botschaft auf sich hat, erfährt man Erstaunliches. Die rund 200 Frauen, die in den 16 Häusern der Bordellstraße arbeiten, stehen hinter diesem Plakat. Nicht nur inhaltlich. Sie haben die Kosten dafür auch übernommen. „Das war eine ganz klare Entscheidung“, erzählt Ulla Haus, die seit 15 Jahren als Wirtschafterin in einem der Bordellbetriebe arbeitet. „Alle Frauen haben die Aussage und Gestaltung des Plakats unterstützt.“

Es war ihnen wichtig ein Zeichen zu setzen in Zeiten, in denen es immer noch Opfer von Menschenhandel gibt, Frauen – vor allem aus Osteuropa und afrikanischen Ländern – die zur Prostitution gezwungen werden und Kinder, die auf den Strich gehen. In Dortmunds Bordellstraße achten alle – Betreiber und Prostituierte – darauf, dass hier keine Frauen von Zuhältern zum Anschaffen gezwungen werden oder gar Minderjährige ihre Dienste anbieten. „Die Linienstraße ist zwar eine Bordellstraße, aber hier arbeiten nur erwachsene Frauen und sie arbeiten selbstbestimmt“, betont Sylvia, die seit acht Jahren in einem der Häuser tätig ist.

Das bedeutet unter anderem: Nicht jeder Freier kommt hier zum Zuge. „Wer betrunken rumpöbelt oder aggressiv wird, hat keine Chance.“ Anders als in manchen anderen Bordellbetrieben. „Da sind die Frauen oft verpflichtet, jeden Gast mit aufs Zimmer zu nehmen“, schildert Ulla Haus die Situation.

Das „Dortmunder Modell“ ist inzwischen weit über die Grenzen unserer Stadt bekannt geworden

Dass die Bedingungen für die Sexarbeiterinnen in Dortmunds Bordellstraße in einigen Bereichen besser als in vergleichbaren Betrieben des Rotlichtmilieus sind, liegt ganz wesentlich an einer Initiative, die als „Dortmunder Modell“ inzwischen weit über die Grenzen unserer Stadt bekannt geworden ist. Entstanden ist das „Modell“ aus dem „Runden Tisch Prostitution“, der sich 2002 in der Westfalenmetropole gründete – auf Initiative der Dortmunder Mitternachtsmission.

Einer Institution, die sich seit knapp 100 Jahren für Prostituierte einsetzt, sie bei den Dingen des alltäglichen Lebens unterstützt und auch versucht, Wege aus dem Milieu zu ebnen. Der damaligen Leiterin der Mitternachtsmission, Jutta Geißler-Hehlke, gelang es, wirklich alle relevanten Gruppierungen an den „Runden Tisch Prostitution“ zu bringen. Nicht nur Vertreter der Polizei und der beteiligten Ämter, auch die Bordellbetreiber machten schließlich mit und ließen sich auf gemeinsame Ziele ein.

Dazu gehört unter anderem auch so etwas wie freiwillige Selbstkontrolle. Die Betreiber der Bordelle und ähnlicher Etablissements und die dort arbeitenden  Frauen achten selbst darauf, dass die Prostituierten, die neu hinzukommen, über 18 sind, entsprechende Ausweispapiere haben und nicht zum „Anschaffen“ gezwungen  werden. Wobei letzteres oftmals zunächst nicht ganz eindeutig nachweisbar sein kann.

Die Erfolge des Vorgehens geben Recht und überzeugen inzwischen auch Skeptiker

„Inzwischen gibt es sogar Bordellbetreiber aus großen Städten in NRW, die bei uns anfragen, wie das Modell funktioniert“, berichtet Ulla Haus. Foto: Bettina Brökelschen
Ulla Haus weiß von Anfragen aus anderen Städten, die sich hier informieren. Foto: Bettina Brökelschen

Der Erfolg der Runde überzeugte letztendlich auch die Skeptiker. „Inzwischen gibt es sogar Bordellbetreiber aus großen Städten in Nordrhein-Westfalen, die bei uns anfragen, wie das Modell funktioniert“, berichtet Ulla Haus. Andere haben das „Dortmunder Modell“ bereits in Grundzügen übernommen.

Die sachliche Zusammenarbeit am runden Tisch wirkt sich nicht nur positiv auf das Arbeitsumfeld der Prostituierten in der Linienstraße aus. Es hält offenbar auch kriminelle Elemente aus der Straße fern.

Zwar findet man in den 16 Häusern der Straße nicht die „heile Welt“, aber bei der Polizei bescheinigt man der Bordellstraße mit Blick auf die Einsatzstatistik kein besonders negatives Bild. „Der Bereich ist nicht kriminalitätsfrei aber nicht weiter auffällig“, beschreibt es Polizei-Pressesprecher Kim Ben Freigang.

Auch für die Frauen in der Linienstraße ist es wichtig, dass sie angstfrei arbeiten können. „Ich fühl‘ mich hier wirklich sicher“, meint Sylvia. Und auch ihre Kollegin Melly (23) pflichtet ihr bei: „Die Atmosphäre hier ist schon besonders.“ Melly kam vor zwei Jahren aus einem Düsseldorfer Bordell nach Dortmund und ist froh, dass sie in der Linienstraße arbeiten kann.

„Hier stehen alle Frauen füreinander ein … wenn eine Hilfe braucht, sind die anderen sofort da.“ 

Mit einem eigenen Zimmer und einem dazu gehörigen Koberraum zur Straße. Was ihr besonders gefällt: „Hier stehen alle Frauen füreinander ein, auch, wenn sie sich sonst schon mal streiten. Aber wenn eine Hilfe braucht, sind die anderen sofort da.“  Und, für sie auch sehr wichtig, sie selbst bestimmt über ihre Arbeit: „Ich entscheide, wie viele Stunden pro Tag ich hier bin und welche Freier ich mit aufs Zimmer nehme.“

Das neue Prostituiertenschutzgesetz, das im Sommer in Kraft trat, empfinden die Sexarbeiterinnen in der Linienstraße nicht unbedingt als Fortschritt. Denn vieles von dem, was das neue Gesetz gebracht hat, wurde dank des „Dortmunder Modells“ schon seit Jahren praktiziert, auch ohne gesetzliche Vorschrift. Was besonders stört, ist der Ausweis, den jede Prostituierte bei Kontrollen vorweisen muss.

Zwar kann man darin einen Aliasnamen angeben. Aber das Passbild muss stimmen. „Das ist schon entwürdigend“, meint Wirtschafterin Ulla Haus, „wie ein Brandzeichen.“  Was positiv empfunden wird, ist die Tatsache, dass Bordellbetreiber jetzt nur noch eine Genehmigung für ihr Gewerbe bekommen, wenn sie ein umfassendes Führungszeugnis von der Polizei vorweisen können. Das heißt: Keine Vorstrafen haben.

Die Frauen in der Linienstraße wissen den Einsatz der Mitternachtsmission zu schätzen

Nach der Schließung des Straßenstrichs ist die Linienstraße zentrale Anlaufstelle für Freier.
Nach der Schließung des Straßenstrichs ist die Linienstraße die zentrale Anlaufstelle für Freier. 

Dass die Frauen in der Linienstraße den stetigen Einsatz der Mitternachtsmission in der Straße aber auch am „Runden Tisch“ zu schätzen wissen, dokumentiert sich übrigens auch auf dem Plakat an der Hauswand Linienstraße/Steinstraße. „Dortmunder Mitternachtsmission hilft“ steht unten auf dem Plakat neben dem Logo der Organisation. Sicher auch, damit nicht vergessen wird, dass der Kampf gegen Zwangsprostitution, Menschenhandel und Kinderprostitution noch lange nicht zu Ende ist.

Mehr Informationen:

  • Laut Stadtarchiv hat es in der Linienstraße im Zuge der aufstrebenden Industrialisierung in der Nordstadt seit 1904 Bordelle gegeben.
  • Aber auch schon vorher – seit 1898 – soll es in der Straße, die da noch Marschallstraße hieß, Prostitution gegeben haben.
  • Die Bordelle der Linienstraße waren der Hauptanlass zur Gründung der Dortmunder Mitternachtsmission 1918, die sich bis zum heutigen Tag intensiv um die dort tätigen Frauen kümmert und im nächsten Jahr ihr 100-jähriges Bestehen feiert. 
  • Inzwischen hat sich das Arbeitsfeld der Mitternachtsmission stark erweitert. Heute stehen unter anderem auch der Kampf gegen Zwangsprostitution und Menschenhandel und das Engagement gegen Kinderprostitution im Focus.
  • Finanziell und ideell unterstützt wird die Mitternachtsmission, die sich weitgehend aus Spenden finanzieren muss, von einem Förderverein.
  • Spendenkonto: Sparkasse Dortmund, IBAN: DE15 4405 0199 0001 2332 11; BIC: DORTDE33XXX, Förderverein Dortmunder Mitternachtsmission e. V..
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Reaktionen

  1. Frank Heuel

    Da haben sich die richtigen Leute zusammen gefunden und eine intelligente Aussage genau an den richtigen Ort platziert gegen die oft sehr platten und dümmlichem Werbeaussagen.

  2. Gerhard Schönborn

    Klingt alles nach paradiesischen Zuständen. Lassen wir doch einfach mal die langjährige Leiterin der Mitternachtsmission, Jutta Geißler-Hehler, zu Wort kommen:
    „Manchmal wollte ich mir nur noch die Decke über den Kopf ziehen und weinen“.
    „Prostitution ist kein Beruf wie jeder andere – er macht Körper und Seele kaputt.“
    „Es gibt viele Gründe zur Prostitution, aber mir ist noch keine Frau begegnet, die von sich sagt: Ich bin die geborene Hure.“

  3. Dieter Tell

    Prostitution ist eine Verletzung der Menschenwürde. Bordelle gehören verboten, Prostitution ebenfalls, genauso wie in Skandinavien und Frankreich. Genauso wie der Handel mit Drogen.
    Er werden in Deutschland mit der legalen Prostitution größtenteils Kriminelle unterstützt, die Jugendliche mit fiesen Tricks in die Prostitution zwingen (Loverboy-Masche).
    Jeder Staat der sich den Schutz der Jugend und die Einhaltung der Menschenrechte auf die Fahnen schreibt sollte das umgehend umsetzen.
    Aber die Politik schaut seit Jahrzehnten einfach weg. Armes Deutschland.
    Die Schmuddelecke um die Linienstrasse in Dortmund ist garantiert ein tolles Aushängeschild für diese Stadt. Im Umfeld wohnen Kinder und Jugendliche. Die Stadt sollte sich was schämen. Vor der Schließung des Striches hinterm Hormbach hatte die SDP dort Jahrelang zugeschaut und auch noch Verrichtungsboxen aufgestellt. Ganze Busse von Huren aus Rumänien wurden dort angekarrt. Bis ganz Deutschland erfuhr was dort los ist und es einfach nur doch peinlich für Herrn Sierau war seine Stadt permanent in den Negativschlagzeilen zu sehen. Es hatte aber ganz bestimmt nichts damit zu tun, daß ihm irgend etwas an den Schicksalen von jungen Frauen und Kindern lag. Die Bordelle in der Linienstrasse gehören vorwiegend kriminellen Rockergangs, bzw sind unter deren Kontrolle.

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