Deutsches Fußballmuseum: Stadt Dortmund und DFB erinnern erstmalig gemeinsam an die Opfer des Nationalsozialismus

Erstmalig im Deutschen Fußballmuseum: Die Stadt Dortmund und der DFB gedenken gemeinsam den Opfern des Nationalsozialmus.
Erstmalig im Deutschen Fußballmuseum: Die Stadt Dortmund und der DFB gedenken gemeinsam den Opfern des Nationalsozialmus.

Was in Deutschland während des Nazi-Regimes einmalig geschah, soll nie wieder geschehen. Erinnerung eröffnet eine verantwortbare Zukunft ohne Hass und Gewalt, sichert sie aber allein nicht. – Zum Gedenktag an die unzähligen Opfer eines verbrecherischen Systems. Namenlos oder mit einer Geschichte, einem Gesicht. Und: Wie in der Gesellschaft, so im Fußball. Von wegen (oder gerade weil) „schönste Nebensache der Welt“.

Gedenken der Opfer des Nationalsozialismus und des Holocausts in Dortmund

Claudia Roth, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages.
Claudia Roth, Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages.

„Nie wieder!“ – der Ursprung dieser Worte aus dem Motiv, aufzuarbeiten, was in einem „monströsen System“ geschah, und Versöhnung zu suchen – diese Worte, erklärt Claudia Roth zu Beginn ihrer Rede den ZuhörerInnen, setzten voraus, „dass wir uns erinnern – immer und immer wieder.“ Nicht nur der alleinigen Rückschau halber, sondern, so die Bundestagsvizepräsidenten, als „Erinnern in die Gegenwart, als Erinnern in die Zukunft.“

Damit hatte sie wohl ziemlich genau das Reflexionsfeld der Vorträge an diesem Vormittag getroffen. Im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund, wo am Sonntag, den 28. Januar, erstmalig die diesjährige Gedenkfeier der Stadt in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Fußballbund (DFB) zum offiziellen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus stattfand.

Seit 1996 ist der 27. Januar – jener Tag, an dem das Vernichtungslager Auschwitz von der Roten Armee befreit wurde – ein bundesweiter, gesetzlich verankerter Gedenktag für die Opfer des NS-Regimes. Und später, im Jahr 2005, wird die Bewahrung des Angedenkens an die Opfer des Holocaust durch eine Erklärung der Vereinten Nationen auch offiziell zu einer internationalen, den ganzen Globus umspannenden Angelegenheit.

Massenhafte Begeisterung für den Fußball macht ihn zum Spiegel der Gesellschaft

Manuel Neukirchner, Direktor des deutschen Fußballmuseums.
Manuel Neukirchner, Direktor des Deutschen Fußballmuseums.

In der Bundesrepublik ist – wie es in einem anlassbezogenen Bulletin der Bundesregierung von 2008 ausdifferenzierend heißt – der 27. Januar ein Tag des Gedenkens an: „Juden, Christen, Sinti und Roma, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle, politisch Andersdenkende sowie Männer und Frauen des Widerstandes, Wissenschaftler, Künstler, Journalisten, Kriegsgefangene und Deserteure, Greise und Kinder an der Front, Zwangsarbeiter und an die Millionen Menschen, die unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft entrechtet, verfolgt, gequält und ermordet wurden.“

Aber was hat diese gruselige Auflistung von Opfergruppen des deutschen Faschismus mit Fußball, „mit der schönsten Nebensache der Welt“ zu tun? Denn immerhin wurde in eine der repräsentativsten DFB-Institutionen als Veranstaltungsort eingeladen. – Auch darüber sollten die ZuhörerInnen während der Veranstaltung eine Menge erfahren.

„Fußball ist für uns weit mehr als ein Spiel mit 22 Akteuren“, nimmt Manuel Neukirchner, Direktor des deutschen Fußballmuseums, die Frage gleich zu Anfang auf. Das Fußballspiel als eine der großen Massenbewegungen unserer Zeit spiegele „mit seiner ungeheuren Anziehungskraft entscheidende historische Zusammenhänge des vergangenen Jahrhunderts“, so Neukirchner. Mit anderen Worten: Was im und um den Fußball herum geschieht, darin drückt sich vermittelt aus, was eine Gesellschaft umtreibt – ob seiner Verflechtungen mit der Zeit, in der sich so viele Menschen für ihn begeistern.

Von der Mitte der Gesellschaft als anerkannter Fußballer zum Aussätzigen

Reinhard Grindel, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes.
Reinhard Grindel, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes.

Es seien während der Zeit des Nationalsozialismus mehrere 10.000 Fußballer jüdischen Glaubens ab 1933 aus ihren Vereinen gedrängt worden, wurden Opfer von Verfolgung und viele von ihnen später ermordet, erklärt Neukirchner die konkrete Gestalt dieser Verwobenheit von Fußball und Gesellschaft im dunkelsten Abschnitt deutscher Geschichte mit Hinweis auf die nackten wie grausamen Tatsachen. Zu diesen gehört ebenfalls, was Reinhard Grindel, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes, feststellt: Es habe damals keinen konzertierten Widerstand aus der Gesellschaft gegen die Ausgrenzung und Verfolgung der jüdischen Fußballer gegeben.

Als 1933 zuerst die Vereine des süddeutschen Fußballverbandes die Entfernung von Juden aus ihren Reihen beschlossen hätten. Darunter war seinerzeit beispielsweise der Karlsruher FV, der Heimatverein von Julius Hirsch: siebenfacher Nationalspieler vor dem 1. Weltkrieg, dort Soldat, Ordensträger, später Kaufmann – „der stolze Deutsche, der fest daran glaubte, einer von ihnen zu sein, mit denen er Seite an Seite auf dem Fußballfeld stand“, beschreibt der DFB-Präsident das Unfassbare.

Der Ausschluss aus den Fußballvereinen sei „der erste Schritt auf dem langen Weg der Ausgrenzung und Entrechtung der Juden in Deutschland“ gewesen. Der Fußball hatte sein moralisches Rüstzeug in vorauseilendem Gehorsam aufgegeben“, so Grindel aus heutiger Perspektive.

Julius Hirsch wird mit anderen Nazi-Opfern über Dortmund nach Auschwitz deportiert

OB der Stadt Dortmund, Ullrich Sierau
OB der Stadt Dortmund, Ullrich Sierau.

Was geschah mit Julius Hirsch, der seinen geliebten Verein verlassen musste, weil er den „falschen“ Glauben hatte oder einer „falschen“ Ethnie angehörte? Mehr über den weiteren Weg des jüdischen Profifußballers weiß der Dortmunder Oberbürgermeister, Ullrich Sierau. Was er den ZuhörerInnen zu berichten, zeigt einmal mehr die guten Gründe des DFB und der Stadt Dortmund dafür, den Gedenktag für die Opfer des NS-Terrors im Fußballmuseum gemeinsam zu begehen. Und, es ist beklemmend.

Anfang März 1943 erreicht ein Personenzug aus dem Badischen Dortmund. Darin befinden sich deutsche Juden aus dem gesamten Südwesten des Landes: Stuttgart, Trier, Karlsruhe, darunter Julius Hirsch. Die Menschen müssen den Zug verlassen, werden für eine Nacht in der „Börse“, einer Viehhalle nördlich des Hauptbahnhofs untergebracht.

Am nächsten Morgen seien sie unter den Augen zahlreicher Schaulustiger quer durch die Stadt zum Südbahnhof geführt, dort in Güterwagons gepfercht und nach Auschwitz transportiert worden, so Sierau. Ein Transport, den viele schon nicht mehr überlebten. Den „Rest“ erledigten die NS-Schergen – früher oder später – vor Ort.

Das letzte Lebenszeichen von Julius Hirsch: eine Postkarte aus Dortmund, abgestempelt am 3. März. Dann verlieren sich seine Spuren. Vermutlich wurde er als einer der ersten vergast. – Eine Dauerausstellung im Deutschen Fußballmuseum erinnert an ihn.

Ein Deutschland ohne Gedenken an den Völkermord kann es nicht geben

Jeremy Issacharoff, Botschafter Israels in der Bundesrepublik.
Jeremy Issacharoff, Botschafter Israels in der Bundesrepublik.

„There ist no German identity without Auschwitz“ (Keine deutsche Identität ohne Auschwitz), zitiert Jeremy Issacharoff, seit April 2017 Botschafter Israels in Deutschland, aus einer Rede des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck vor dem Bundestag im Jahre 2015. Und auch er kann aus Dortmund berichten.

Von hier stamme die Familie seiner Frau Laura. Ihr Urgroßvater hatte in Dortmund ein Geschäft und starb im KZ Theresienstadt. Ihre Mutter überlebte – als Kind in Belgien versteckt. Ihr Großvater hatte nämlich damals seine Frau und die beiden Töchter nach Brüssel gebracht und ihnen damit das Überleben gesichert.

Er selbst sei auf der Straße in Brüssel verraten worden, wurde gefangen genommen, nach Auschwitz gesandt, wo er, da er verwundet war, schnell in den Gaskammern zu Tode kam. Warum er das alles erzählt?, so der Botschafter: Weil der Großvater seiner Frau ein professioneller Fußballspieler gewesen sei.

Der deutsche Fußball während der NS-Zeit: die Verantwortlichen kriechen zu Kreuze

Prof. Moshe Zimmermann, Hebräische Universität Jerusalem
Prof. Moshe Zimmermann, Hebräische Universität Jerusalem.

Die Verflechtung von Fußball und Gesellschaft macht während des Nazi-Regimes vor niemand halt, der zwar mit dem Herzen den Ball behandelt, aber leider keinen deutschen Schäferhund in der Ahnengalerie vorweisen kann. Wer anders ist als jene, die in der engstirnig-eingebildeten Nazi-Ideologie vollständig sinnfrei als „Herrenrasse“ bezeichnet werden, wird ausgegrenzt und gnadenlos verfolgt. Und die Funktionäre des deutschen Fußballs schauen zu. Wenn sie nicht gleich begeistert mitmachen.

Von letzterem, der unheilvollen Verbindung des Fußballs mit den Nationalsozialisten handelt en detail und illustriert an Beispielen der Festvortrag von Professor Moshe Zimmermann von der Hebräischen Universität Jerusalem. Das Thema sagt alles: „Das judenfreie Europa mit einem judenfreien Sport – Fußball und ‘Endlösung‘“.

Zimmermann beschäftigt sich unter anderem mit der Biographie des damaligen „Reichstrainers“ der deutschen Fußballnationalmannschaft von 1933-1936, dem ehemaligen Sozialdemokraten und Wendehals Otto Nerz. Anhand von dessen antisemitischen Ausfällen in drei Zeitungsartikeln zeichnet Zimmermann minutiös die Verbindung des Fußballs mit den Nationalsozialsozialisten nach. – Beim aufmerksamem Zuhören ist eins klar: Da gibt es nichts mehr zu beschönigen.

Nach 55 Jahren Verdrängung und Vergessen: Der DFB wird selbstkritisch

Foto: Michael Rasche

Das allerdings weiß auch endlich der DFB – denn er hat sich mittlerweile und gezwungenermaßen seiner eigenen Geschichte gestellt. Wie es aus den Organisationen des deutschen Fußballs während der Nazi-Zeit heraus – bis auf wenige Ausnahmen – keinen Widerstand gegeben habe, so DFB-Präsident Grindel, hätte für die Nachkriegszeit zunächst gegolten: Verdrängung, Schweigen.

Es war also bei den Sportfreunden nicht anders als überall in der jungen Bundesrepublik. Und besonders unwürdig vorgeführt von den TäterInnen in staatstragenden Berufen und Positionen: von Richtern über Psychiater bis zum lediglich befehlsempfangenden Offizier – keiner wollte es nach dem Zusammenbruch gewesen sein. Natürlich nicht.

Erst ab 2001, mit der Studie des Historikers Nils Havemann („Fußball unterm Hakenkreuz“), habe die Aufarbeitung und Erinnerungsarbeit begonnen, so Grindel unvermeidlich selbstkritisch. Seit 2005 beispielsweise verleiht der DFB jährlich den Julius-Hirsch-Preis, mit dem Vereine oder Initiativen ausgezeichnet werden, die sich besonders verdient gemacht haben durch ihr Engagement für die Grundwerte des DFB heute: für Vielfalt, Respekt, Fairplay,Toleranz, Integration, Inklusion.

Die Grundwerte der (heutigen) Gesellschaft sind (wie immer) die des Fußballs

Ausgezeichnet wird, was heutzutage halt alles so angesagt ist; Stichwort: Fußball inmitten der Gesellschaft. Zumindest solange das Unwesen von rechts dort nicht angekommen ist. Allerdings bewege sich die Mitte der Gesellschaft immer weiter in eine rechtspopulistische Richtung, gibt OB Sirau zu bedenken: „Rassismus und Diskriminierung sind in Deutschland kein Relikt der Vergangenheit, sondern traurige Realität und Gegenwart.“

Und deshalb auch nicht als Randerscheinung zu verniedlichen: „Nirgends dürfen wir den geistigen Brandstiftern das Feld überlassen“, schlussfolgert Sirau.

Der deutsche Fußball stünde heute für Vielfalt, betont Grindel ausdrücklich das Gegenbild zum dumpfen Schweigen von Ex-Nazi-Sportfunktionären und ihrer NachfolgerInnen im Durchhaltemodus des Kalten Krieges. Denn Vielfalt sei kein Manko, sondern vielmehr eine Stärke. Sofern die Regeln stimmen: Respekt, Toleranz usf. Finales Ziel: Integration nach diesen Regeln (nicht Assimilation).

Und der DFB befände sich damit an der Seite jener unzähligen Vereinsmitglieder, die in Flüchtlingsunterkünfte gingen, junge Menschen einlüden, mitzuspielen, ihnen bei Behördengängen oder dem Erlernen der deutschen Sprache hälfen.

Integrative Kräfte des Mannschaftssports – ohne Ausschluss von Minderheiten

Integrationspreis 2013
BuntKicktGut, Interkulturelle Straßenfußballliga in Dortmund.

Die Begeisterung für den Fußball als Massenphänomen: Während die Nazis des Volkes Seele für ihre Verbrechen missbrauchten und der Sport und seine Institutionen wie alles im sog. 3. Reich brutaler Gleichschaltung anheim fiel, soll es nach dem Willen der DFB-Spitze heute ganz anders laufen. Vielfalt und Integration sind – neben Respekt/Fairplay – die neuen Zauberwörter. Wer wollte vom Standpunkt allgemeiner Menschenrechte dem widersprechen?

„Der Fußball hat eine große Integrationskraft. Er verbindet Alt und Jung, Reich und Arm, Frauen und Männer, Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte. Daraus erwächst für alle, die im Fußball aktiv sind, die Verantwortung, die Chancen wahrzunehmen, die sich aus dieser Integrationskraft ergeben. Dem Ball ist es egal, wer gegen ihn tritt,“ trifft Grindel den Nerv demokratischer Öffentlichkeit gegen die Stumpfsinnigkeit nivellierender, rechtspopulistischer und neonazistischer Plattitüden von des einzigartigen Volkes Herrlichkeit, das da gegen alles Fremde bewahrt werden müsse.

40.000 Flüchtlinge hätten jetzt einen Spielerpass. Das kann sich sehen lassen. Damit seien die Fußballvereine an der Basis zu einem der wichtigsten Integrationsorte im Lande geworden, so der Präsident des DFB. Und er hat ziemlich sicher recht: Besser, sich auf dem Fußballfeld zu verausgaben, statt bei Kneipenschlägereien.

Die Kraft des Widerstands gegen Nazis: Viele Menschen produzieren viele Ideen

Georg Borgschulte, Vorstand der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit.
Georg Borgschulte, Vorstand der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit.

Dennoch: bei allen Bemühungen für ein friedliches Miteinander – der Schoß ist fruchtbar noch, woher das Unheil erschien. So oder ähnlich (politisch korrekter) könnte einer der kleinsten gemeinsamen Nenner der RednerInnen zum Gedenken an die Opfer formuliert werden: Vor der Virulenz der Gefahr eines Rückfalls in längst überwunden geglaubte Zeiten nicht die Augen zu verschließen. Dies ist die unabdingbare Voraussetzung für das „Nie wieder!“

Es gäbe Orte in der Bundesrepublik, wo die am häufigsten gebrauchten Schimpfwörter „Asi“, „Schwuler“ und – „Jude“ seien, diagnostiziert Georg Borgschulte, Vorstand der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Dortmund e.V. Und plädiert – analog zur Metapher mit dem Ball, der sich nicht darum bekümmert, wer gegen ihn tritt – für ein weiteres potentielles Medium, das Ungleiches miteinander verbinden mag: die Musik. Denn, wer musiziert, lernt, nicht zu hassen – zitiert Borgschulte einen jüdischen Violinisten.

Das Verbindende zu finden, wenn Nazis Hass säen. Wie auch immer, nur nicht mit ihren Methoden. Denn ein Unrecht rechtfertigt kein zweites. Sondern: Verständnis statt Aggression. Kritisches Denken statt Nachplappern. Erinnerung statt Vergessen. Frieden statt Krieg. Statt den Nachbarn anzupöbeln, lieber mit ihm kicken oder singen, z.B. – Die Liste ließe sich fortführen. Und in ihrem Sinne: Weitere Ideen produzieren statt Abwinken.

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